Markus Barnay ,,Echte Vorarlberger'' und ,,fren1de Bettler'' Bildung von Landesbewußtsein und Ausgrenzung von Zuwanderern in Vorarlberg im 19. und 20. Jahrhundert Das Land Vorarlberg zählt seit mehr als hundert Jahren - neben Wien - zu den höchstindustrialisierten Regionen Österreichs. In dieser Zeit wurde Vorarlberg zugleich zu einem klassischen Zielland der Arbeitseinwanderung. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert stellen die Zuwanderer aus anderen österreichischen Regionen wie auch aus anderen Staaten ständig einen Anteil von etwa 10 bis 20 Prozent der Gesamtbevölkerung. Angesichts dieser Verhältnisse erstaunt die traditionelle Schwäche der sozialistischen Arbeiterbewegung und die Dominanz der christlichen, die sich beispielsweise in einer absoluten Mehrheit des ÖAAB in der Vorarlberger Arbeiterkammer seit 1974, aber ,auch im geringen gewerkschaftlichen Organisationsgrad - 30 Prozent gegenüber 60 Prozent im österreichischen Durchschnitt - äußert. Auch die Ergebnisse der Landtagswahlen - hier erzielten die Katholisch-Konservativen beziehungsweise Christlichsozialen seit 1870 durchgehend d ie absolute Mehrheit der Stimmen und Mandate - entsprechen nicht unbedingt den Erwartungen hinsichtlich der politischen Struktur eines Landes, das einen Beschäftigungsanteil zwischen 46 Prozent (1910) und 56 Prozent (1980) in Industrie und Gewerbe aufweist.1 Industrialisierung und Zuwanderung sind siamesische Zwillinge: Das eine ist ohne das andere nicht zu haben. Gleichzeitig wurden von den alteingesessenen politischen Eliten immer auch Strategien zur Ausgrenzung dieser Zuwanderer entwickelt. Doch „Fremdsein" is t nichts Natürliches. Fremde und Einheimische haben eines gemeinsam: Sie werden nicht vorgefunden, sondern erfunden. 133
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2