Zwei Themen sind es, die die Maifeiern dieser Periode beherrschen: Zuerst - bis 1906 - die Wahlrechtsagitation, die schließlich zum Erfolg führt: 1907 werden erstmals die Abgeordneten zum Reichsrat von allen Männern in freier, direkter, geheimer Wahl gewählt. Bei den Maifeiern - vor allem der Jahre 1905 und 1906 -wird sehr intensiv für die Erreichung dieses Zieles geworben. Das zweite große Thema dieser Jahre ist die Friedensfrage, die mit dem Anwachsen der Konflikte in Europa immer mehr ins Zentrum der Aktivitäten rückt. Der Appell an die internationale Solidarität der Arbeiterbewegung und der Kampf gegen Kriegsrüstung werden zum Hauptthema der Veranstaltungen - sofern die Behandlung dieser Frage nicht von der Behörde unterbunden wird, was zunehmend der Fall ist. Weitere Themen, die bei den Versammlungen behandelt wurden, waren nach wie vor der Achtstundentag, aber auch die Frauenfrage - für die Frauen gab es auch 1907 noch kein Wahlrecht - und aktuelle Probleme, wie etwa die Unterstützung der Handlungsgehilfen bei ihrem Kampf um die vollständige Sonntagsruhe (1910) und die Forderung nach Lehrlingsschutz (1911). Die Maifeiern verliefen meist ruhig, sogar ruhiger, als man aufgrund der sozialen und politischen Situation erwarten hätte müssen. So berichtete die Bezirkshauptmannschaft Perg, die Feier am 1. Mai 1910 - der übrigens ein Sonntag war, sodaß es keine Probleme wegen der Arbeitsruhe gab - sei „trotz der tagsvorher erfolgten Kündigung sämtlicher Steinarbeiter (circa 2000) olme Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung verlaufen".10 Mit der Zunahme der internationalen Konflikte werden die Behörden durch die Friedensaktivitäten der Sozialdemokratie sichtlich nervöser. Im Jahr 1911 wird im Innenministerium vermutet, daß der 1. Mai auch für Wahlagitation genützt würde. Es wird darauf aufmerksam gemacht, daß solchen Kundgebungen entgegenzutreten sei. Vor allem sei auf die „Hintanhaltung etwaiger unzulässiger antimilitaristischer Kundgebungen Bedacht zu nehmen".11 Im Jahr 1913 fordert der Innenminister den Statthalter in Linz auf, geplante antimilitaristische Kundgebungen am 1. Mai „unter Ausnützung aller gesetzlichen Handhaben" zu unterbinden. Entsprechende militärische Assistenzen seien sicherzustellen. 1915 bis 1918: ,,Allen Leiden und aller Not zum Trotz ... " „In der grausamen Schule dieses Krieges lernen die, die uns vor dem Krieg nicht hören wollten, die Richtigkeit unserer Anschauungen erkennen. So darf uns heute, allen Leiden und aller Not zum Trotz, die Zuversicht erfüllen, daß letzten Endes unsere Sache triumphieren wird, die Sache der arbeitenden und leidenden Menschheit, die Sache der internationalen Sozialdemokratie. "12 Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurden die Möglichkeiten der Artikulation politischer Forderungen anläßlich der Maifeiern weiter eingeschränkt. Vor allem die Friedenssehnsucht konnte kawn geäußert werden, auch der Internationalismus mußte stark in den Hintergrund treten. Im Jahr 1915 wurde vom Militärkommando darauf hingewiesen, daß in den unter militärischer Aufsicht stehenden oder dem Kriegsdienstleistungsgesetz unterliegenden Betrieben am 1. Mai jedenfalls gearbeitet werden müsse. Erreicht solle dies werden, indem man auf den „patriotischen Sinn der Arbeiter" einwirkt. Kein Einwand besteht gegen Maiversammlungen am Abend, es dürfe nur nicht die Arbeit gestört oder gegen Verfügungen der politischen Behörden verstoßen werden.13 Wie eine Broschüre zum 1. Mai 1916 zeigt, war es natürlich in erster Linie der Krieg mit seinen Folgen, der die Menschen bewegte. Gleichzeitig wurde aber schon an die Zeit nach dem Krieg gedacht, die die Erfüllung aller Forderungen bringen soll.14 Unter Hinweis auf den Pariser Kongreß von 1889 wird gefordert: demokratisches Wahlrecht auch für Landtage und Gemeinden, gesetzlicher Arbeitsschutz, Koalitionsfreiheit, Achtstundentag, Ausgestaltung der Volkswehr zur Garantie des Friedens der Völker. Die Maifeier soll ein internationales Verbrüderungsfest zur Demonstration dieser Forderungen sein. Die oben zitierte Broschüre aus dem Jahr 1916 weist etliche weiße Flecken auf. Es scheint sich dabei vor allem um die Stellung zur Friedensfrage gehandelt zu haben, die der Zensur zum Opfer fiel. Obwohl die Arbeitsruhe am 1. Mai bereits in zahlreichen Kollektivverträgen festgehalten war, wird mitgeteilt, daß die Arbeiter 1916 - wie schon 1915 - freiwillig darauf verzichteten. Anders ist es 1917, als das Innenministerium aufgrund einer Verfügung des Kaisers Auftrag gibt, den Arbeitern, die am 1. Mai Ruhetag halten wollen, keine Schwierigkeiten zu bereiten, und zwar sogar in jenen Betrieben, die unter Militäraufsicht stehen. Allerdings werden keine allgemein zugänglichen Veranstaltungen oder Umzüge durchgeführt, sondern nur Vereinsversammlungen. Sollten trotz Verbots Versammlungen stattfinden, sei nur einzugreifen, wenn es Ausschreitungen gebe. Es wird besonders darauf hingewiesen, daß mit Rücksicht auf das Ausland Konflikte vermieden werden sollen. 15 Für den 1. Mai 1918 schließlich verfügt das Militärkommando in Linz, daß Kriegsgefangene keinesfalls an den Umzügen teilnehmen dürfen. Auch dürfen keine Uniformen oder Uniformteile wie Kappen getragen werden. Sollte es Zuwiderhandlungen geben, sei die Identität der 61
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