Auszug aus dem Organisationsstatut § 1. Als Parteimitglied wird jede Person betrachtet, die sich zu den Grundsätzen des Parteiprogramms bekennt und Mitglied der Parteiorganisation ihres Wohnortes ist. § 2. Der Partei kann nicht angehören, wer sich eines groben Verstoßes gegen die Grundsätze des Partei= programms oder die Interessen der sozialdemokratischen Partei schuldig gemacht hat, einer anderen Partei ange= hört, für eine andere Partei tätig ist oder eine ehrlose Handlung begangen hat. § 3. Ueber die Aufnahme entscheidet auf Grund des Vorschlages der Lokalorganisation, in deren Sprengel der Aufnahmswerber wohnt, die Bezirksorganisation, be= ziehungsweise jene Organisation, die die in diesem Statut sonst für die Bezirksorganisation vorgesehenen Funktionen ausübt. Jedes Parteimitglied erhält als Legitimation die im ganzen Reiche geltende Parteimitgliedskarte. § 4. Jedes Parteimitglied hat die Pflicht, seiner Berufsorganisation anzugehören, so wie die Mitglieder der Berufsorganisation verpflichtet sind, Mitglieder der Parteiorganisation zu sein. § 5. Die Grundlage der Parteiorganisation ist der politische Verein. Für Parteiangehörige, welche aus wichtigen Gründen nicht Mitglieder des politischen Vereines sein können, ist die Zugehörigkeit und Beitrags= leistung zur Parteiorganisation überall nach gleichen Grundsätzen zu regeln. § 6. Die Frauenorganisation ist ein Teil der Gesamt= organisation der Partei. § 12. Zur Deckung der Ausgaben der Parteiorgani= sation wird ein Parteibeitrag gemeinsam für alle Partei= instanzen eingehoben. (§14: Mindestbeitrag 20 h monatlich. §13. Die Festsetzung der Höhe des Parteibeitrages und dessen Aufteilung auf die Reichs=, Landes=, Kreis= Bezirks= und Lokalorganisationen erfolgt durch die Beschlüsse des Parteitages sowie der Landes=, eventuell Kreis= und der Bezirkskonferenz. § 15. Den Parteibeitrag für weibliche Parteimitglieder setzt die Frauenreichskonferenz fest. § 19. Die Einhebung der Wahlfondsbeiträge erfolgt gleichzeitig mit dem Parteibeitrag und wird mit der Wochen= oder Monatsmarke quittiert.
Programm der sozialdemokratischen Arbeiterpartel in Oesterreich. (Beschlossen am Parteitag zu Wien 1901.) Die sozialdemokratische Arbeiterpartei in Oesterreich erstrebt für das gesamte Volk ohne Unterschied der Nation, der Rasse und des Geschlechtes die Befreiung aus den Fesseln der ökonomischen Abhängigkeit, der politischen Unter= drückung und der geistigen Verkümmerung. Die Ursache dieser unwürdigen Zustände liegt nicht in den einzelnen politischen Einrichtungen, sondern in der das Wesen des ganzen Gesellschaftszustandes bedingenden und beherrschen= den Tatsache, daß die Arbeitsmittel in den Händen ein= zelner Besitzer monopolisiert sind. Der Besitzer der Arbeits= raft, die Arbeiterklasse, gerät dadurch in die drückendste Abhängigkeit von den Besitzein der Arbeitsmittel mit Ein= schluß des Bodens, der Großgrundbesitzerklasse und der Kapitalistenklasse, deren politische und ökonomische Herr= chaft im heutigen Klassenstaate ihren Ausdruck findet. Der technische Fortschritt, die wachsende Konzen= tration der Produktion und des Besitzes, die Vereinigung iller ökonomischen Macht in den Händen der Kapitalisten und Kapitalistengruppen hat die Wirkung, immer größere Kreise früher selbständiger kleiner gewerblicher Unternehmer und Kleinbauern ihrer Produktionsmittel zu enteignen und sie als Lohnarbeiter, Angestellte oder als Schuldknechte direkt oder indirekt in die Abhängigkeit von den Kapitalisten zu bringen. Es wächst die Masse der Proletarier, es steigt aber auch der Grad ihrer Ausbeutung, und dadurch tritt die Lebenshaltung immer breiterer Schichten des arbeitenden Volkes immer mehr in Gegensatz zu der rasch steigenden Produktivkraft seiner eigenen Arbeit und zu dem An= schwellen des von ihm selbst geschaffenen Reichtums. Die der Planlosigkeit der kapitalistischen Produktionsweise ent= pringenden Krisen mit ihrem Gefolge von Arbeitslosigkeit und Eiend beschleunigen und verschärfen diese Entwicklung. Je mehr aber die Entwicklung des Kapitalismus das Proletariat anschwellen macht, desto mehr wird es gezwun= gen und befähigt, den Kampf gegen ihn aufzunehmen. Immer mehr macht die Verdrängung der Einzelproduktion
auch den Einzelbesitz überflüssig und schädlich, während zu= gleich für neue Formen genossenschaftlicher Produktion auf Grund gesellschaftlichen Eigentums an den Produktions= mitteln die notwendigen geistigen und materiellen Vor= bedingungen geschaffen werden. Zugleich kommt das Prole= tariat zum Bewußtsein, daß es diese Entwicklung fördern und beschleunigenm# und daß der Uebergang der Arbeits= mitt#“ in den gemeinschaftlichen Besitz der Gesamtheit des Volkes das Ziel, die Eroberung der politischen Macht das Mittel seines Kampfes für die Befreiung der Arbeiterklasse ein muß. Nur das zum Klassenbewußtsein erwachte und zum Klassenkampf organisierte Proletariat kann der Träger dieser notwendigen Entwicklung sein. Das Prole= tariat zuorganisieren, es mit dem Bewußtsein einer Lage und seiner Aufgabe zu erfüllen, es geistig und physisch kampffähig zu machen und zu erhalten, ist das eigentliche Programm der ozialdemokratischen Arbeiterpartei in Oester= reich, zu dessen Durchsetzung sie sich aller zweckdienlichen und dem natürlichen Rechtsbewußsein des Volkes ent= sprechenden Mittel bedienen wird. Die sozialdemokratische Arbeiterpartei in Oesterreich wird in allen politischen und ökonomischen Fragen jeder= zeit das Klasseninteresse des Proletariats vertreten und aller Verdunkelung und Verhüllung der Klassengegensätze owie der Ausnützung der Arbeiter zugunsten von bürger= ichen Parteien energisch entgegenwirken. Die sozialdemokratische Arbeiterpartei in Oesterreich ist eine internationale Partei: sie verurteilt die Vorrechte der Nationen ebenso wie die der Geburt und des Ge= schlechtes, des Besitzes und der Abstammung und erklärt, daß der Kampf gegen die Ausbeutung international sein nuß wie die Ausbeutung selbst. Sie verurteilt und bekämpft alle Einschrän ungen der Freiheit der Meinungsäußerung owie jede Bevormundung durch Staat und Kirche. Sie erstrebt gesetzlichen Schutz der Lebenshaltung der arbeiten= den Klassen und sie kämpft dafür, dem Proletariat auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens möglichst großen Einfluß zu verschaffen. Von diesen Grundsätzen ausgehend, fordert die sozial= demokratische Arbeiterpartei in Oesterreich zunächst: 1. Allgemeines, gleiches, direktes und geheimes Wahl= recht in Staat, Land und Gemeinde für alle Staatsange= hörigen ohne Unterschied des Geschlechtes vom 20. Lebens=
jahre an; Proportionalwahlsystem; Vornahme der Wahlen an einem gesetzlichen Ruhetage; dreijährige Gesetzgebungs= perioden; Diätenbezug für die Gewählten. 2. Direkte Gesetzgebung durch das Volk vermittelst des Vorschlags= und Verwerfungsrechtes; Selbstbestim= mung und Selbstverwaltung des Volkes in Staat, Land und Gemeinde. 3. Abschaffung aller Gesetze, die das Recht auf freie Meinungsäußerung einschränken; insbesondere Erfüllung voller Preßfreiheit durch Aufhebung des objektiven Ver= ahrens und der Einschränkung der Kolportage von Druck= schriften; Aufhebung aller Gesetze, die das Vereins= und Versammlungsrecht einschränken. 4. Aufhebung aller Einschränkungen der Freizügig= keit, insbesondere aller Vagabunden= und Schubgesetze. 5. Schaffung und Durchführung eines Gesetzes, das Beamte, die die politischen Rechte von einzelnen oder Ver= einen beeinträchtigen, einer strengen Bestrafung zuführt. 6. Sicherung der Unabhängigkeit der Gerichte; Un= entgeltlichkeit der Rechtspflege und des Rechtsbeistandes; Entschädigung unschuldig Verhafteter und Verurteilter; Wahl der Geschwornen auf Grund des allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrechtes; Unterstellung aller Staatsangehörigen unter die ordentlichen Gesetze und Gerichte; Abschaffung der Todesstrafe. 7. Staatliche und kommunale Organisation des Sanitätsdienstes; unentgeltliche Beistellung der ärztlichen Hilfeleistung und der Heilmittel. 8. Erklärung der Religion als Privatsache; Trennung der Kirche vom Staate und Erklärung der kirchlichen und religiösen Gemeinschaften als private Vereinigungen, die hre Angelegenheiten ganz selbständig ordnen; obliga= torische Zivilehe. 9. Obligatorische, unentgeltliche und weltliche Schule, die den Bedürfnissen und der Entwicklung der einzelnen Völker vollkommen entspricht; Unentgeltlichkeit der Lehrmittel und der Verpflegung in den Volksschulen für alle Kinder sowie für jene Schüler höherer Lehr= anstalten, die zu weiterer Ausbildung befähigt sind. 10. Ersetzung aller indirekten Steuern und Abgaben durch stufenweise steigende Einkommen=, Vermögens= und Erbschaftssteuern. 11. Ersatz des stehenden Heeres durch die Volkswehr; Erziehung zur allgemeinen Wehrhaftigkeit; allgemeine
Volksbewaffnung; Entscheidung über Krieg und Frieden durch die Volksvertretung. 12. Beseitigung aller Gesetze, wodurch die Frau gegenüber dem Manne öffentlichrechtlich oder privatrecht= lich in Nachteil gesetzt wird. 13. Befreiung der Wirtschaftsgenossenschaften der Arbeiter von allen ihre Tätigkeit hemmenden Lasten und Schranken. Als Minimum an Arbeiterschutz fordert die österreichische Sozialdemokratie zunächst: 1. Volle Koalitionsfreiheit, gesetzliche Anerkennung der gewerkschaftlichen Organisation, gesetzliche Gleich= stellung der Landarbeiter durch Aufhebung der Dienst= botenordnungen. 2. Achtstündigen Maximalarbeitstag ohne Klauseln und ohne Ausnahmen. 3. Verbot der Nachtarbeit mit Ausnahme jener Betriebe, deren technische Natur eine Unterbrechung nicht zuläßt; die Nachtarbeit für Frauen und jugendliche Arbeiter ist jedoch ausnahmslos zu verbieten. 4. Volle Sonntagsruhe in der Dauer von min= destens 36 Stunden. 5. Strenge Durchführung des Verbotes der Erwerbs= arbeit von Kindern unter 14 Jahren: ausreichende Schutz= gesetze für Lehrlinge und jugendliche Arbeiter. 6. Ausschluß der Frauenarbeit aus den besonders für den weiblichen Organismus schädlichen Betrieben. Alle diese Bestimmungen haben für Betriebe jeder Art und Stufenleiter (Großindustrie, Transportgewerbe, Handwerk, Handel, Hausindustrie, Land= und Forstwirt= schaft) zu gelten. Ausbau des Gewerbeinspektorats; Vermehrung der Inspektoren, denen exekutive Befugnisse zu geben sind; Mitwirkung der Arbeiterorganisationen an der Kontrolle der Durchführung des Arbeiterschutzes durch die von ihnen gewählten Inspektoren und Inspektorinnen. leber Unternehmer, die das Arbeiterschutzgesetz übertreten, sind strenge Strafen zu verhängen, die nicht in Geldstrafen umgewandelt werden dürfen. Die Arbeiterversicherung ist einer durchgreifenden Reform zu unterziehen, durch Einführung einer allgemeinen Alters= und Invalidenversicherung sowie Witwen= und Wai= senversorgung zu ergänzen und unter durchgängiger Selbst= verwaltung der Versicherten einheitlich zu organisieren.
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