Der Bezirkshauptmann von Steyr, Dr. Pilshofer, verurteilte die Unterstützung der Landarbeiter durch die Steyrer Industriearbeiter als Mißbrauch des Koalitionsrechtes. So entstand in der Stadt Steyr eine hitzige Nebenfront dieser Auseinandersetzung, die am 21. Juni 1922 zu einem Krawall eskalierte, bei dem der Bezirkshauptmann von den Land- und Industriearbeitern verprügelt wurde.10 Am folgenden Sonntag, dem 24. Juni 1922, schlossen in einer Sitzung „der Bezirksorganisation Steyr des oberösterreichischen Bauernbundes und des christlichen Landarbeiterbundes ... die Bauern einen neuen Lohnvertrag mit dem christlichen Landarbeiterbund ... für alle ... , welche bis Dienstag mittags auf ihren Dienstplatz zurückkehrten. ... Der neue Lohnvertrag erhöhte sämtliche Löhne um 110 %."11 Daraufhin kam es zu Zusammenstößen zwischen zurückkehrenden Landarbeitern und Streikpatrouillen, die den Ausstand fortsetzen wollten. Aber am 10. Juli war der Streik endgültig beendet. 11 Daß die Sozi ... selbst den Streik verloren geben" Zufrieden konnten die christlichen Bauern- und Landarbeiterzeitungen das Ende des Streiks vermelden. Besonders aggressiv wurde im christlichsozialen „Landarbeiterboten" über den Ausgang des Streiks berichtet, der ja vor allem gegen die Vorherrschaft des christlichen Landarbeiterbundes als Vertretungsorganisation der Landarbeiter gerichtet gewesen war. In der Nummer vom 15. Juli 1922 wird berichtet, daß „der rote Streik in Steyr so jammervoll verkracht ist", und es wird von ehemals sozialdemokratischen Landarbeitern erzählt, die anläßlich des Lohnvertrages vom 24. Juni 1922 zu den Christlichsozialen gewechselt seien. ,,Die meisten kommen jetzt in den Christlichen Landarbeiterbund und sagen: ,Mit dem roten Gsott will ich nichts mehr zu tun haben."' Zum Scheitern der Bemühungen der sozialdemokratischen Landarbeiterorganisation, als Tarifpartner bei Lohnverhandlungen anerkannt zu werden, wird im gleichen Artikel voll Spott und Hohn angemerkt: ,,Es soll bei den künftigen Lohnverhandlungen ein sozialdemokratischer Vertreter zu informa tiven Zwecken, rein als Zuhörer ohne Stimmrecht und ohne Verhandlungsrecht beigezogen werden.... Daß die Sozi nun schon mit einem ,Stummer!' bei den Verhandlungen zufrieden wären, zeigt, daß sie selbst den Streik verloren geben." Dezenter gehen naturgemäß die Gewerkschaftshistoriker in der Festschrift „50 Jahre Gewerkschaft der Arbeiter in der Land- und Forstwirtschaft", herausgegeben von Julius Uhlirs, über diesen Ausgang des Arbeitskampfes hinweg: „Er erregte in ganz Österreich großes Aufsehen und wurde am 10. Mai (richtig: 10. Juli, A. R. ) 1922 erfolgreich abgeschlossen. "12 Der einzige Erfolg, der tatsächlich für die Landarbeiter erreicht wurde, war die Lohnerhöhung um 110 Prozent - und die schlug für die christlichen Landarbeiter zu Buche, da sie mit deren Organisation vereinbart wurde. Daß es letz tlich der sozialdemokratische Druck war, durch den dieses Zugeständnis an die christlichen Landarbeiter erreicht wurde, ist allerdings nicht untypisch: Genauso, wie der oberösterreichische Christliche Landarbeiterbund schon seine Entstehung der Angst der Bauernbündler vor einer sozialdemokratischen Organisierung der Dienstboten verdankte, war auch dieses Mal der Druck von außerhalb, von den sozialdemokratischen Gegnern, entscheidend für einen Erfolg der christlichen Arbeitnehmervertretung, deren eigene Programmatik ja von „Klassenkampf" nichts wissen wollte. Anmerkungen ' Uh lirs, Julius (Hg.): 50 Jahre Gewerkschaft d er Arbeiter in der Landund Forstwirtschaft. (= Das Landarbeiterarchiv, Jg. 11 , Sondernummer, Heft 5/6). Wien 1956, S. 61 (149). ,,Landarbeiterbote", 15.7.1927. 3 Ma_ttl, Siegfried: Agrarstruktur/Bauernbewegung und Agrarpolitik in Osterreich 1919-1929. Wien-Salzburg 1981, S. 121. ' Bruckmi.iller, Ernst: Soziale Sicherheit für Bauern und Landarbeiter, in: Bruckmi.iller, E. / Sandgruber, R. / Stekl, H.: Soziale Sicherheit im Nachziehverfahren. Salzburg 1975, S. J 5-129, hier S. 60 ff. 5 Staudinger, Anton: Pfarrchroniken als Quelle der Zeitgeschichte, in: Aspekte und Konflikte eines Kirchenhistorikers - Kirche und Welt in ihrer Begegnung. Hrsg. von Fra nz Loidl. Wien 1976, S. 197-219, hier S. 214. 6 Uhlirs (wie Anm. 1), S. 61. 7 „Landarbei terbote", 15.7.1922. 8 „Bauernzeitung", 22.7.1922. 9 „Landarbeiterbote", 15.7.1922. 10 Uh lirs (wie Anm. 1), S. 61f. 11 „Bauernzeitung", 29.7.1922. 12 Uhli rs (wie Anm. 1), S. 62. 83
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