Die Roten am Land

ökonomische Freiheit erober t werden? Mußte man geduldig mit den Gemäßigten die reife kapitalis tische Produktionsentwicklung abwarten, um einmal in ferner Zukunft das Tor in eine sozialis tische Zukunft zu durchschreiten? Konnte schließlich die politische Entwicklung nicht durch gezielte politische Gewalttaten, ja Attentate, beschleunig t werden? Diese wirklichkeitsblinde Ungeduld führte in Wien und Niederösterreich zu einer Reihe von Attentaten und Überfällen und provozierte geradezu die Proklamierung des Ausnahmezustandes. Jetzt w ichen viele Radikale nach Oberösterreich und Sa lzburg aus. In Oberösterreich ents tand sogar eine Aktivistengruppe, die freilich polizeilich unterwander t war. Zwei prominente Salzburger Sympathisanten dieser oberösterreichischen Szene erklärten zwar, ,, in terroris tischen Aktionen keinen Vorteil zu erblicken, und wollten sich auch von diesen Ak tionen fernhalten", sagten aber der Gruppe Hospodsky in Oberösterreich ihre Unters tützung zu. Der Einigungspartei tag von Hainfeld ha t dieses radikale Grundgefühl nur überlagert. Nicht zu fällig wurde d er ein halbes Jahr zu vor aus der Haft entlassene radikale Egger am 26. Oktober 1890 Obmann des Salzburger Holzarbeiter-Fachvereines.16 Jakob Prähauser, der nächste wichtige Parteifunktionär, repräsentierte den Typus des „klassenbewußten Pragma tikers ", der sich in gewerkschaftlicher Organisationsarbeit und in Lohnkämpfen bewährte. Der Halleiner Steinmetzgehilfe - ,,Marmorschleifer" - stand noch ganz in der Tradition der von Handwerksgesellen geprägten Arbeiterbewegung. Seine Stütze fand er in der rasch aufblühend en Gewerkschaftsbewegung, als sich von 1890 bis 1893, zusätzlich zu den bes tehenden Gewerkschaften der Schneider und Schneiderinnen und d er Schuhmacher, auch jene d er Bäcker, der Holzarbeiter, der Eisen- und Metallarbeiter, der Bauarbeiter und der Verkehrsbediens teten bildeten . Arbeiterfor tbildungsvereine ents tanden jetzt auch in Thalgau (1 892) und in Hallein (1890) - hier war Prähauser ab 1891 Obmann. Anton Losert schließlich, der dritte ini Bunde, ha tte noch kurze Zeit zuvor Kontakte weder zur Arbeiterbewegung noch zur Arbeiterschaft gehabt. Der bürgerliche Intellektuelle suchte die Freihei t durch eine politische Radikalkur und stolperte dabei über die Sozialdemokratie. Er war ein glänzender Redner und Organisa tor, er kannte das Land au s seiner Berufstätigkeit, und er war schließlich arbeitslos. Losert hat der Salzburger Soziald emokratie in wenigen Monaten neue Räume und soziale Felder erober t, das gebirgige Land und die Bergarbeiter, zule tz t sogar Eisenbahner, während die Bewegung bis dahin auf die Städte Salzburg und Hallein sowie auf die handwerklichen Gesellen des Kleingewerbes und der k.k. Staatsbahndirektion beschränkt geblieben war. 32 Die landwirtschaftlichen Arbeiter freilich hat Losert erfolglos umworben. Hier wirkte die katholisch-konservative Immunisierungsstrategie. Als dritter Arm der Arbeiterbewegung, neben Arbeiterbildungsverein und Gewerkschaft, entstand am 1. Jänner 1892 unter d er Obmannschaft Eggers und mit Prähauser als Au sschußmitglied der politische Verein „Zukunft " zum Zwecke d er landesweiten Aufklärung und zur Aufstellung geeigne ter Kandidaten für Gemeindevertretungen, Landtag und Reichsrat. Schon am 21. Jänner 1891 verlangte Losert in einer öffentlichen Vereinssitzung in Maxglan, „daß da s socialdemokratische Programm hinausgetragen werden müsse ins Land"17 . Der Verein „Zukunft " wurde unter Mitwirkung Loserts zum „fli egenden Corps" der Salzburger Arbei terbewegung.18 Der Verein begann seine Versammlungen in Maxglan und Salzburg, sodann kamen d er Flachgau und d er Tennengau , Grödig, Gnigl, Eugendorf, Neumarkt, Thalgau, Straßwalchen, Niederalm und Hallein. Schließlich drang er sys tematisch über Werfen, Bischofshofen, Lend, Taxenbach und Dienten ins Gebirge vor. Lend besaß s tra tegische Bedeutung im Kommunikationssystem, war mit der Bahn aus Salzburg und aus d em Pinzgau her gut erreichbar und außerdem ein Umschlagplatz für Menschen und Waren ins Gas teinerta l. Als ers tes wurden 1893/94 die weit verstreuten Handwerksgesellen d es Gebirgslandes erfaßt. Losert eroberte sodann die Knappen und Hüttenarbeiter Mitterbergs und Außerfeldens - das traditionsreiche, bisher noch ganz patriarchalisch verwaltete Kupferunternehmen. Die Gewerkenarbeiter waren größtenteils Einheimische beziehungsweise Kleinbauern aus dem nahegelegenen Dienten, welche zum Wochenende auf ihre kleinen Hofstellen zurü ckkehr ten. Am 1. Mai 1890 kamen sie geschlossen zur Arbeit: Zum Lohn für soviel politische Bedürfnislosigkeit wurde den Hüttenarbeitern d er Nachmittag des 1. Mai freigegeben, damit der Gewerkenvorstand „denselben im Wirtshause zu Außerfelden seine Anerkennung in gemüthlicher, ehrender Ar t beweisen " konnte. Für die Bergarbeiter war eine spätere Feier vorgesehen. Die Kupferarbeiter hatten ,,bislang alle Einflüsse von Außen"19 zurückgewiesen. Noch 1890 gab es anläßlich d er Einführung d er s taatlichen Bergarbeiterversicherung d och einen ersten Konflikt. Die zumeist jüngeren „Renitenten" hatten daraufüin „freiwillig offene Abbitte" zu leis ten.20 In dieser Situation kamen die Mitterberger Arbeiter mit Losert in Kontakt. „Die Frucht d ieser Saat macht sich schon bald bemerkbar, als unter der bisher bekannt zufriedenen und gutmüthigen Arbeiterschaft der Gewerkschaften (also der Unternehmen, H. H. ) sich die Fä lle von Renitenz und Unzufriedenheit in auffälliger Weise n1ehren. "21

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