Die Roten am Land

Menschen einer „bezeichnenden, boshaften und unwahren Verdächtigung" gleichkommt. Kurze Zeit, nachdem Samuel Spindler so spektakulär angegriffen worden war, finde t sich eine Erklärung in der „Vorarlberger Wacht " zur Haltung von Sozialdemokraten gegenüber den Juden: „Der jüdische Sozialdemokrat steht ständig auf dem Kriegsfu ße mit seinem Glaubensgenossen und bekämpft eben durch die Sozialdemokratie die Gesellschaftsordnung, die dem jüdischen Kapitalisten die ungerechten Gewinne bringt."17 Der - defensive -Antisemi tismus der „Linken" existierte. Zum Programmpunkt erhoben wurde er aber nicht von ihnen. Die Christlichsoziale Volkspartei Vorarlbergs hingegen legt sich ausdrücklich auf die entschiedene Bekämpfung der „Vorherrschaft des Judentums" fest.18 Die antisemitische Vorstellungswelt kommt nicht aus ohne die Idee der jüdischen Vorherrschaft. „Die Christlichsozialen und die Deutschnationalen schimpften oft auf die Juden und meinten die Sozialdemokraten. "19 Kein Wunder also, daß sich der Stadtrat Ölz nicht da zu veranlaßt sah, sich bei Samuel Spindler zu entschuldigen. Dessen Ruf blieb geschädig t. Das wog im kleinstädtischen Milieu von Bregenz umso schwerer. Der Vorfall in der Bregenzer Stadtver tretung machte schnell die Runde. Daß Samuel Spindler 1919 nich t mehr zur Wahl in den Bregenzer Stadtrat kandidierte, darf damit in Zusammenhang gebracht werden. Die Gegner der Sozialdemokratie hatten sich auf Samuel Spindler eingeschossen. Den Arbeiterkammerwahlen 1921 ging ein Wahlkampf voraus, der von den Christlichsozialen mit antisemitischen Slogans geführt wurde. Da hieß es im ,,Vorarlberger Volksblatt": ,,VORARLBERGER, wählt die judenreine und judenfreie Liste: Christliche Gewerkschaften! "20 Welche Liste nicht als „judenrein" und „judenfrei" zu betrachten sei, wurde den Lesern und Leserinnen des „Vorarlberger Volksblatts" leicht faßlich servier t. Denn für die freien Gewerkschaften kandidierte und warb unter anderen Samuel Spindler. Seiner Wahlagitation schenkte das ,,Volksblatt" ein besonderes Augenmerk: „Wie aufgeregt die Sozialdemokraten über ihre ,Aussichten' bei den bevorstehenden Wahlen sind, ergibt sich aus folgendem. Herr Spind 1 er (Samuel aus Ga lizien) kommt schon ganz aus der Fassung über den leisesten Widerspruch, den einer seiner Zuhörer ihm schuldig zu sein glaubte."2 1 Die antisemitische Hetze verhinderte nicht den Gewinn der Mehrheit für die freien Gewerkschaften. Im Wahlkampf zu den zweiten Vorarlberger Arbeiterkammerwahlen 1926 wendeten die Christlichsozialen die118 selben Methoden an wie beim ers ten. Hier wurde das Bild von einem „Judentum" gezeichnet, das „in gleicher Weise die freien Gewerkschaften und das Unternehmertum führt "22 und von dem die Gefahr ausgehe, daß „das Volk ... immer mehr vom ostjüdischen Geist verseucht, seine christlich-deutsche Kultur verlieren und reif für den asiatischen Bolschewismus" werde.23 Solche Zitate könnten ebensogut aus einem nationalsozialistischen Flugblatt stammen - mit einer kleinen Einschränkung freilich, die das Wort „christlich " auferlegt. Als Beiwort für die „Religion der Liebe" macht es keinen Sinn. Die den Christlichsozialen erwünschte Ausschaltung eines Mannes wie Samuel Spindler konnte 1934 vollzogen werden. Er mußte seinen Lebensinhalt, den Kampf für eine sozialdemokratische Gesellschaft, aufgeben. Es wurde still um ihn. Als im März 1938 die Truppen des „Dritten Reiches" Österreich annektierten, war Samuel Spindler ein kranker Mann. Die Lebensweise, zu der er im Aus trofaschismus gezwungen war, war entwürdigend. Das Dasein, das ihm der Nationalsozialismus zugedachte, die Verdammnis. Anfang November 1942 wurde Samuel Spindler auf dem Posten der Ges tapo Bregenz aufgefordert, Aussagen über seine ehemaligen Genossen zu machen. Sollte er dazu nicht bereit sein, hole die Gestapo ihn am Samstag, den 11. November ab . In der Nach t vom 10. auf den 11. Novem.ber 1942 tötete sich Samuel Spindler.24 Ein Jahr nach seinem Begräbnis auf dem evangelischen Friedhof in Bregenz druckte das „Vorarlberger Tagblatt" jene denkwürdigen Zeilen: „Ein Jude in der Bregenzer Stadtverwal tung. Auch das hat es einmal gegeben... "25 Anmerkungen ' ,,Vorarlberger Tagb latt", 24.12.1943. 2 ßarnay, Markus: Die Erfindu ng d es Vorarlbergers. Ethn iz itätsbildung und Landesbewußtse in im 19. und 20. Jahrhund ert. Bregenz 1988, S. 270, S. 274-277, S. 346-349; Oberkofler, Gerha rd : Anfänge - Die Vorar lberger Arbeiterbewegung bis 1890. Vom Arbeiterbi ldungsverein zur Arbeiterpartei. In: Greussi ng, Kurt (Hg.) : Im Prinzip: Hoffnung, Arbeiterbewegung in Vorarlberg 1870-1946. Bregenz 1984, S. 22-72, hier S. 27; Sutterlütti , Robert: [ta liener in Vora rlberg 18701914. Materielle Not und sozia ler Widerstand, in: Greussing, Kurt (Hg.): Im Prinz ip: Hoffnung, Arbeiterbewegung in Vorar lberg 18701946. Bregenz 1984, S. 133-157. 3 Vora rlberger Landesarchi v (Bregenz), VLReg. Prs. 698/1928;,, Vorar lberger Wacht", 3. 1.1919. 4 „Vora rlberger Wacht", 3. "1.1919; Stadta rch iv Bregenz, Anwesenheitslis ten der Verha ndlungsschriften zu d en Gemeind ea usschußsitzungen vom 22.2.191 9 bis 28.5.1919. Taufbuch der Evangelischen Pfarrgemeinde A. u. H. B. Bregenz. 6 Gespräch mit Emili e und Ernst Pruner, Bregenz, 25.4.1987; zu Maria Vobr siehe Mittersteiner, Reinhard: Peripherie und Sozia lismus. Di e

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