Die Roten am Land

E inige Jahre vorher, bei Kriegsausbruch, hatte er mit dem Wort Krieg noch gar nichts Rechtes anfangen können . Eine weinende Nachbarin - meine Buben müssen jetz t sicher einrücken - und der aufgebrachte Vater, der immer gegen Krieg und Gewal t einges tellt war, blieben ihm aber in Erinnerung, ebenso wie der Umstand, daß damit beide in einem deutlichen Gegensatz zur allgemeinen Kriegsbegeisterung standen, die auch die Kolonie erfaßt hatte. Anhand von Ausschnitten aus der Geschichte der Familie Rockstroh sollen im folgenden einige Ausprägungen des Bergarbeitermilieus beleuchtet werden. Als Grundlage dient ein mehrstündiges Interview, da s 1982 geführt wurde. Der Erzähler wird im Text als Rockstroh III bezeichnet, sein Vater als Rockstroh II und sein Großvater als Rockstroh I.1 Die Bergarbeiterkolonie Kohlgrube, als Hauptort des Geschehens, ist die ältes te Kolonie der Hausruck-Bergbauregion, die im Schnittbereich der oberösterreichischen Bezirke Vöcklabruck, Ried im Innkreis und Grieskirchen liegt und vor allem die Gemeinden Geboltskirchen, Wolfsegg, Ottnang-Thomasroith, Zell am Pettenfirst und Ampflwang umfaßt. In der letztgenannten Gemeinde wird trotz großer Schwierigkeiten auch gegenwär tig noch Kohle abgebaut. Die Geschichte des Hausruck-Braunkohlenbergbaues begann im ausgehenden 18. Jahrhund ert. Größere wirtschaftliche Bedeutung erlangte der Bergbau allerdings erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, unter anderem durch die Kapitalzuführung bei der Gründung der damaligen „Wolfsegg-Traunthaler-Kohlenwerks- und Eisenbahngesellschaft" und durch die Anbindung des Hausruckgebietes an die Westbahn 1859-60. 1872 gingen die Kohlengruben in den Besitz des Steyrer Waffenfabrikanten Josef Werndl über, von dem sie 1911 ein Konsortium übernahm. In dieser Gesellschaft hatte in der Ersten Republik das Land Oberösterreich die Ak tienmehrheit. 1945 wurde der Hausruck-Braunkohlenbergbau verstaa tlicht.2 Vom Müller zum Bergmann: Im Dienst des Patriarchen Rockstroh I kam in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunder ts nach Kohlgrube. Im Un terschied zu vielen anderen Zuwanderern, die hauptsächlich aus Böhmen und Mähren stammten und meist einschlägige Arbeitserfahrung mitbrachten, kam er aus dem Egerland. Es handelt sich dabei um den ehemals deutschsprachigen Teil der heutigen Tschechoslowakei im Grenzgebiet zur heutigen Bundesrepublik Deutschland. Rockstroh I hatte den Beruf eines Müllers erlernt, war zuletz t in Dachau beschäftigt gewe94 sen, verlor seine Arbeit, hörte von seinen Brüdern vom Bergwerk in Kohlgrube und kam zu Fuß dorthin. Als er mit etwa vierzig Jahren „auf die Kohle" kam, war er für den Beginn der Bergarbeit schon relativ alt. Es verwund er t daher nicht, daß ihm die Arbeit außerordentlich schwerfiel. Es war dabei nicht allein die ungewohnte körperliche Ans trengung, es waren die Umstände und der Charakter der Bergarbeit insgesamt, die ihn vor eine völlig neue Situation stellten. Als Rockstroh I „ins Revier" kam, bestand die Kolonie Kohlgrube schon, hatte aber noch keine en twickelte Struktur. Er wohnte in einem „Burschenzimmer", einer Ar t Massenquartier für Ledige. Später bekam er zwei Zimmer und lebte mit seiner Frau und seinen neun Kindern auf circa 30 Quadratmetern. Der Bergbau war in dieser Phase im Besitz Josef Werndls, der durch den Bau zahlreicher Arbeiterwohnhäuser, aber auch durch sein legeres Auftreten großes Ansehen bei den Bergarbeitern besaß. Werndl wußte sich als Patriarch zu inszenieren. Wenn er in der Kolonie erschien, begrüßte ihn die versammelte Belegschaft im Bergkittel. Besuche Werndls waren immer Feste mit Musik, Freibier und Belus tigungen für die Kinder. Seinen Lebensabend verbrachte das Ehepaar Rockstroh I in Vöcklabruck, wo ihr Enkel - Rockstroh III-seine Lehre absolvier te. Die häufigen Besuche benutzte der Großvater zu ausgiebigen Erzählungen. Unter den vielen Erinnerungen, die Rocks troh III an diese Gespräche hat, finden sich allerdings keine Hinweise auf politische Positionen, Äußerungen oder gar Aktivitäten von Rockstroh I. Sozialdemokrat statt Aufseher: Im Dienst von Partei und Gewerkschaft Der zweite Rockstroh unserer Familiengeschichte kam 1873 in Kohlgrube zur Welt. Im Unterschied zu vielen Söhnen der ers ten Bergarbei tergeneration wird er nicht zum Bergarbei ter „geboren". Wohl begann er nach der Schule im ör tlichen Bergbauunternehmen zu arbeiten, allerdings in der sogenannten „Druckerei", also im Verwaltungsbereich. Von 1894 bis 1897 war er beim Militär in der heutigen Tschechoslowakei. In dieser Zeit erfolgte seine Politisierung, seine Auseinandersetzung mit gewerkschaftlichem und sozialdemokra tischem Gedankengut. Als er, vermutlich 1897, verbotenerweise uniformiert an einer sozialdemokratischen Veranstaltung am Wenzelsplatz in Prag teilnahm und dabei gesehen wurde, verlor er seinen militärischen Rang als Zugsführer. Ein Vorgesetzter erkannte zwar seine Fähigkeiten und nahm ihn zu sich in die Kanzlei, Rockstroh II kehrte aber schließlich nach Kohlgrube zu rück, vor allem, weil sein Vater nicht genug verdiente, um die vielen Kinder ernähren zu können.

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