Die Roten am Land

D och vereinzelt artikulierten auch die westösterreichischen Dienstboten ihre Unzufriedenheit. Ihre sozial- und arbeitsrech tliche Stellung war durch die von den Landtagen erlassenen Landarbeiterordnungen geregelt. Als besonders drückend wurde d as Fehlen einer Einbindung in das Sozialversicherungssystem empfunden. So wurde etwa in Oberösterreich während der gesamten Zeit der Ersten Republik eine befriedigende Lösung dieses Problems verschleppt.4 In dem Gebiet, wo es zum hier darges tellten Arbeitskampf kam, wurden die Löhne zwischen den Regionalorganisationen des christlichen Landarbeiterbundes und des oberösterreichischen Bauernbundes ausgehandelt . Der im Sommer 1920 abgeschlossene Vertrag enthielt folgende Entlohnungsbestimmungen5 - und gibt, auch wenn die absoluten Beträge nicht so aussagekräftig sind, einen guten Einblick in die differenzierte Dienstboten-Hierarchie: Sommer- Wintermonate monate Für Hausknechte und Roßknechte 150 -200 Kr. 130-180 Kr. Mitarbeiter 120 -160 Kr. 100-140 Kr. kleine Mitarbeiter 110 -150 Kr. 90-130 Kr. Sta llbuben (Beginn der Entlohnung mit dem 2. Diens tjahr) 50 - 80 Kr. 30 - 60 Kr. große Dirn, Saudirn 120 -160 Kr. 100-140 Kr. ers te Mitgeherin (2. Sta lldirn) 90 -130 Kr. 70 -110 Kr. zwei te Mitgeherin 80 -120 Kr. 60-100 Kr. Für Küchenmädchen (mit Beginn des 2. Dienstjahres) l. Klasse 50 - 80 Kr. 30 - 60 Kr . II. Klasse 40 - 70 Kr. 20 - 50 Kr . Nach jedem vollen Dienstjahr ha tte jeder Landarbeiter und jede Landarbeiterin Anspruch auf folgende Naturalien: ein Paar Lederschuhe (Holzschuhe ausgeschlossen) und zwei Hemden. Lohnsä tze für Taglöhner pro Tag 14 - 16 Kr. 10 - 12 Kr. für Taglöhnerinnen pro Tag 10 - 12 Kr. 6 - 8 Kr. Als Sommermonate galten die Monate vom 1. Mai bis zum 1. November, die res tlichen Monate galten als Win termonate. Steyr war als Indus triestadt ein Zentrum der oberösterreichischen Arbeiterbewegung. Hier fanden auch viele Menschen aus der ländlichen Umgebung Arbeit. Die Stadt und ihr Umfeld wurden damit zu einer Schnittstelle zwischen ländlicher, vorwiegend christlichsozial orientierter Bevölkerung und sozialdemokratischer Arbeiterschaft. Somit war das Steyrer Gebiet dafür prädestiniert, daß es hier zu einer der ganz wenigen Ak tionen kam, in der Landarbeiter mit gewerkschaftlich organisierten Indus triearbeitern bei einem Arbeitskampf kooperierten. 82 Die streikenden Dienstboten mußten befürchten, während des Ausstandes nicht nur ihren Lohn einzubüßen, sondern auch Quartier und Nahrungsversorgung durch den Dienstgeber zu verlieren . So beschlossen die Steyrer Industriearbeiter in einer Konferenz der gewerkschaftlichen Vertrauensmänner, die von derartigen Maßnahmen Betroffenen auf die Dauer des Streiks in Kos t zu nehmen und ihnen Unterkunft zu gewähren.6 Der christlichsoziale „Landarbeiterbo te" suchte diese Zusammenarbeit mit dem Hinweis zu denunzieren, daß die Sozialdemokraten erpresserischen Druck auf die Landarbeiter ausgeübt hätten, diese Koalition einzugehen : „Teilweise sind sie (die Landarbeiter, A. R.) wirklich überzeug te Sozialdemokra ten, teilweise sind sie Ki nder, Frauen oder nahe Verwandte von sozialdemokra tischen Fabriksarbeitern und müssen gegen ihre innere Überzeugung im roten Land- und Fors tarbeiterverein sein. ,q Der Verlauf des Arbeitskampfes Die Tatsache, daß der Streik nicht nur einer spontanen Auflelmung von isoliert agierenden Dienstboten entsprang, sondern in Anlehnung an die gewerkschaftliche Organisation der sozialdemokra tischen Industriearbeiter begonnen werden konnte, schlug sich auch in den Forderungen der Landarbei ter nieder: Sie stellten nicht nur Lohnforderungen, sondern wollten vor allem auch die Anerkennung der sozialdemokratischen Landarbeitergewerkschaft als Partner bei Lohnverhandlungen durchsetzen und somit das bis dahin bes tehende Vertretungsmonopol des christlichen Landarbeiterbundes brechen. Die deutschnationale „Bauernzei tung", selbs t nicht direkt in diesen Konkurrenzkampf involviert, aber deu tlich antisozialdemokratisch einges tellt, berichtet über den Beginn des Arbeitskampfes: ,,Am Vormittag des 14. d. M. (Juni 1922, A. R.) erhielten die Bürgermeis ter von Gleink, Steyr (Stein) und Wolfern gleichlautende Telegramme aus Linz, worin der Streik der Landarbeiter angekündigt wurde, falls nicht noch am selben Abend Lohnverhandlungen mit den sozialdemokratisch organisierten Landarbeitern einberufen würden .... Die Bauernschaft . . . versammelte sich ... in Steyr zu einer Beratung, in welcher sich die allgemeine Entschlossenheit kundgab, mit den sozialdemokratisch organisierten Landarbeitern keinen eigenen Lolrnvertrag abzuschließen ... "8 Die Christlichen Landarbeiter, deren Alleinvertretungsanspruch für die Dienstboten in Frage ges tellt war, erklärten in ihrem „Landarbei terboten", daß sie „dem mutwilligen roten Streik mit Entschlossenheit" entgegentreten würden .9

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