Die Roten am Land

wird 1934 wegen Wechselreiterei strafrechtlich verurteilt. Eine Schwester führt einen Gemischtwarenhandel in Königswiesen. Der hochbegabte Franz studiert in Wien Philosophie und verkehrt in den Kreisen linksintellektueller Studenten . Seine Dissertation über Hegel wird zwar noch fertig und auch approbiert, noch vor der Promotion aber muß er im Ersten Weltkrieg einrücken. Aus dieser Zeit weiß man wenig von ihm, außer, daß er eine Geschichte seines Regiments verfaßt hat. Im November 1918 rüstet er als Zugsführer in Linz ab . Er wird sofor t im Soldatenrat aktiv und zu dessen Sprecher gewählt. In diesen drei Linzer Jahren arbeitet er eng mit dem Räteflügel der oberösterreichischen Sozialdemokratie zusammen: mit Richard Strasser, Eduard Euller, Ludwig Mehr und den Brüdern Ludwig und Richard Bernaschek.17 Die Hauptaufgabe der Räte in der großen No tzeit unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkrieges war es, die Versorgung der städtischen Bevölkerung mit Lebensmitteln zu sichern. Die Ablieferungsverpflichtungen der Bauern werden rigoros kontrolliert, nicht wenige Stück Vieh werden bei lieferungsunwilligen Bauern beschlagnahmt. In diesen Jahren bildet sich endgültig der tiefe Graben zwischen den Bauern und der organisierten Arbeiterschaft heraus, der die politische Kultur bis wei t in die sechziger und siebziger Jahre herauf prägen sollte. Aber nicht nur bei den Bauern werden Lebensmittel requirier t. „Der spätere Gendannerieoberst Renoldner, damals ein einfacher Gendarm, hat mir einmal erzählt, daß in der Conrad-Kaserne in Linz noch ein großes Lebensmittel-Depot aus dem Krieg war, das die Gendarmerie nicht herausrücken wollte. Der Solda tenrat war nahe daran, die Kaserne mit Waffengewalt zu erobern, bevor die Gendarmen doch nachgegeben haben ."18 Zweifellos war die Politik der Arbeiter- und Soldatenräte in diesen ersten Nachkriegsjahren zwar radikal, aber keineswegs geradlinig. Der aus der russischen Revolution stammende Rätegedanke, im benachbarten Bayern kurzfristig ebenso praktiziert wie in Ungarn, steht im krassen Gegensatz zur repräsentativen Demokratie, die sich in den Parlamenten entfaltet. Aber die oberösterreichischen Räte gehen beide - gegensätzlichen - Wege; Strasser und Euller kommen in den Landtag. Kelischek wird Mitglied des Linzer Gemeinderats. Außerdem läßt er sich als Sprecher des Soldatenrates von der Landesregierung besolden und einen Dienstwagen zur Verfügung stellen. Trotzdem dürfte Kelischek am zähesten gegen die Entwicklung hin zum Parlamentarismus angekämpft haben: Resigniert legt er im Februar 1921 seine beiden Funktionen zurück, nicht ohne bei einem Abschiedsabend seine Genossen an ihre „revolutionäre Aufgabe" zu erinnern. 19 154 Er kehrt nach Königswiesen zurück - ein schwieriges politisches Terrain. Während der ganzen Zei t der Ersten Republik gibt es dort keinen einzigen sozialdemokratischen Gemeinderat, bei Landtags- und Nationalratswahlen erreichen die Sozialdemokraten im besten Falle sechs bis sieben Prozent der Stimmen, obwohl sich um 1927 die zahlenmäßig relativ starke Gruppe der Holzarbeiter sozialdemokratisch organisiert. „Es hat immer geheißen, in Königswiesen gibt es gerade drei Ro te: den Kelischek, einen Wagner und einen pensionierten Gendannen."20 Die politische Kultur dieser Landgemeinden macht Kelischek, den Intellektuellen, zum Außenseiter. Sie ist zutiefst von den patriarchalischen Strukturen des bäuerlichen Lebens geprägt. Die politischen Entscheidungen fallen in einem kleinen Kreis bäuerlicher und gewerblicher Funktionäre und orientieren sich an deren Interessen.Wer nichts ha t, hat auch nichts zu reden - bis 1919 hatten die Habenichtse nicht einmal ein Wahlrecht für Landtag und Gemeinde. Die politische Kultur ist zwa r stockkonserva tiv, bäuerlich-patriarchalisch, aber nie wirklich faschis tisch, auch nicht austro. Bei den Wahlen 1930 und 1931 überschreiten die Heimwehren, die als „Heima tblock" an treten, in Königswiesen nie die statistisch wahrnehmbare Größe von einem Prozent. Offensichtlich ist sich Franz Kelischek sehr rasch darüber im klaren, auf welch verlorenem Posten er hier steht. Er verzichtet auf jede politische Betätigung, kandidiert nie für den Gemeinderat. Seine politischen Äußerungen wirken oft von oben herab und arrogan t, verraten sein Wissen darum, daß er doch keine Chance ha t, verstanden zu werden, entspringen einer geis tigen Isolation, nicht wirklichem Hochmut. Materiell entwickelt er sich zu einem Lebenskünstler. „Wovon er wirklich gelebt hat, weiß ich auch nicht. Er war zwar Kon trolleur bei der Krankenkasse, aber da hat er sicher nicht viel verdient. Und was er sonst gemacht ha t, kann ich nicht sagen." 21 Wann genau er von den Linken zu den Deutschnationalen wechselte, ist nicht bekannt, vermutlich in den Jahren 1933/34 oder knapp später. Die großdeutschen Visionen waren ja nach dem Niedergang der Linken die einzig noch verbleibenden, vor allem in den klerikal-konservativen ländlichen Gebieten. Denn die Vaterländische Front war nie eine geis tige Bewegung gewesen, hat nie die Phantasien der Menschen angeregt. Sie war immer betulich kleinmütig, defensiv nach links und rechts, in ihrem Elan gebremst von den zahlreichen Zwangsmitgliedern, vor allem aus dem öffentlichen Dienst, die im besten Fa ll „Pflichterfüllung", nie aber Engagement einbrachten.

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