Die Roten am Land

Er tritt als Agitator in Erscheinung, als Adressat für Anmeldungen von Veranstaltungen und als Kassier bei Sammelaktionen. Auch von seiner Verwicklung in Querelen mit den Christlichsozialen ist zu erfahren. Besonders häufig ist von Samuel Spindlers Einsatz in der sozialdemokratischen Frauenbewegung die Rede. Er tritt als Redner bei Frauenversammlungen auf, bei kleineren ebenso wie bei dem als Großereignis gefeierten Besuch Adelheid Popps in Vorarlberg. 1914 wurde Samuel Spindler zum Militär eingezogen, aber bald wegen seines schlechten Gesundheitszustandes vom Kriegsdienst befreit. Auf einer sozialdemokratischen Versammlung in Bregenz am 11. November 1918, einen Tag vor der Ausrufung der Republik, beantragte Samuel Spindler die Wahl eines Arbeiterrates. Acht Männer und vier Frauen wurden gewählt - sie sollten sich besonders um die „Erreichung einer besseren Vertretung der Arbeiterschaft in der Stadtvertretung" bemühen. Am 4. Dezember 1918 verfügte der Staatsrat der jungen Republik eine Ergänzung der Gemeindever tretungen durch Arbeitervertreter. Am 30. Dezember 1918 gaben in Bregenz die Parteien die von ihnen gewählten Vertreter bekannt; unter den sozialdemokratischen befand sich Samuel Spindler. Seine Wahl erregte bei den Bürgerlichen Anstoß. Ein christlichsozialer Stadtrat bezeichnete ihn in einer öffentlichen Sitzung als einen „galizianischen Juden" und damit als unwürdig, in der Gemeindever tretung mitzuarbeiten .8 Samuel Spindler trat in seiner neuen Funktion vor allem für die Beseitigung der drängenden Nahrungsmittelnot und für ~ie angemessenere Entlohnung der Bregenzer Stadtarbeiter ein . Nach der ersten Gemeindewahl 1919 schied er aus der Stadtvertretung aus. Er wirkte weiterhin als Einberufer von Versammlungen und Agitator. Beim Streik der Textilarbeiter in der ers ten Maihälfte des Jahres 1921 fungierte er als Textilarbeitersekretär der freien Gewerkschaften.9 Um das Jahr 1925 wurde Samuel Spindler Vorarlberger Landessekretär der Union der Textilarbeiter.10 Am 18. Juni 1921 konstituierte sich die Kammer für Arbei ter und Angestellte für Vorarlberg. Samuel Spindler wurde als Mitglied des Ausschusses für Sozialpolitik bes timmt. Nach den im Oktober 1926 abgehaltenen zweiten Arbeiterkammerwahlen behielt Samuel Spindler seine Funktion im Ausschuß für Sozialpolitik, da zu kam ein Sitz im Volkswirtschaftsausschuß.11 Samuel Spindler übernahm neben seinen Aufgaben in den freien Gewerkschaften die des Obmannes des Bildungsausschusses der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Vorarlbergs.12 Seit wann er diese Funktion innehatte, ist unklar. Er verlor sie, als die Christlichsoziale Volkspartei der Ersten Republik durch eine „ständes taatliche" Diktatur das Ende bereitete. Im Dezember 1933 wurde die Neuordnung der Kammer für Arbeiter und Angestellte verordnet.13 Samuel Spindler verlor seine Funktionen . Das Verbot der Sozialdemokratie im Februar 1934 bedeutete das endgültige Aus für sein bisheriges politisches Engagement. ,,Jüdisch" Schläge - wenn auch nicht so vernichtende wie die der Jahre 1933 und 1934 - hatte Samuel Spindler in der Ersten Republik viele eingesteckt. Wer sich politisch profilierte, hatte damit zu rechnen, daß er oder sie angegriffen würde. In der Bekämpfung des Sozialdemokraten Samuel Spindler wendeten seine Gegner eine Methode an, die ihm letztlich keine Gegenwehr ermöglichte. Diese Methode war der Antisemitismus. Die Belege für die mehr oder weniger offene Feindseligkeit gegen Juden sowie für Ausschreitungen gegen sie sind, soweit sie Vorarlberg betreffen, in einer von Werner Dreier herausgegebenen Regionalstudie gesammelt.14 Sie erfaßt den Zeitraum vom 13. Jahrhundert bis in die jüngste Vergangenheit. Samuel Spindler war nicht Jude, sondern evangelischer Christ, als er 1918 als „galizianischer Jude" bezeichnet wurde. Das Wort „Jude" hatte für den Mann, der es auf Samuel Spindler anwendete, nicht den Rang einer bloßen Bezeichnung; der christlichsoziale Stadtvertreter verwendete es als Beschimpfung. Welche Vorstellungen Alber t Ölz mit 11Jude" verknüpfte, das scheint Samuel Spindler ziemlich klar gewesen zu sein. Er verwahrte sich gegen sie in einem „Offenen Brief an Herrn Stadtrat Albert Ölz, Kaufmann in Bregenz"15 • 11 Dieser bezeichnenden, boshaften und unwahren Verdächtigung meiner Person", wie es Samuel Spindler ausdrückte, hielt er entgegen, daß er der evangelischen Religionsgemeinschaft angehöre, sei t dem „7. Lebensjahre deutsche Erziehung hatte, mit dem 15. Lebensjahre schon auf die Wanderschaft ging" und nicht mehr an seinen Geburtsort zurückgekehrt sei, daß er in Bregenz seit 1907 das rechtschaffene Leben „eines pflichtbewußten Arbeiters" führe und als 11deutschösterreichischer Staatsbürger ... Wähler und wählbar" sei. Haß auf Juden war salonfähig. ,, Der radikale Antisemitismus - in Vorarlberg de facto ein ,Antisemitismus ohne Juden ' ! - wurde zu einem Bes tandteil der alltäglichen politischen Kultur gemacht. "16 Die Sozialdemokraten hatten ihren Anteil an dieser politischen Kultur. In Samuel Spindlers Verteidigung gegen die Ölzschen Anwürfe fällt kein Wort darüber, daß der Antisemitismus nicht nur gegenüber seiner Person, sondern gegenüber jedem 117

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