Die Roten am Land

Im Jahre 1884 schrieb der Franzose Jules Gourdault nach einem Besuch im Bregenzerwald: „Jene, die keinen Platz an der Sonne haben oder für die es keinen Platz in der Herberge gibt, sind deshalb nicht in Verlegenheit. Leichten Fußes wandern sie aus, die Mehrzahl als Gipser (Stukkateure), andere wieder als Holzarbeiter. . .. Die Frauen sticken gern Vorhänge aus feinem Nesseltuch. Die Region hat keine echten Fabriken, aber in zahllosen Häusern, selbst in einfachen Hütten im ga nzen Bregenzerwald entdeckt man Handarbeiten, Stickrahmen, wie im Schweizer Kanton Appenzell. "2 Die Idylle war ein Trugbild des Reisenden: Die Armut war allgegenwärtig. Die Frauen stickten in den meisten Fällen nicht „gern", sondern aus Not. Die Männer wanderten in der Mehrzahl nicht „leichten Fußes", sondern oft schweren Herzens. Gerade in der Mitte des 19. Jahrhunder ts waren Nebenerwerbsmöglichkeiten nur mehr beschränkt vorhanden, da mit der Mechanisierung der Spinnereien und später der Webereien das textile Heimgewerbe verdrängt wurde. Der Bettel nahm im Tal immer mehr zu, sodaß sich einzelne Gemeindevorstehungen beziehungsweise die Pfarreien in großen Schwierigkeiten befanden. Im Jahre 1860 schreibt beispielsweise Aloys Stockmayr, der Pfarrer von Schoppernau, in seiner Pfarrchronik: ,,Dieses Jahr zeichnete sich besonders durch die vielen Gassenbettler, namentlich Handwerksburschen, Vagabunden etc. aus; an manchen Tagen kommen mehr als 20 Bettler zur Pfarrtüre, im Durchschnitt kann ich annehmen täglich 5."3 Reformbestrebungen - 11Partei der Gleichberechtigung" In dieser Situation gärte es unter der armen Bevölkerung, aber auch etliche Wohlhabende sahen sich zu Reformvorschlägen veranlaßt. Zu ihnen gehörte der Lithograph und spätere Landtagsabgeordnete der Liberalen Josef Feuerstein. Sein Vater hatte die größte Tabakproduktion in Vorarlberg betrieben und seinem Sohn ein bedeutendes Vermögen hinterlassen. Feuerstein beerbte zudem seinen Onkel Franz Xaver Feuerstein und erhielt so eine Steindruckerei in Bregenz. 1858 heiratete er die Tochter des vermögenden Landrichters von Bezau, dem Hauptort des Bregenzerwaldes. Er machte deren Elternhaus, den „Gasthof zur Sonne", zum Mittelpunkt der Intellektuellen und Reformer des Tales.4 Vermutlich über Vermittlung des Bezauer Gemeindearztes Dr. Gallus Greber kam Feuerstein mit dem Bauern und Dichter Franz Michael Felder aus Schoppernau, am Ende des Bregenzerwaldes, und dessen Schwager Kaspar Moosbrugger in Kontakt. Es entwickelte sich eine persön14 liehe und politische Freundschaft, die allerdings auch von erheblichen inhaltlichen Differenzen geprägt war. Zum einen konnte und wollte Feuerstein den „antikirchlichen" Vorstellungen Felders und vor allem Moosbruggers nicht folgen.5 Feuerstein war von seiner Herkunft und von seiner ökonomischen Stellung her, aber auch als „Realpolitiker" - Bürgermeister von Bezau und liberaler Landtagsabgeordneter - in der Kirchenfrage wesentlich konzilianter. Zum andern unterschied sich Feuerstein von seinen Mitstreitern in der Beurteilung der „sozialen Frage" und deren Lösung. Während Felder auf der Linie des deutschen Sozialistenführers Lassalle wirkte, den er als „meinen Mann" bezeichnete und dessen theoretische Auseinandersetzungen er genau verfolgte6 , vertrat Feuerstein eher bürgerlich-liberale Vorstellungen und mahnte zur Vorsicht. So in einem Brief vom 7. August 1866: „Wäre des nicht besser gethan, wenn man nach dem Beispiele der Pionire zuers t im kleinen u. sicher vorgehen würde. Wem1 man Consum Vereine gründen würde aber vorerst ganz im kleinen d. h. nur mit ein paar Gegenständen z. B. Salz, Kaffee, Gerste. Welch eine Menge Salz bedarf der Bregenzerwald, u. wie werden die Bauern übervortheilt, oft bei einem einzigen Sake um zwei Gulden! . . . Der Consum Verein wäre für das Volk eine Schule genoßenschaftlichen Strebens und man könnte so nach u. nach auf schwirigere Unternehmungen wie der Käsehand! ung übergehen. ,q Felder hatte für solche Konsumgenossenschaften nur Spott übrig: Er wollte das Volk „rührig" wissen und nicht zum ,,sparenden Philister" erziehen: ,,Lieber mit Hindernissen Jahre kämpfen und dann etwas tüchtiges, zeitgemäßes, als mit kleinen Vereinen, die dem Meinen sicher von selbst fo lgen wie der Troß dem Fürstenwagen, die besten Kräfte im Land zersplittern und entzweien ." Felder wies in seinem mehrseitigen Antwortschreiben vom 10. August 1866 auch auf die systemstabilisierende Kraft solcher „Philistervereine" hin, wie sie vom deutschen Ökonomen Schulze-Delitzsch propagiert worden waren und wie sie auch von Feuerstein vertreten wurden: ,,Da stand Schulze auf und predigte vom Sparen, vom im kleinen anfangen, von Consum und Vorschußvereinen. So wurde die Angst der deutschen Geldsäcke glücklich zers treu t. Dankbar dafür schenkten sie Herrn Schulze von Delitzsch 45.000 Thaler, wofür er nun wirken muß ."8 Im hintersten Teil des Bregenzerwaldes traten also mit Felder und Moosbrugger Männer auf, welche die theoretischen Auseinandersetzungen über die Lösung der „sozialen Frage" verfolgten und selbst Partei ergriffen. Nicht nur das: Felder, Moosbrugger und Feuerstein gründeten

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