Die Roten am Land

Der „Zuzug" unterblieb, das Militär rückte wieder ein, die Arbeitgeber waren beruhigt. Das Ziel der Arbeitsruhe konnte aus den angeführten Gründen nicht überall verwirklicht werden. Allerdings gab es doch viele Betriebe, die ihren Arbeitern freigaben - wohl weniger aus Verständnis für den 1. Mai, sondern eher, um nicht durch Proteste und Streiks mehr Schaden zu erleiden. Wegweisend wirkte die Steyrer Waffenfabrik, wo weder 1890 noch in den folgenden Jahren am 1. Mai gearbeitet werden mußte. Es gab jedoch auch Fälle, wo Zusagen auf Druck der Behörde zurückgezogen wurden. In zwei Gewerbebetrieben im Bezirk Braunau intervenierte die Bezirkshauptmannschaft und zwang die Arbeiter, auf die Arbeitseinstellung zu verzichten. Stolz konnte gemeld et werden: ,, ... sämtliche Arbeiter im Bezirke haben sich somit am 1. Mai musterhaft benommen. "4 Was geschah jedoch bei Verstößen, wenn also Arbeiter gegen den Willen der Unternehmer feierten? Bei einer Fabrik in St. Martin bei Linz wurde am Nachmittag versucht, die Wiederaufnahme der Arbeit zu vereiteln. Der „Hauptagitator", der nach Zwettl zuständig war, wurde entlassen, sofort mit seiner Familie zum Bahnhof gebracht und aus Oberösterreich „abgeschafft", das heißt ausgewiesen. Die übrigen Arbeiter wurden verwarnt. Die Erleichterung über den ruhigen Verlauf der Maifeier ist sowohl bei den Firmeninhabern als auch bei den Behörden deutlich festzustellen. Am 4. Mai dankte die Firma Enderlin der Bezirkshauptmannschaft Linz für 11die große Umsicht und umfassenden Vorkehrungen anläßlich des 1. Mai". Die Statthalterei dankte d em 3. InfanterieTruppen-Kommando in Linz für die 11im Interesse der Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung" gewährte Unterstützung . 5 Insgesamt kann dieser 1. Mai 1890 als großer Erfolg der Arbeiterschaft bezeichnet werden, wobei zwar die Großveranstaltung in Wien mit geschätzten 100.000 Teilnehmern den Höhepunkt darstellte, aber auch in Oberösterreich eindrucksvolle Manifestationen stattfanden. In Steyr - durch die Waffenfabrik eine Hochburg der sozialdemokra tischen Aktivitäten - gab es am Vormittag eine große Versammlung im Casino, bei der eine Petition an das Abgeordnetenhaus beschlossen wurde. Darin nahm man auf das Pariser Programm von 1889 Bezug und forderte den Achtstundentag, die Beschränkung der Frauenarbeit und andere Maßnahmen zum Arbeiterschutz. Am Nachmittag zogen etwa 2000 Arbeiter nach Sand bei Steyr, wo in d en Gasthäusern gefeiert wurde. Ein von der Arbeiterschaft selbst organisierter Ordnerdienst sorgte für einen disziplinierten Ablauf. 1891 bis 1900: Kampf um Arbeitsruhe 11Hoch der Achts tundentag! Hoch das allgemeine Wahlrecht! Es lebe der Arbeiterfeiertag! Es lebe der ers te Mai!"6 Schnell wurde klar, daß der Arbeiterfeiertag 1. Mai zur Dauereinrichtung werden sollte. Allerdings kam es international zu Uneinigkeiten über die Form des Feierns, wobei vor allem die deutsche und die österreichische Sozialdemokratie gegensä tzliche Standpunkte einnahmen. In Österreich bestand man auf dem Kernpunkt d er Feiern, der Arbeitsruhe. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands wich in dieser Frage zurück. Wohl auch d eshalb nützten die Unternehmer in Österreich ihre Stärke und entließen nach der Maifeier 1891 Tausende Arbeiter, die d en Fabriken ferngeblieben waren. 1892 fiel der 1. Mai auf einen Sonntag, daher stellte sich das Problem nicht. Aber auch in den fogenden Jahren wurde in den Staatsbetrieben regelmäßig die Arbei tsruhe untersagt: So wird 1896 von der Betriebsdirektion Linz der k.k. Staatsbahnen bekanntgemacht, daß am 1. Mai gearbeitet werden muß. Fernbleiben wird mit der Dienstentlassung bed roht. Doch zahlreiche Unternehmen gaben von sich aus den Arbeitern frei. Vor allem die Steyrer Waffenfabrik und Betriebe im Linzer Stadtgebiet waren regelmäßig am 1. Mai geschlossen. Unmut erregte die Direktion der Waffenfabrik bei Behörde und Unternehmern, als sie 1893 ihre Arbeiter darüber abstimmen ließ, ob am 1. Mai freigegeben werden sollte. Die Mehrheit entschied sich für einen Feiertag, d er auch tatsächlich gewährt wu rde. Begründet wurde das Vorgehen damit, daß sonst viele Arbeiter eigenmächtig ferngeblieben wären; man hä tte sie dann entlassen müssen, was wiederum zu beträchtlichen Unruhen geführt hätte. Das Handelsministerium bezeichnet c;liesen Vorgang in einem Rundschreiben vom 6. Juni 1893 als ,,im hohen Grade bedauerlich und (er) muß umsomehr befremden, als der Verwalhmg in Folge der ihr behördlicherseits rechtzeitig gemachten Mitteilung bekannt war, welche Haltung die Regierung gegenüber der Maifeier einnehme".7 Besonders störte den Minis ter, daß diese Handlung der Waffenfabrik ein Präjudiz darstellen könnte, daß also Arbeiter anderer Fabriken sich darauf berufen würden. Sie könnten dann ja auch über andere Probleme im Betrieb abstimmen wollen! In dem Rundschreiben werden die Behörden angewiesen, solchen Wünschen bei d en Unternehmen 11kräftigst entgegenzuwirken". Viel braver verhielt sich Franz Werndl, der Besitzer d es Drahtzuges in Unterhimmel bei Steyr, wo am 1. Mai immer 59

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