katholische Glaubensbekenntnis weitgehend als Prüfstein für die Annehmbarkeit einer Person gewertet wurde. Anstoß hätte es wohl erregt, wenn Samuel Spindlers Vorstrafen publik geworden wären. Diesem seinem Vorleben anhaftenden Makel versuchte Samuel Spindler dadurch beizukommen, daß er ihn verschwieg - zumindest vor öffentlichen Stellen. Eine Zeit hindurch gelang ihm das auch. Allerdings mußte er dafür in Kauf nehmen, daß er lange keine Papiere ausgestellt bekam, die ihm das Heimatrecht in Bregenz verbürgt hätten . Sozialdemokratisch Für Samuel Spindler gab es in Vorarlberg viel, an das er aneckte, und wenig, das ihn dazu ermunterte, sich daheim und wohl zu fühlen . Etwas von dem wenigen war die Bekanntschaft mit der Bregenzerin Maria Vobr. Als das Paar heiraten wollte, ging das nicht, ohne daß es auf die Engherzigkeit der damaligen Gesellschaftsordnung stieß. Maria Vobr und Samuel Spindler gehörten nicht der gleichen Glaubensgemeinschaft an. Eheschließungen konnten aber nur konfessionell vollzogen werden. Zivilehen waren in ganz besonderen Ausnahmefällen möglich, unter die Samuel Spindler und Maria Vobr aber nicht fielen. Eine weitere, rechtlich allerdings nicht anerkannte Möglichkei t war es, sich von einem von der katholischen Kirche abgefallenen Geistlichen trauen zu lassen: Die aus dieser Zere1nonie herrührende Verbindung wurde als „Salzburger Ehe" bezeichnet. Eine solche gingen Samuel Spindler und Maria Vobr 1911 ein. Diese beiden Menschen waren nicht nur durch die gegenseitige Zuneigung verbunden, sondern auch durch ein gemeinsames politisches Engagement. Sie waren Sozialdemokra ten . Maria Vobr-Spindler war in der sozialdemokratischen Frauenorganisation von Bregenz aktiv. Sie wurde Mutter zweier Kinder . Ihr blieb wenig Zeit für politisches Wirken: Sie s tarb jung, 1915. Nach dem Tod Maria Vobrs mußte Samuel Spindler seine beiden Töchter in Pflege geben . Das ältere Mädchen nahm eine Freundin Maria Vobrs auf, die wahrscheinlich Sozialdemokratin war oder zumindes t der Sozialdemokratie nahestand. Für die jüngere Tochter fand Samuel Spindler einen Pflegeplatz im Bregenzer „Marienheim", einer katholisch geführten Institution.6 Zwischen der Leiterin und Eigentümerin des „Marienheims", Agathe Fessler, und Bregenzer Sozialdemokraten, darunter Samuel Spindler, war es 1910 zu einer Auseinandersetzung gekommen . Was diesen schließlich einigermaßen versöhnlich beigelegten Streit anbelangt, so ist er eher geeignet, eine Ausnahme von der Regel als die Regel selbst zu zeigen. Die den „Christlichen Arbeiterinnen-Ver116 ein" fördernde Agathe Fessler besuchte sozialdemokratische Veranstaltungen, meldete sich dort zu Wort und leg te sich sogar engagiert mit der sozialdemokratischen Presse an. Das war ungewöhnlich, nicht nur für eine Frau. Dementsprechend viel Aufmerksamkeit und Raum wurde dieser Auseinandersetzung in der sozialdemokratischen Parteizeitung „Vorarlberger Wacht" geschenkt. Agathe Fessler beklagte sich nun, daß die in der „Vorarlberger Wacht" gedruckten Erwiderungen anonym erschienen. „Wenn jeder Korrespondent der Vora rlberger Wacht seinen Namen hergeben würde, wo es sich doch durchwegs nur um Arbeiter handelt, dann wäre es ein wirkliches Wunder, wenn er noch auf seinem Pos ten bleiben könnte, speziell wenn er z. B. in einem christlichsozialen Geschäft wäre" - damit verteidigten sich die Berichterstatter gegen Aga the Fesslers Vorwurf. Sie reagierte mit einem gewissen Verständnis, aber auch mit - im Grunde nicht angebrachtem - Unglauben: „Es muß jedoch schon ein vernagelter Kopf sein, der einem Manne es verübelt, wenn er offen seiner Meinung Ausdruck gibt, wenn sie auch entgegengese tzter Richtung ist." Diesen aufgeklärten Standpunkt scheinen nur wenige mit der Leiterin des „Marienheims" geteilt zu haben. Diese Frau aber nahm ihn ernst: Als sie eine Tochter ihres durch den Tod seiner Frau in Not geratenen politischen Widersachers Samuel Spindler im „Marienheim" in Pflege nahm, stellte sie das unter Beweis. 7 Wie sich Samuel Spindlers Hinwendung zur Sozialdemokratie vollzogen ha t, läßt sich im einzelnen nicht darstellen. Es ist aber schwerlich zu bezweifeln, daß es Samuel Spindler aus eigener Erfahrung - mit dem Unterschichtendasein, mit der Obrigkeit - notwendig und wünschenswert schien, die bedrückende Gesellschaftsordnung zu verändern. In der sozialdemokratischen Bewegung fand er einen Rückhalt, einen Platz, wo ihm seine Daseinsberechtigung wegen seiner „Fremdheit", seiner jüdischen Herkunft oder seiner verbüßten Gefängnisstrafen nicht streitig gemacht wurde. Als Sozialdemokra t konnte er seine gesellschaftliche Randexistenz zwar nicht aufüeben. Aber er konnte hoffen und darauf hinarbeiten, sie zu beseitigen. Samuel Spindler brachte sein politischer Einsatz auch einen Gewinn an sozialem Ansehen. Den Lebensunterhalt verdiente Samuel Spindler seit 1907 als Schuhmachergehilfe - im sozialdemokra tischen Bregenzer Konsumverein. Die systematische Durchsicht des ers ten Jahrganges der 1910 gegründeten Parteizeitung „Vorarlberger Wacht. Organ für das arbei tende Volk in Vorarlberg" läßt ein Bild von Samuel Spindlers enger Verbundenheit mit der sozialdemokratischen Partei entstehen:
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