Die Roten am Land

Im Mai 1910 kam die Sekretärin des Frauenreichskomitees, Gabriele Proft, im Rahmen einer großangelegten Agitationsfahrt auch nach Lienz . Ziel solcher Veranstaltungen war die Aufklärung vor allem nicht erwerbstätiger Frauen - erwerbstätige konnten auch von der Gewerkschaft angesprochen werden - über die Notwendigkeit einer politischen Organisierung. Profts Auftritt war ein Erfolg: 60 Lienzerinnen, vorwiegend Ehefrauen der Bahnbediensteten, schlossen sich zusammen und gründeten ein Frauenkomitee, das erste dieser Art in Tirol.6 Als Angehörige dieser Frauengruppe wurden sie auch gleichzeitig Parteimitglieder. Maria Ducia wurde zur Schriftführerin gewählt, ein Jahr später folgte sie Marie Dedeck als Vorsitzende. Welche Gründe waren für Ducias Interesse an der Sozialdemokratischen Partei ausschlaggebend? Sicher ihre persönlichen Erfahrungen, als Frau, Mutter zweier unehelicher Kinder, Tabakfabriksarbeiterin, berufstätige Frau in Lienz und als Ehefrau eines Eisenbahners zu den gesellschaftlich Benachteiligten zu gehören. Zum andern erkannte sie die zunehmende Verschlechterung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Die sozialdemokratische Bewegung bot Maria Ducia die Chance, sich gegen jene Mißstände, für die Befreiung der Arbeiterklasse und für die politische, wirtschaftliche und soziale Gleichstellung der Frauen einzusetzen. Anfänglich trafen sich die sozialdemokratischen Lienzerinnen regelmäßig in ihren Wohnungen, um einer polizeilichen Kontrolle zu entgehen. Ducia klärte die Anwesenden über die Ideen und Ziele der Arbeiter /innenbewegung und über die Rolle der Frauen im Kampf gegen Unterdrückung und Ausbeutung auf. Die „Arbeiterinnenzeitung" aus Wien war Ducias wichtigste Informationsquelle für ihre Vorträge. Ihr erster öffentlicher Auftritt fiel in die Zeit der Lebensmittelteuerung im Winter 1910/11: Dagegen organisierte die österreichische Arbeiter/ innenschaft Aktionen. Als Maria Ducia in Lienz auf einer Demonstrati.on gegen die Fleischteuerung eine Rede hielt, wurde sie - im Gegensatz zu ihren männlichen Parteikollegen - von der lokalen Presse angegriffen. Das libera le deutschnationale Wochenblatt „Lienzer Zeitung" vermerkte ironisch, daß ,,die vorzüglich auswendiggelernte Rede glatt vom Stapel ging, die Zuhörer von Satz zu Satz begeisterte", und polemisierte weiter, „daß der Freisinn unserer Frauen und Mädchen (gemeint sind die Mitglieder der politischen Frauenorganisation, A. M.) di e allerbeste Vertretung in der Fleischfrage genießt".7 Nicht nur mit Spott, sondern auch mit Haß reagierte ein Teil der Bevölkerung auf die Sozialdemokratin Ducia. Für 128 einen den christlichsozialen Lienzern nicht genehmen Kinderumzug anläßlich eines Maifestes wurde sie als Verantwortliche mit einer Geldstrafe belangt. Das sonderbare Strafverfahren - es fand unter Ausschluß der Öffentlichkeit in einer Amtsstube statt - beschrieb Ducia 1912 ausführlich im Tiroler Parteiorgan, der „Volkszeitung".8 Mit ihrer politischen Tätigkeit brachte sie nicht nur einmal das traditionelle Frauenbild der Lienzer Bevölkerung ins Wanken. Die Unvereinbarkeit ihrer Aufgaben als Politikerin und als Mutter von sechs Kindern lag nach herkömmlichen Vorstellungen klar auf der Hand. ,,Tratschereien" und Beschimpfungen blieben nicht aus. Sogar im Tiroler Landtag der Zwischenkriegszeit wurden die Gerüchte aus jener Zeit von einem Osttiroler christlichsozialen Abgeordneten wieder aufgewärmt: „Bei uns hat man gesagt, daß die Kindererziehung bei der Frau Ducia nicht sie, sondern ihr Mann zu besorgen hat." Diesen Vorwürfen widersprach Maria Ducia aufs heftigste: „Mein Mann war Lokomotivführer und hat seinen Dienst immer brav gemacht und meine Kinder habe ich selbst erzogen. In dem Augenblick aber als es bekannt wurde, daß eine Frau sozialdemokratisch sich be tä tige, da haben sich die christlichsozialen Blätter und einer der vers torbenen süßschnautzigen Kooperatoren bemüht, irgend e twas zu finden, wie sie diese Frau herunterreißen könnten, die in diese kohlschwarze Gegend vielleicht einen anderen Schimmer hineinbringen könnte."9 Auch Ducia war also der traditionellen Rollenzuteilung auf Mann und Frau verhaftet, wenn sie alle ihre Kräfte aufbot, um neben ihrer politischen Arbeit noch Haushalt und Kindererziehung zu bewältigen. Seine Mutter - so ihr Sohn Toni Ducia - habe sich in Lienz nie richtig wohl gefühlt. Äußeres Zeichen ihrer Distanz war, daß sie nie den dortigen Dialekt annahm. Als 1919 die ganze Familie nach Innsbruck übersiedelte, weil Ducia beruflich dorthin versetzt wurde, war das für Maria Ducia eine große Erleichterung, politisch und emotional. 11Ihr Lebensinteresse gebietet den Frauen, politische Rechte zu erringen" Frauenpolitik in Tirol 1911-1919 Maria Ducia lernte die „Grundbegriffe des politischen Handwerks" in einer Zeit, als den Frauen vom Gesetz weder eine politische Vereinstätigkeit noch das Stimmrecht zugebilligt war. 1907 wurde bei den Reichsratswahlen das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht für alle Männer ab dem 24. Lebensjahr wirksam. Zugunsten der Arbeiter in den eigenen Reihen verzichteten die sozial-

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2