Die Roten am Land

Die Zuagroaste: Erste Jahre in Lienz Lienz, in Osttirol, war um die Jahrhundertwende eine Stadt mit etwa 4500 Einwohnern, geprägt von kleinen Gewerbeund Handelsbetrieben, aufkommendem Fremdenverkehr und bäuerlichem Umfeld. Dementsprechend war auch die Bevölkerung streng katholisch, kleinbürgerlich und konservativ. Nur die Eisenbahner lockerten das traditionell e Kleinstadtleben ab den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunder ts ein bißchen auf. Mit dem Bau der Pustertalbahn zwischen Lienz und Franzensfeste kam es zur Stationierung von Bahnpersonal in der Kleinstadt.2 Die Herkunft aus allen Teilen der Donaumonarchie, der häufige Wechsel der Einsatzorte und die damit zusammenhängende größere Lebenserfahrung bestimmten das Bewußtsein dieser Berufsgruppe. Im Gegensatz zur bäuerlichen und kleinstädtischen Bevölkerung waren den Eisenbahnern sozialdemokratische Ideen nicht fremd . Wie überall in Tirol , waren sie auch in Lienz die wichtigsten Träger der Arbeiter/ innenbewegung. Das Zusammenleben von fortschrittlichen Bahnbediensteten und konservativ-katholisch gesinnten Lienzern gestaltete sich nicht einfach. Die verschärften Kontrollen des Staates gegenüber den sozialdemokratischen Eisenbahnerorganisa tionen unterstütz ten die ablehnende Haltung der Einheimischen.3 Mit dem Auftrag ihres Innsbrucker Dienstgebers Eugen Walter, in Lienz eine Filiale seines Möbelgeschäfts zu errichten, ging Maria Ducia um 1900 nach Osttirol. Die berufliche Verantwortung als Geschäftsführerin und die Konfrontation der zwar auch aus kleinbürgerlich-katholischen Verhältnissen stammenden, aber doch „großstadtgewohnten" Ducia mit den Lienzer Verhältnissen veränderten ihr Leben grundlegend. 1903 heiratete sie den Lokomitivführer Anton Ducia. Diese Ehe mit dem „roten " Eisenbahner machte Maria Ducia eine Aufnahme in die Lienzer Bürgerschaft unmöglich. Zwischen 1903 und 1906 gebar sie drei Mädchen und einen Knaben. Neben ihren Aufgaben als Mutter und Hausfrau führte sie ihr Geschäft weiter- sie hatte es inzwischen zur Gänze von Eugen Walter übernommen. Dem Weiblichkeitsideal der Kleinstädter, die die Frauen ausschließlich bei den Kindern und hinterm Herd wissen wollten, entsprach damit Ducia nicht mehr. Angeeckt war sie nicht nur als Eisenbahnerfrau, sondern auch als Frau in einem ausgesprochenen Männerberuf. Ein unfairer Konkurrenzkampf der christlichsozialen Tischlergenossenschaft zwang Ducia, ihr Möbelgeschäft zu schließen. Die Selbständigkeit einer Frau schien den männlichen Berufskollegen ein Dorn im Auge gewesen zu sein. An Ducias Fähigkeiten als Geschäftsfrau zweifelten allerdings einige von ihnen nicht: 1907 wurde sie als Verkäuferin für die neue Möbelverkaufsstelle der Genossenschaft vorgeschlagen. Der Großteil der Beteiligten stimmte jedoch für einen männlichen Verkäufer.4 Mit dieser Entscheidung wurde Ducia endgültig aus ihrem Beruf gedrängt, was ihr blieb, waren große finanzielle Belastungen aus dem ruinierten Betrieb. In den folgenden Jahren widmete sie sich ausschließlich ihren sechs Kindern, einschließlich der zwei unehelichen . Die Familie konnte aufgrund der Verschuldung mehr schlecht als recht vom Lohn des Familienoberhauptes leben. Auch die damaligen Wohnverhältnisse für die einfache Bevölkerung waren beengt. Anfangs lebten die Ducias in einem privaten Mietshaus, später übersiedelten sie in ein Personalhaus der Südbalrngesellschaft am Stadtrand von Lienz. Dort lebte die achtköpfige Familie in einer 60 Quadratmeter großen Zimmer-Küche-Kabinett-Wohnung. Die Freisinnige: Politische Anfänge in Lienz Für Frauen war in Lienz bis 1910 eine sozialdemokratische Organisierung schwer möglich. Es gab dort weder einen Arbeiterinnenbildungsverein noch eine Frauensektion der Gewerkschaft. Außerhalb solcher Organisationsformen war eine politische Vereinstätigkeit für Frauen nach dem§ 30 des Vereinsgesetzes verboten. Der verhältnismäßig späte Beginn von Ducias politischer Tätigkeit - sie war 35 - kann auf diese fehlenden Möglichkeiten in Lienz zurückgeführt werden. Informationen über die Sozialdemokra tische Partei und deren Ziele bezog sie bis dahin aus dem Gewerkschaftsblatt ihres Ehemannes. Möglichkeiten für eine Politisierung der Frauen ents tanden in Lienz mit dem reichsweiten Ausbau der freien politischen Frauenorganisation. Auf dem Parteitag in Reichenberg 1909 wurde jene Organisation als Teil der Sozialdemokratischen Partei anerkannt. Die unterste Einheit bildete das örtliche Frauenaktionskomitee, dem folgten die Landesfrauenkomitees mit den Landesver trauenspersonen und das Frauenreichskomitee. Alle zwei Jahre tagte die Frauenreichskonferenz und legte ihre Beschlüsse dem Parteitag zur Annahme vor. Die Funktion dieser Frauenorganisation bestand von allem darin, ,,die Frauen der Partei zuzuführen". Dieser Organisation fehlte als politischem Frauenverein jegliche gesetzliche Grundlage gemäß § 30 des Vereinsgesetzes. Allerdings fiel dies den Behörden anfänglich nicht auf. Als die Polizei später mit Verhaftungen reagierte, gelangen den Frauen Freisprüche, indem sie vor Gericht ihre Treffen mit den unpolitischen „Fünf-Uhr-Tees" der bürgerlichen Frauen verglichen.5 127

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2