Nach dem Ersten Weltkrieg wurde diese Art der Ausgrenzung der Sozialdemokraten noch verstärkt. Mit der Ausrufung der Republik und der ersten Regierungsbeteiligung der Sozialdemokraten geriet die Bundeshauptstadt Wien als Regierungssitz in das Visier der konservativen Propaganda - im „Vorarlberger Volksbla tt " wurde nun in immer neuen Varianten die „Gewaltherrschaft der Wiener Juden- und Sozialistenregierung" beklagt.14 Juden und Sozialisten wurden zu Sündenböcken für den verlorenen Krieg gemacht; die Gleichsetzung von Sozialismus, Bolschewismus und Judentum wurde auch auf die einheimischen Sozialdemokraten übertragen: Sie galten den Konservativen als „90prozentige Moskauer, die kein Österreichtum kennen"15 und gegen die das ,,bodenständige, alteingesessene Vorarlbergertum"16 notfalls mit Waffengewalt geschützt werden müsse. Das geschah, als der „Heimatdienst" gemeinsam mit dem Bundesheer im Juli 1927 den Verkehrsstreik niederschlug, was das „Volksblatt" zu folgendem Kommentar veranlaßte: „Nieder mit dem landfremden Bolschewismus, Gott schütze unsere liebe Heimat vor dem Arlberg!" 17 Vom Umgang mit Zuwanderern Von solchen Ausgrenzungsversuchen unter ethnischregionalen Vorzeichen waren nach 1918 nicht nur Sozialdemokraten, sondern auch Arbeitszuwanderer allgemein betroffen. Bereits 1918 forderte die Landesregierung die Bevölkerung auf, beim Schutz der Grenzen mitzuhelfen „gegen den Strom der fremden Massen, die von den Fronten zurückfluten, ... sowie überhaupt vor allen jenen, die nicht zu uns gehören, die uns nicht nützen, die aber wohl unsere an sich knappen Vorräte mit aufzehren würden".18 Zu jenen Personen, ,,die uns nicht nützen", wurden später auch unbemittelte Arbeitslose gezählt. Wenn sie aus anderen Bundesländern stammten, wurden sie ab 1933 auf Weisung der Landesregierung aufgegriffen und per Schub „abgeschafft". Im ganzen Land wurden solche Arbeitslose „zusammengefangen, in Arreste gesteckt (und) ... willkürlich auf fünf Jahre des Landes verwiesen und wie Landstreicher auf den Schub geschickt. Dabei handelt es sich zum Teil um Arbeitslose, die seit Jahren in Vorarlberg ansässig sind und entweder die Arbeitslosenuntershitzung oder die Notstandsaushilfe beziehen."1 9 Anfang des Jahres 1933 wurden allein aus dem Bezirk Bludenz 266 Erwachsene und eine unbekannte Zahl von Kindern abgeschoben.20 136 Integration und Ausgrenzung nach 1945 Trotz aller schrecklichen Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Regime blieb die Blut-und-Boden-Ideologie mit ihren rassenbiologischen Vorstellungen, die auch das ethnisch-regionale Selbstverständnis in Vorarlberg mitbestimmt hatten, nach 1945 keineswegs tabu. Schon kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde das Vorarlberg-Bewußtsein in Form eines alemannischen „Stammes-Bewußtseins" wiederbelebt.21 Die damit verbundenen Ausgrenzungsversuche richteten sich nunmehr gegen die neuen Arbeitszuwanderer, die zunächst aus anderen Bundesländern - vor allem aus Kärnten und der Steiermark - nach Vorarlberg kamen. Zwar wurden die Ressentiments gegen diese „Innerösterreicher" weniger offensiv und weniger öffentlich als früher propagiert, aber eine Bevölkerung, deren Mißtrauen gegen alles „Fremde" seit Jahrzehnten gefördert worden war, hätte auch ohne offizielle Unterstützung für den Weiterbestand verbreiteter Vorurteile gesorgt. Aktionen wie jene des obersten Landesbeamten, Landesamtsdirektor Elmar Grabherr, der in einem als „Alemannen-Erlaß" berühmt gewordenen amtsinternen Rundschreiben empfahl, bei Stellenbesetzungen im Landesdienst, bei der Vergabe von Fördermitteln und dergleichen in erster Linie die „landsmannschaftliche Herkunft" der Bewerber zu berücksichtigen, die sich durch „objektive Tatsachen wie Abstammung (siehe hier u.a. auch Familiennamen), Geburtsort, ehern. Besitz des Heimatrechtes, langjähriger Aufenthalt, Beherrschung der Mundart usw."22 bestimme, förderten nicht eben die Integrationsbereitschaft gegenüber den Zuwanderern. Und noch 1980 stützte sich die Initiative „Pro Vorarlberg" bei ihren Bemühungen um mehr Autonomie für das Land Vorarlberg auf traditionelle Klischees von den vorarlbergischalemannischen Tugenden, was bei manchen ehemaligen Zuwanderern nicht eben auf großes Verständnis stieß.23 Wenn sich im Verhältnis zwischen „echten Vorarlbergern" und „fremden Bettlern" nach 1945 etwas wesentlich verändert hat, so ist das die gesellschaftlich-politische Stellung der Sozialdemokratie: Sozialdemokraten, denen die herrschende Elite noch während der Ersten Republik das Heimatrecht weitgehend bestritten hatte, wurden zunehmend ins politische Leben und in Institutionen des Landes eingebunden. Doch was für die Partei - und, nach Gründung der Einheitsgewerkschaft ÖGB, natürlich auch für die Gewerkschaften - galt, konnten die einzelnen Arbeitszuwanderer noch lange nicht für sich beanspruchen. Obwohl dringend benötigt und entsprechend intensiv angeworben, wurden sie vor allem als Konjunkturpuffer benütz t. Dies gilt insbesondere für die fremdsprachigen Einwanderer - in erster
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