D er Antisemit erfindet die Adressaten seiner Vorurteile je nach Bedarf ständig neu . Was lag da näher, als zu versuchen, die aufstrebende Sozialdemokratie - gerade in konservativen Regionen - als „jüdisch" zu denunzieren? So wurden Menschen auf der Suche nach Heimat zu „Fremden " gemacht - mit tödlicher Konsequenz. 114 Eveline Böckle Landfren1d, sozialden1okratisch, jüdisch Die dreifache Ausgrenzung des Samuel Spindler ,,Ein Jude in der Bregenzer Stadtvertretung. Auch das hat es einmal gegeben, natürlich in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Vor genau 25 Jahren erhielten die Sozialdemokraten die Möglichkeit, Vertreter in den Gemeindeausschuß zu entsenden. Diese wählten in Bregenz zwei Vertreter, darunter den polnischen Juden Samuel Spindler. Alle Nichtsozialdemokraten in der Stadtvertretung lehnten es ab, neben einem Juden zu sitzen, aber die Sozialdemokraten legten Wert darauf, ausgerechnet diesen jüdischen Galizianer als ihren geistigen Führer in die Selbstverwaltungskörperschaft der damaligen Landeshauptstadt zu entsenden. Heimische Arbeiter - auch wenn sie sich zu den Marxisten bekannten - wären sicher niemals auf den Gedanken gekommen, ausgerechnet einen Juden aus dem Osten als ihren Vertreter zu wählen. Wenn man mit ihnen den Fall besprach, merkte man deutlich, wie peinlich ihnen dieser Genosse Samuel Spindler war. Aber die verjudete Führung der Marxisten in Wien hatte einfach angeordnet, daß ihr Rassegenosse die Roten in Bregenz zu vertreten habe. Die Gegner der Marxisten konnten sich über diese Wahl nur freuen, denn sie hat manchem Sozialdemokraten die Augen geöffnet. Samuel Spindler war der erste und der letzte Jude, der im Rathaus der Stadt Bregenz mitreden durfte."1 Als das geschrieben wurde, im Dezember 1943, hatten die Nationalsozialisten das Reden. Insofern vermag der gehässige Kommentar zu einem Mann wie Samuel Spindler im "Vorarlberger Tagblatt" nicht zu erstaunen. Höchstens macht es betroffen, daß an solche Bemerkungen eine idyllische Schilderung des winterlichen Bodenseeufers anschließt.
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