Die Roten am Land

1927 heiratete Rockstroh, und unter dem finanziellen Druck begann er nun mit der Arbei t „unter Tag". Immer wieder durch kürzere oder längere Phasen „heraußen" unterbrochen, aber doch. Sieben Jahre lang. Bergarbeit war ihm nicht grundsätzlich fremd und doch fiel sie ihm, ähnlich wie seinem Großvater und seinem Vater, sehr schwer. Sie prägte sich tief in seine Erinnerung ein: Jede Charakterisierung und Bewertung von Arbeitsvorgängen vor und nach dieser Zeit bezieht sich in seinen Erzählungen auf die Arbeit unter Tag, auf die Anstrengung, die Gefahr, die Monotonie. Es handelte sich dabei um objektive Arbeitsums tände, die jedoch erst im Kontrast zu anderen Arbeitserfahrungen ihre besondere Kontur erhalten. ,,Wer nicht im Bergbau aufwächst, hat Angst. Der echte Bergarbeiter nicht." Der ech te Bergarbeiter war auch die Anstrengung eher gewohnt. Das Schieben der Hunte - der Wagen zur Beförderung der Kohle - und das „Schrämmen" hinterließen bei Rockstroh den stärksten Eindruck. Beim Schrämmen brachten zwei Bergarbeiter, ein „Rechter" und ein „Linker", in vier bis fünf Stunden mit dem Schrämmeisen, einer Art Krampen, einen circa 80 bis 100 cm tiefen senkrechten Schlitz in der zähen Kohle an, damit diese dann ausgebrochen werden konnte. Vier bis fünf Stunden die gleiche, anstrengende Bewegung. Neulinge hatten mit argen Muskelschmerzen und blutigen Schultern zu rechnen. Der Arbeitskollege im Berg wurde als „Kamerad", das Zusammenarbeiten als „Kameradschaft" bezeichnet. Diese Kameradschaften fanden in vielen Fällen ihre Fortsetzung„über Tag" und stellten ein wichtiges soziales Element im regionalen Leben dar. Die Einteilung der Kameradschaften wurde von der Werksleitung wohlweislich kaum gegen den Willen der Betroffenen durchgeführt, und wenn es dennoch geschah, etwa in den Phasen des Einsatzes von Bauernburschen, s tieß es oft auf erheblichen Widerstand. Im Unterschied zu den beruflichen Erfahrungen haben die politischen Ereignisse der zwanziger und dreißiger Jahre in den Erinnerungen von Rockstroh III nur relativ schwache Eindrücke hinterlassen - mit einer Ausnahme: die Tätigkeit der Heimwehr. Die Heimwehr konnte schließlich auch in den Bergarbeiterkolonien Fuß fassen, wobei es zwischen den einzelnen Orten deutliche Unterschiede gab. Die Angst vor dem Verlust des Arbeitspla tzes und, damit zusammenhängend, die direkte Unterstützung der Heimwehr durch das Bergbauunternehmen sowie das Verhalten vieler Ingenieure, die allgemeine Not und auch die Unzufriedenheit mit der sozialdemokratischen Partei nenn t Rockstroh III dafür als Gründe. Die wirtschaftliche Situa tion und die Politik der Heimwehr macht er auch verantwor tli ch für die Ereignisse des 12. Februar 1934, die im Hausruck zu besonders blutigen Auseinandersetzungen geführt haben.4 In Kohlgrube blieb es allerdings ruhig. Auf dem Weg nach Wolfsegg traf Rockstroh III an jenem kritischen Tag zwei Kohlgrübler Kommunisten, die sich auf eigene Faust nach Holzleithen aufgemacht hatten. Er riet ihnen davon ab. „Geht nicht hinüber, Ihr könnt ja nicht wissen, ob es Euch das Leben kostet. Geht wieder heim zu Eurer Familie. Fragen sie mich, wieso? Sag ich, mir ist einer begegnet von Hol zleithen, und der hat gesagt, das Militär ist schon da. Rockstroh, hat er gesagt, aus ist es mit uns. Das Militär ist schon aufmarschiert. Die werden alle hinuntergeschossen." Die beiden Kommunis ten drehten daraufhin um und gingen wieder heim. Rockstroh III setzte seinen Weg zu den Schwiegereltern fort, um dort seine Bienen zu versorgen ... Die Erschü tterungen des 12. Februar 1934 und der folgenden Wochen empfand Rockstroh III am stärksten als die Erschütterung seines Vaters. Für den brach seine Welt zusammen. ,,Mein Vater hat gesag t, Jahrzehnte hab ich gekämpft um das, um die Demokratie, um die Freihei t - nicht wahr. Er ist zusammengebrochen mein Va ter, sie haben ihn verhaftet und nach Vöcklabruck gebracht. Der Bezirkshauptmann hat gesagt, den Rockstroh lassen wir wieder aus, der hat immer für die Allgemeinheit ein Verständnis gehabt. Der kann heimgehen. So ist er heimgekommen, und ist zusammengebrochen. 1937 ist er gestorben. Er hat sich nicht mehr erholt." Die Atmosphäre in den Kolonien war vergiftet, viele Bergarbeiter verloren ihre Arbeit, wieder einmal wurden Bauernburschen eingestellt. Arbeitslosigkeit hieß Not, und Not hieß für viele Familien betteln gehen. Die trostlosen Lebensumstände und der Haß auf die Heimwehr waren nach Rockstroh III auch die Hauptursachen dafür, daß 1938 die meisten im Revier in Hitler ihren Befreier sahen. Einige Schutzbündler warteten gar nicht so lange und gingen noch 1934 nach Deutschland in die Österreichische Legion. Rockstroh III trat aus Angs t um den Arbeitsplatz der Vaterländischen Front bei und stellte, wie die Sozialdemokratische Partei allgemein, die politische Arbeit ein. Allerdings nahm er mehrmals an illegalen Treffen in Vöcklabruck teil. Dort erzählte man von den Folterungen politischer Funktionäre im nationalsozialistischen Deutschland. Ein Onkel, der in Deutschland lebte und 1936 die Familie besuchte, bestätigte diese Informationen im wesentlichen und fügte hinzu: „Josef, hat er gesagt, darfst aber nichts sagen, hat er gesagt, denn wenn Du etwas sagst, wirst Du aufgehängt. Ich sag Dir was, hat er gesagt, es wird ein Mordskrieg kommen. Soweit Dein Auge 97

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