Wie er gehen nach dem Februar 1934 nicht wenige Arbeiter und Sozialdemokraten nach rechts, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven. Da sind zunächst die praktisch durchwegs sozialdemokratischen Eisenbahner, die als öffentlich Bedienstete der Vaterländischen Front beitreten müssen, ohne daß das über ihre innerliche politische Entwicklung viel aussagt. Eine andere Variante sind die ebenfalls klar sozialdemokratisch dominierten starken Gruppen der Forstarbeiter in Sandl und Königswiesen. Sie treten geschlossen der christlichen Forstarbeitergewerkschaft bei und schaffen es so, weiterhin verläßliche Sozialdemokraten als Betriebsräte zu behalten.14 Und schließlich kommt es auch zu individuellen Übertritten: In Kefermarkt wird ein ehemaliger sozialdemokratischer Funktionär (11sehr gemäßigt") Arbeitervertreter im neuen ständischen Gemeinderat. Sein Ersatzmann war früher ebenfalls ein 11Roter" gewesen. In St. Oswald wird ein ehemaliger Sozialdemokrat sogar Obmann-Stellvertreter in der VF. Im März 1938 gehört auch Ludwig Hermentin zu den ersten 11Schutzhäftlingen" des NS-Regimes. Die Schutzhaft dauert vermutlich nur wenige Tage, und er kann auch seinen Posten als Leiter der Landkrankenkasse in Freistadt behalten. Drei seiner Söhne fallen im Krieg. Bis 1944 hören wir wenig von ihm. Dann aber, vermutlich im Frühsommer 1944, beginnt er mit dem Aufbau einer Widerstandsgruppe in Freistadt und Umgebung. Offensichtlich war es ihm zwischen 1934 und 1938 tatsächlich gelungen, sehr tragfähige Bindungen mit dem Freistädter Bürgertum aufzubauen und trotzdem seinen sozialdemokratischen Stallgeruch nicht zu verlieren. Diese Freistädter Gruppe 11Neues Freies Österreich" gehört zu den wenigen Organisationen, die das traditionelle Links-Rechts-Schema des österreichischen Widerstandes durchbrechen.15 In ihr finden wir ein breites politisches Spektrum, das praktisch die zweite österreichische Republik vorwegnimmt: Die stärkste Gruppe stellt das Freistädter Bürgertum. Dieses Bürgertum ist schon seit den dreißiger Jahren tief gespalten in ein katholischkonservatives und ein nationalsozialistisches Lager.16 Die katholisch-konservative Gruppe hat ihr ÖsterreichBewußtsein offensichtlich erst nach 1938 entdeckt. Denn bis dahin hat sie getreulich die christlichsoziale Deutschtümelei mitgetragen. Schon 1910, bei einem Landtagswahlkampf, wurde der christlichsoziale Kandidat als 11 katholisch und kerndeutsch" präsentiert, sein liberaler Gegenkandidat als ,,Judenliberaler" diskreditiert. Aus dem gleichen Lager stammte der ehemalige christlichsoziale Landtagsabgeordnete Leopold Kotzmann, der damals in Sandl und Windhaag als Gemeindesekretär wirkte. Er verschaffte der Gruppe wichtige Kontakte in 152 die Reihen der traditionell sozialdemokratischen Sandler Forstarbeiter. Neben diesen katholisch-konservativen Freistädter Bürgern finden wir in der Widerstandsgruppe eine Reihe von Sozialdemokraten, unter ihnen einen desertierten Wehrmachtsangehörigen. Ebenso gehört ihr der Fleischhauermeister Preidel an, früher Obmann der Stadtgruppe des monarchistischen 11Reichsbundes der Österreicher", in Freistadt überall als der 11 kaisertreue Preidel" bekannt. Wir finden in ihr Konrad Richter, ein Gründungsmitglied der NSDAP Freistadt, die es bereits seit den frühen zwanziger Jahren gab, ebenso den ehemaligen großdeutschen Gemeinderat und Notar Hiris, der 1932 aus seiner Partei ausgetreten war und sein Mandat zurückgelegt hatte. Der Linzer Verbindungsmann der Freistädter Gruppe, Willibald Thallinger, war höchstwahrscheinlich ein Kommunist. Thallinger dürfte auch den Kontakt zu Hermentin hergestellt und den Aufbau der Gruppe initiiert haben. Über die Tätigkeit der Gruppe gibt es bis jetzt nur ungenaue Hinweise. Aber unabhängig voneinander berichten Zeitzeugen, daß es über Linz und Wien einen Kontakt mit den westlichen Alliierten gegeben hat. Von diesen war - vermutlich für den Herbst 1944 - eine Luftlandeoperation im Mühlviertel geplant. Der Widerstandsgruppe wäre die Aufgabe zugefallen, die zivile Verwaltung schlagartig mit verläßlichen Österreichern zu besetzen. Die wenigen erhaltenen Originaldokumente der Gruppe weisen jedenfalls in diese Richtung. Sie enthalten zwei Listen, in denen die wichtigsten Behörden- und Wirtschaftsfunktionen - überwiegend auf Mitglieder dieser Gruppe - aufgeteilt werden. Zum engeren, informierten Kreis dürften etwa zehn Personen gezählt haben. Insgesamt hatten vielleicht an die 50 Personen Kontakt zur Gruppe, wenn auch meist nur in Form von Geldspenden, deren Zweck aber bis heute im dunkeln bleibt. Anläßlich einer Hausdurchsuchung bei Willibald Thallinger in Linz kommt die Gestapo der Gruppe auf die Spur. Thallinger wird - vermutlich nach schwersten Mißhandlungen und Nikotinentzug, der den starken Raucher besonders hart traf - gezwungen, den Gestapo-Beamten Haller in die Gruppe einzuschleusen. Er bringt Haller zu Hermentin nach Freistadt und stellt ihn als Vertreter der neuen oberösterreichischen Landesregierung vor. Zu dem, was dann geschieht, gibt es zwei Versionen: Die erste besagt, Hermentin habe in seiner Vertrauensseligkeit Haller sofort in alles eingeweiht; die zweite: Hermentin habe den Braten gerochen, und erst später habe die Gestapo sein Wissen aus ihm herausgeprügelt. Ich halte die erste Version für die wahrscheinlichere, denn so aufrecht Hermentin in seinem Widerstand gegen die Nazi war, so wenig Erfahrung hatte er in der Konspi-
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