Die Roten am Land

demokratischen Funktionärinnen während des Wahlrechtskampfes auf ihre Stimmrechtsforderung. Nach 1907 setzte sich auch die Parteiführung für das Frauenwahlrecht ein. Maria Ducia erhielt entscheidende Anstöße für eine Politik von Frauen für Frauen auf den von ihr regelmäßig besuchten Frauenreichskonferenzen ab 1911. Aufmerksam verfolgte sie die Referate von Therese Schlesinger und Emmy Freundlich zur Organisations-, Agitations- und Bildungsarbeit für Proletarierinnen. Entschlossen, in Tirol eine Landesfrauenorganisation aufzubauen, kehrte sie von der Frauenreichskonferenz 1911 in Innsbruck nach Lienz zurück. Der finanzielle Aufwand für die Teilnahme an solchen Frauenkonferenzen und Parteitagen wurde für die Angehörige eines Eisenbahners durch die verbilligte Bahnfahrt verringert. 1912 war es dann soweit: Gemeinsam mit einigen Frauen aus Nordtirol berief Maria Ducia die erste Landesfrauenkonferenz ein. Ducia, wohl eine der fähigsten Frauen der Tiroler Sozialdemokratinnen, wurde Landesvertrauensperson und Mitglied im sechsköpfigen Landesfrauenkomitee. Ihre wichtigsten Aufgaben bestanden in der Kontaktaufnahme zum Frauenreichskomitee, der Unterstützung der örtlichen Frauengruppen und der Berichterstattung auf Landesparteitagen über die Entwicklung der Organisation. Das Vorherrschen kleinbürgerlicher und bäuerlicher Lebensformen in Tirol beziehungsweise das Fehlen größerer Industriegebiete erschwerte ein gezieltes Ansprechen der Frauen. Außerdem war ein Großteil der Tirolerinnen von katholischen Wert- und Moralvorstellungen geprägt. Deshalb beschränkten sich die Funktionärinnen in ihrer Werbung vorerst auf die Ehefrauen der bereits sozialdemokratischen Genossen. Die Männer sollten helfen, den Frauen den Sozialismus näherzubringen.10 Besonderes Augenmerk legte Ducia auf die Bildungsarbeit innerhalb der Frauenorganisation. In Form von Lesekreisen und Funktionärinnenkursen sollten den interessierten Frauen die Grundfragen sozialistischen Denkens und der Sozialpolitik vermittelt werden. 1912 besuchte sie die Parteischule in Klagenfurt. Bildung war für sie einer der Grundpfeiler für die Befreiung der Arbeiter/ innenklasse. Deshalb nutzte sie jede freie Minute zum Selbststudium: Während ihre Kinder klein waren, am Küchentisch; später zog sie sich in ihr Zimmer zurück oder ging in ein Kaffeehaus, um ungestört Zeitungen und Bücher zu lesen. Ducias Interesse an Literatur war breit gefächert: In ihrem Bücherregal standen neben politischen Schriften von Karl Marx, Friedrich Engels oder August Bebel die Werke berühmter Dichter und Schriftsteller wie Johann Wolfgang Goethe, Friedrich Schiller, William Shakespeare, Dante Alighieri oder Jean-Jacques Rousseau. Ihr Sohn Toni erinnerte sich daran, daß ihm seine Mutter mit Begeisterung aus Goethes „Faust" vorgelesen hatte. Gelesenes, das sie bewegte, notierte sie in kleine Taschenkalender und ergänzte es durch eigene Überlegungen. Diese kleinen Büchlein, beinahe bis zur Unleserlichkeit vollgeschrieben, sind die einzigen schriftlichen Zeugnisse von Maria Ducia. Ducia war eine„Vollblutpolitikerin" geworden. Sie hielt im ganzen Land, von Meran bis Landeck, Vorträge mit der Absicht, der Frauenbewegung eine breite Basis aufzubauen. Das gelang ihr auch. Ihre Arbeit wurde durch den Ersten Weltkrieg erschwert. Neben dem häufigen Ausfall der Verkehrsmittel behinderten die enorme Belastung der Frauen, die ihre Männer in der Wirtschaft und als Ernährer der Kinder ersetzen mußten sowie die katastrophale Hungersnot einen Fortschritt der Frauenorganisation. Das Elend, die Verantwortung der Frauen und der ungebrochene Kampfgeist ist denn auch der Inhalt von Ducias Rede auf der großen Friedenskundgebung der österreichischen Arbeiter/ innenschaft 1917 in Innsbruck: „Aber die Frauen dürfen sich nicht von Schmerz beherrschen lassen; sie müssen erkennen, daß sie in der Zukunft eine ganz veränderte Stellung imWirtschaftsleben einnehmen werden und daß ihnen ihr Lebensinteresse gebietet, politisches Recht zu erringen, um sich gegen die mannigfache Ausbeutung, der die Frauen am schwersten ausgesetzt sind, zu wehren und den Kampf um ein besseres Dasein wirksam führen zu können. ... mit Entschiedenheit wollen wir den Kampf führen, um die politische Gleichberechtigung. "11 ,,Ich entziehe ihnen das Wort" Im Tiroler Landtag 1919-1934 Nach der Ausrufung der Republik 1918 wurde den Frauen endlich das Wahlrecht und die Mitgliedschaft in gesetzgebenden Körperschaften zuerkannt. Im Tiroler Landtag waren zwei Frauen vertreten, eine Sozialdemokratin (ab 1929 zwei) und eine aus dem christlichsozialen Lager. 15 Jahre lang setzte sich Maria Ducia als Abgeordnete für die Interessen der Arbeiter/ innen, Kleinbauern und -bäuerinnen und der Angestellten ein. In eindringlichen Reden wandte sie sich gegen die kapitalistische Gesellschaftsordnung, die Vormachtstellung der katholischen Kirche, vor allem in der Schule, die faschistische Heimatwehr, den aufkommenden Nationalsozialismus und die Schützen sowie gegen die ungerechte Verteilung der Steuergelder durch die christlichsoziale Landesregierung. Sie forderte die Verwendung des Budgets für den Ausbau 129

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2