Die Roten am Land

Losert und der Bergmann Viehauser gründeten den Dientener Arbeiterverein. Auswärtige Agitatoren kamen ins Tal, aus Salzburg und aus anderen Bergwerksorten, zum Beispiel Köflach. Gemeinde und Unternehmen sperrten die einzige ins Tal führende Straße für auswärtige Agitatoren, bis die Behörde dann doch eingriff. Die Sozialdemokratie drang schließlich unter Mitwirkung Loserts auch in die niedrigen Ränge der Eisenbahnbediensteten ein - mit langer Verzögerung, nachdem die Westbahn bereits 1860 und die Tirolerbahn 1872 fertiggestellt waren. Man sollte übrigens die Bedeutung der Eisenbahn für die frühe Arbeiterbewegung nicht überschätzen, da sie offenbar erst in den neunziger Jahren die politische Druchdringung des Landes sowie die landesweite politische Vernetzung des Arbeitermilieus erleichterte. 1893 sind die Pongauer Eisenbahnbediensteten „in bedenklicher Anzahl bereits dem Verein Zukunft beigetreten " 22 . Dreihundert Versammelte „beiderlei Geschlechts, Eisenbahnbedienstete und Arbeiter" nahmen 1894 an einer halblegalen Salzburger Versammlung teil.23 Doch die Organisationsarbeit unter den weit verstreuten Eisenbahnern war nicht leicht: ,,Die hiesigen Eisenbahner (der Landeshauptstadt, H. H.) stehen fest" zur Sozialdemokratie, schreibt Prähauser 1896 der Wiener Parteivertretung; ,,aber ihre Zahl ist eine zu geringe, insbesonders fehlt es an Agitations-Kräften unter ihnen, um sie den Anforderungen entsprechend im Lande verwenden zu können"24 . Dazu kamen betriebliche und obrigkeitliche Unterdrückung, vor allem 1897 die Auflösung sämtlicher sozialdemokratischen Eisenbahnervereinigungen. Damit wurde ein Leerraum geschaffen, den unverzüglich die Katholisch-Konservativen und etwas später auch die Deutschnationalen ausfüllten. Der „Christliche Verkehrsbund" bildete 1912 mit seinen 786 Mitgliedern den Grundstock der christlichen Gewerkschaftsbewegung Salzburgs, die insgesamt 1483 Mitglieder zählte. Fabriksarbeit spielte in Salzburg nur eine geringe Rolle - in der Landeshauptstadt selbst, sodann in Hallein mit Saline, Tabak- und Zellulosefabrik und schließlich im Eisenort Thalgau. Dieses Milieu wurde von der Arbeiterbewegung erst im ausgehenden Jahrhundert erreicht. Der Thalgauer Arbeiterbildungsverein ging nach zweijährigem Bestand 1894 wieder ein. Nur die - handwerklich ausgebildeten - Oberalmer Marmorarbeiter waren sozialdemokratisch . Die räumliche und zahlenmäßige Ausdehnung der Sozialdemokratie mit Hilfe des Vereins „Zukunft" erlaubte 1893 sogar die Ablösung von Oberösterreich und die Bildung einer eigenen Salzburger Landesorganisation mit den fünf Organisationsbezirken Salzburg, Thalgau, Hallein, Bischofshofen und Saalfelden. Für die gleichzeitig so erfolgreiche Gewerkschaftsarbeit und ihre Zusammenfassung zu Kronlandsorganisationen zeigte Losert allerdings kein Interesse. Er betrieb gewissermaßen Grundschulung für eine bessere Welt. An der Sozialdemokratie faszinierte ihn nur die eine Seite, die Abkehr von der herrschenden Eigentumsordnung. Keine Versammlung des Vereins „Zukunft" ohne die mehr oder weniger einstimmige Resolution zur Abschaffung des „Privateigentums an den Produktionsmitteln" - nicht durch revolutionäre Gewalt, sondern ganz· legal durch „Revision des bürgerlichen Gesetzbuches".25 Das Ende der radikalen Utopie - Verabschiedung ins Zirkelwesen Den in Hainfeld abgesegneten langsamen Weg zum Sozialismus über die soziale und kulturelle Regeneration des Proletariats und über das allgemeine Wahlrecht hat Loser t nie betreten . An Hainfeld kritisierte er die Vielfalt der Etappenziele und die fehlende Konzentration auf den Endzweck. Die Gewerkschaften sollten endlich ihre „Reformelei" aufgeben, der Kampf um den „Achtstundentag" und das allgemeine Wahlrecht verschwende lediglich die revolutionäre Energie. Schließlich sollte die Bewegung überhaupt ,,aus dem engeren Gesichtskreis der Arbeiterforderungen heraustreten und zur Vereinigung mit den sozialistisch gesinnten Elementen aller Klassen, aller Stände, zur Erreichung des einen großen Zieles: der Reform des bürgerlichen Rechts" gelangen.26 Das war Loserts Abschied von der Sozialdemokratie. Er landete am Rande der Arbeiterbewegung. Jetzt formulierte er eigene politische Ziele, unter dem Einfluß zeitgenössischer Sozialutopien, zum Beispiel Theodor Hertzkas erträumtem weißen kommunistischen „Freiland" in Schwarzafrika. Einmal in Fahrt, setzte Losert seine Kritik an der Sozialdemokratie konsequent fort. Er rezipierte die Argumente der lautstarken innerparteilichen Opposition der „Unabhängigen" gegen die angeblich zentralistische, verbürokratisierte, in Wahrheit bereits verbürgerlichte Sozialdemokra tie. Victor Adler versuchte vergeblich, im persönlichen Gespräch das verlorene Schaf wieder in die sozialdemokratische Herde zurückzuführen. Auf einer Salzburger Voksversammlung im Mai 1893 erklärte Adler sein sozialdemokratisches Programm, ,,Schritt für Schritt", durch soziale Gesetzgebung und politische Terraingewinne, dem Sozialismus näherzurücken. Diese Sprache verstand die Arbei terschaft. Die „Allgemeine Zeitung" jedoch klagte, daß Adler „die Massen durch Terrorisierung von Losert fernhalte".27 33

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