Die Roten am Land

Neben den Sozialdemokraten mußten 1934 auch die Großdeutschen und die Landbündler aus dem öffentlichen Leben ausscheiden. Und in diesem neuen Untergrund findet jene Radikalisierung statt, die im März 1938 angeblich so überraschend an die Oberfläche tritt. Nicht wenige alte Sozialdemokraten bezeugen heute noch die emo tionale Nähe zu den damaligen Nationalsozialisten in der gemeinsamen Erfahrung der Illegalität. Und hat nicht auch ein Richard Bernaschek, der Linzer Schutzbundführer und Säulenheilige der Parteilinken, unmittelbar nach seiner Flucht aus dem Linzer Landesgericht in München mit Theo Habicht verhandelt- bereit, sich mit Tod und Teufel zu verbünden im Kampf gegen den verhaßten grünen Faschismus des Dollfuß- und Heimwehrstaates? Das nach der Februar-Revolte verstärkt einsetzende Bemühen der Nazi um die nun heimatlos gewordene Arbeiterschaft trägt Früchte. Bereits am 27. März 1934 berichtet der Gendarmerieposten Neumarkt, daß die illegale Ortsgruppe der NSDAP nunmehr auch durch ehemalige Sozialdemokraten verstärkt wird. Und der Posten Tragwein meldet unter demselben Datum: „Die aufgelöste NSDAP und die SdP zeigen gegenseitig ein gutes Einvernehmen, und es besteht der dringende Verdacht, daß sie heimlich gegen die Regierung arbeiten ."22 Besonders deutlich wird diese Entwicklung später auch bei den Eisenbahnern im Raum Pregarten/War tberg/Gaisbach: Unmittelbar nach dem März 1938 kommt es gerade im Eisenbahnermilieu zu zahlreichen NS-feindlichen Delikten. Andererseits rekrutiert sich die SA-Pregarten sehr stark aus Eisenbahnern, die sich 1944 massiv an Mißhandlungen polnischer und ukrainischer Landarbeiter beteiligen.23 Franz Kelischek wird nach dem Februar-Abkommen von Berchtesgaden Volkspolitischer Referent in der Vaterländischen Front Königswiesen - die Volkspolitischen Referate sollen die illegalen Nazi integrieren und werden zu deren Plattform. Das Bürgermeisteramt erhält Kelischek dann vermutlich im Laufe des Jahres 1938, jedenfalls aber noch nicht im März. Es sind von ihm keine Übergriffe auf politische Gegner bekannt; auch nach 1945 sind keine diesbezüglichen Anzeigen erstattet worden. Alle Berichte aus Königswiesen deuten darauf hin, daß es dort nicht zu jenem total verhetzten Klima gekommen ist, da s wir aus anderen Mühlviertler Gemeinden sehr wohl kennen. „Ein Erlebnis mit Kelischek möchte ich noch erzählen, das ich im Geschäft meiner Mutter selber gehabt habe: Dort hat ihn eine kleine Bäuerin angesprochen. Ihr Mann war eingerückt, sie hatten kein Fleisch mehr im Haus, durften aber auch kein Schwein schlachten. Das hat sie ihm vorgejammert. Kelischek, der erka nnte, was sie von ihm wollte, sagte nur: ,Schau, Frau, erlauben kann ich Dir das nicht."'24 Als nach der Befreiung das Mühlviertel von den Sowjettruppen besetzt wurde, sollte auch Kelischek deportiert werden. Er war aber schon seit Jahren schwer asthmaleidend. ,,Die Russen haben ihn die Straße zum Marktplatz hinaufgetrieben. Er bekam überhaupt keine Lu ft mehr, und wenn, dann hörte man seinen Atem weithin pfeifen. Immer wieder ist er hingefallen, aber sie haben ihn aufgerissen und weitergetrieben, bis sie es dann aufgegeben haben."25 Kelischek blieb in Königswiesen, wo er am 26. Februar 1946 gestorben ist. Anmerkungen ' Kamrnerstätter, Peter: Der Aufstand des Republikanischen Schutzbundes am 12. Februar 1934 in Oberösterreich, Linz 1984 (LudwigBoltzman n-lnstitut für Geschichte der Arbeiterbewegung), S. 801 ff. 2 Steinmaß!, Franz: Das Ha kenkreuz im Hügelland. Nationalsozialismus, Widerstand und Verfolgung im Bezirk Freistadt 1938-1945. Grünbach 1988, S. 28 ff. 3 Oberösterreichisches Landesarchiv, BH Freistadt, Hs. 673. 4 Kammerstätter (wie Anm. 1), S. 812. 5 „Linzer Wochenblatt", 31.3.1932. 6 Karnmerstätter (wie Anm. 1), S. 816. 7 Anklageschrift der Staatsanwaltschaft a n da s Landesgericht Linz, 4 St. 3169 / 35, Kopie im Besitz der Arbeiterkammer Freistadt. 8 Bericht d er BH Freistadt an di e SD. für Oberösterreich vom 3.8.1935, Oberösterreichisches Landesarchiv, BH Freistadt Hs. 678. ' Dokumentationsarchiv des österr. Widerstand es, Nr. 12.215. 1° Kammerstätter (wie Anm. 1), S. 806. 11 Steinmaß ] (wie Anm. 2), S. 230 f. und S. 240. 12 Ebd ., S. 147 ff. 13 Oberösterreichisches Landesarchiv, BG. Prega rten, Sch. 3. 1 • 1 Landesgericht Linz, Zl. Vg 8 Vr 6536/47, S. 70. 15 Neugebauer, Wolfgang: Diverse Widerstandsgruppen, in: Widers tand und Verfolgung in Oberösterreich, hrsg. vorn Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Band 2. Wien 1982, S. 356. 16 Alle wei teren Angaben bei Steinmaß! (wie Anm. 2), S. 120 ff. 17 Slapnicka , Harry: Oberösterreich von d er Monarchie zu r Republik. Linz 1979; ders.: Oberösterre ich. Die politische Führungsschicht 19181938. Linz 1976, S. 145; weiters persönliche Informationen von OLGR Dr. Max Weichselbaumer (Linz), einem Neffen Franz Kelischeks. 1 ' Informa ti on Dr. Weichselbaumer, Linz. 19 Slapni cka: Führungsschicht (wie Anm. 17), S. 146. 20 Wie Anm. 18. 21 Ebd. 22 Steinmaß! (wie Anm. 2), S. 42 ff. 23 Ebd., S. 299 ff. und S. 408 ff. 24 Wie Anm. 18. 25 Ebd. 155

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