Die Roten am Land

ration: In seinem Schreibtisch in der Kanzlei der Krankenkasse lagen noch am 9. Oktober 1944, dem Tage seiner Verhaftung, schriftliche Unterlagen des Widerstandes, darunter eine Spendenliste, so schlicht getarnt, daß ich selber sie auf den ersten Blick als solche dechiffrieren konnte. Als der in konspirativer Arbei t erfahrene Hans Eibens teiner erfährt, daß überhaupt Spendenlisten angelegt worden sind, schlägt er die Hände über dem Kopf zusammen und sagt: ,,Da hättet ihr euch ja gleich selber aufhängen können! " Daß diese Dokumente der Ges tapo nicht in die Hände gefallen sind, ist dem Mut eines Sechzehnjährigen zu verdanken . Hellmut Heidlberger war damals Kanzleilehrling bei Hermentin. Sein Vater, ein gut österreichischer Gendarm, war 1938 strafversetz t worden, und Hellmut war zwar nicht in die Interna des Widerstandes eingeweiht, wurde aber gelegentlich zu Botengängen eingesetz t. Der helle Kopf konnte sich bald ausmalen, was da gespielt wurde. Nachdem sein Chef am Vormittag verhaftet worden war, durchsuchte er in der Mittagszeit, als er allein in der Kanzlei war, dessen Schreibtisch und versteckte alle ihm verdächtigen Schriftstücke im Aktenlager. Dort hat er sie nach seiner Rückkehr aus der Haft im Mai 1945 tatsächlich wieder gefunden. Die erste Verhaftungswelle vom 9. bis 11. Oktober 1944 erfaßte gut 30 Personen, unter ihnen mindes tens acht Frauen. Insgesamt wurden in diesem Zusammenhang bis zum l. Jänner 1945 wei t über 50 Personen in Freistadt und Umgebung verhaftet; von 55 sind die Namen bekannt. Freilich ist darunter auch eine Reihe von Personen, die von der ganzen Sache überhaupt keine Ahnung hatten. Hermentin wird bereits in den ersten Stunden seiner Haft grausam mißhandelt. Er wird an seiner Krawatte aufgehängt, daß er beinahe daran erstickt und bereits in Freistadt mit einem Spiegelscherben seinen ers ten Selbstmordversuch unternimmt. Der „harte Kern" der Gruppe ist von der Ges tapo sicher schwers t mißhandelt worden . Von Hermentins Freund Leopold Kotzmann berichtet der spätere Vizebürgermeister von Sandl, Leopold Riepl: ,,Kotzmann muß Fürchterliches mitgemacht haben . Er war frü - her ein stattlicher Marrn mit schwa rzen Haaren gewesen, jetz t war er schlohweiß und gebrochen. Unmittelbar nach der Verhandlung konnten wir kurz miteinander reden. Er hat mir dabei Abbitte geleistet für seine Aussagen. Ich glaube, er hatte im Gesicht sogar Na rben." Kotzmann war innerlich so zers tört, daß er mit Leopold Riepl seinen bes ten Freund vor dem Mifüärgericht so schwer belastete, daß dieser zum Tode verurteilt wurde. Das Urteil wurde aber nicht mehr vollstreckt. Am 27./28. Februar tagte in Linz der Volksgerichtshof. Acht Freistädter, unter ihnen Ludwig Hermentin, und der Linzer Thallinger werden wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Ihre Anwälte setzen ein Gnadengesuch an die Reichskanzlei auf, das jedoch vor Kriegsende nicht mehr behandelt wird. Der letz te Akt dieses Dramas steht in klarem Gegensatz selbst zu den NS-Gesetzen und ist darüber hinaus ein österreichischer Skandal: Am 26. April 1945 setzt sich Ministerialdirigent Dr. Krützner vom Reichsjustizministerium aus dem schwer umkämpften Berlin nach Linz ab und ordnet gegenüber dem Oberstaa tsanwalt Dr. Oskar Wetz! die Hinrichtung der Freistädter und weiterer fünf Personen an. Er hatte keinen schriftlichen Befehl aus Berlin mitgebracht und erteilte Dr. Wetz! den Auftrag nur mündlich. Erst Dr. Wetz! wandelte diesen Auftrag in einen schriftlichen Befehl um: Damit begann die gnadenlose Maschinerie zu laufen . Am 1. Mai 1945 wurden die 13 Delinquenten mit einem Bus zur Militärschießstätte nach Treffling gebracht und dort von 16- und 17jährigen Hitlerbuben erschossen. Der Notar Hiris starb kurz nach Kriegsende, am 20. Mai 1945, an den Folgen der Gestapo-Haft. Von den b_eteiligten Tätern wurde spä ter lediglich der Gestapo-Mann Johann Haller zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Die ganze mörderische Seilschaft der Linzer Staatsanwälte, die in derselben Zeit noch die Todesurteile gegen fünf Bürger aus der Mühlviertler Gemeinde Peilstein durchgezogen hatten, ging straffrei aus. Auch zwei gegen Dr. Krützner in Berlin angestrengte Verfahren wurden von der Staatsanwaltschaft einges tellt. In Freis tadt erhielten die Toten des l. Mai, nachdem sie zuerst in einem Massengrab verscharrt worden waren, zwar ein würdiges Begräbnis, aber bis heute erinnert weder ein Denkmal noch eine Straßenbezeichnung an diese mutigen Frauen und Männer. 3. Franz Kelischek - Vom Soldatenrat zum NS-Bürgermeister Franz Kelischek stammt aus Königswiesen, einer Marktgemeinde im östlichen Mühlviertel, har t an der Grenze zu Niederös terreich. Dort wird er 1884 als Sohn eines Gastwirtes geboren. Damit gehören die Kelischeks zu den Königswiesener Marktbürgern, was auch die Entwicklung seiner Geschwister zeigt: Ein Bruder wird Priester, einer bekommt ein Sägewerk samt Holzhandel, verarmt aber infolge der Inflation in den frühen zwanziger Jahren und 153

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