Die Roten am Land

Das sozialistische Milieu ließ sich trotz der langjährigen Unterbrechung tatsächlich wieder mobilisieren. Die Menschen rückten in alter Geschlossenheit zusammen und erlebten sich einmal mehr als Teil jener Gegengesellschaft, die noch immer in Kontrast zur bürgerlichen Gesellschaft stand. Diese gewaltigen Arbeiterdemonstrationen waren vielen Salzburgern ein Dorn im Auge. Das Verhalten der SPÖler wurde von der Stadt-ÖVP geradezu als Provokation verstanden. So hatten sich die Obus-Fahrer die Frechheit erlaubt, öffentliche Verkehrsmittel mit roten Fähnchen zu schmücken. Ab 1950 wurden nur noch rot-weiß-rote Fahnen gestattet.10 Auch mit der Kirche entstanden Probleme. Die Schlußkundgebung der Parteiveranstaltung am Residenzplatz, dem Herz der Innenstadt, hatte symbolischen Charakter: Der Residenzplatz befindet sich neben dem Salzburger Dom. Das Erzbischöfliche Ordinariat empfand dies als störend. Dort zeigte man sich erst zufrieden, als die SPÖ auf den Residenzplatz verzichtete: „Von Seite der katholischen Kirche wurde es als angenehm empfunden, daß Sie im vergangenen Jahr am 1. Mai (1954) den Schlußakt Ihrer Maifeier vom Residenzplatz an eine andere Stelle verlegt haben. Da heuer der 1. Mai auf einen Sonntag trifft, würden wir es sehr begrüßen, wenn auch dieses Jahr der Residenzplatz nicht beansprucht würde, umso mehr, da die sonntägliche Gottesdienstordnung im Dom mit dem Schlußakt Ihrer Veranstaltung kollidierte."11 Aufschwung der Organisation in den Landregionen Erfolge konnte die Salzburger SPÖ auch bei der Mitgliederwerbung verbuchen. Schon Ende 1945 verfügte sie mit 10.347 Mitgliedern über nur geringfügig weniger als im Jahre 1932. Bis 1949 konnte die Mitgliederzahl nahezu verdoppelt werden. Der Bundes-SPÖ gelang es dagegen erst wieder in den fünfziger Jahren, den Mitgliederstand der Zeit vor 1933 /34 zu erreichen. Der Bevölkerungszuwachs und die Veränderungen in der Wirtschafts- und Sozialstruktur spielten ebenso eine Rolle wie die neue Stellung der SPÖ. Als staatstragende Mitglieder- und Wählerpartei, die mehrheitsfähig werden wollte, mußte sie über eine reine Arbeiterpartei hinauswachsen. Das neue Image: eine wahre Volkspartei, die alle hart arbeitenden Menschen vertritt. Dabei galt es, schwierige Seiltänze zwischen links- und rechtssozialistischen Positionen zu absolvieren. Für die Kernschichten mußte die SPÖ die Rolle einer noch immer klassenkämpferischen Partei erfüllen. Am Land wiederum war man peinlich 176 bemüht, das Bild einer eigentumsfeindlichen Verstaatlichungspartei zu verwischen. Damit wurde es möglich, bereits nach 1945 auch in andere Schichten vorzudringen. Der Vormarsch aufs Land war, gemessen an den Ausgangsbedingungen, eindrucksvoll. In einem Fremdenverkehrsland wie Salzburg trug die von der SPÖ angestrebte „Modernisierung der Landgemeinden" zu dieser Entwicklung wesentlich bei. Früher war es in nur knapp der Hälfte der Salzburger Gemeinden - ansatzweise - möglich gewesen, ein sozialistisches Organisationsleben zu entfalten. Bis Ende 1945 verfügte nun fast jeder Ort über eine eigene SP-Lokalorganisation. Selbst in „kohlschwarzen" Gemeinden war es gelungen, die für eine Lokalgruppe notwendigen fünf Sozialist/ inn/ en zusammenzubringen. Vor allem in den organisationsschwachen Bezirken, im Flachgau, Lungau, aber auch in Kleingemeinden anderer Regionen handelte es sich oft um Mini-Organisationen. Sie standen auf wackligen Beinen und waren ständig vom Zerfall bedroht. Mitunter konnte ein rühriger Lokalobmann - Frauen gab es nicht in dieser Funktion - die Auflösung zeitlich hinauszögern. Aufzuhalten war sie zumeist nicht einmal durch eine massive Unterstützung vonseiten des Landesparteisekretärs: „Einmal mußte ich als Versammlungsredner nach Hollersbach (Oberpinzgau). Für Samstagabend hatten sie die Versammlung geplant. Von Salzburg aus war das damals eine Weltreise. Mittags bin ich weggefahren nach Zell am See, damit ich bis halb sieben dort hinaufkomm'. Eiskalt war' s damals. Und wie ich hinaufkomm', erwartet mich im Versammlungs-Wirtshaus unser Obmann und der Wirt. Die Rede hab' ich mir sparen können. ... Am Sonntag ging's dann wieder zurück. Im ganzen hatte ich zwei Leute gesehen, den ,schwarzen' Wirt und den ,roten ' Obmann. Und das war dann unser Wochenend-Vergnügen. "12 Der soziale Druck und die Furcht vor Ortsautoritäten und Nachbarn haben sozialistische Aktivitäten verhindert oder eingeschränkt. Nachteile, die sich Rate durch ein SPÖEngagement einhandelten, wirkten abschreckend. Das fing schon mit einem unverbindlichen Versammlungsbesuch an. So wurden in Fusch an der Glocknerstraße die SPÖVersammlungen in einem abgeschlossenen Extrastüberl durchgeführt, um die Teilnehmer vor den Blicken der anderen Wirtshaus-Gäste zu schützen. „Da ist dann aber einer von der ÖVP dringesessen und hat alle aufgeschrieben. "13 Fusch war eine ÖVP-Gemeinde mit zahlreichen Großbauern. Doch durch Kraftwerks- und Straßenbau verfügte der Ort schon aus der Zeit der Ersten Republik über ein gewisses Arbeiterpotential.

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