Die Roten am Land

rechten Gemeinschaftsgesinnung" 25 , aus der allein „der soziale Ständefrieden " 26 erwachsen könne. Kritisiert werden mit dieser „Politik der Krippe" ,,Verbitterung und Haß der einzelnen Stände gegeneinander"27 , die Ausdruck des „vollkommenen Versagen(s) des Liberalismus und Sozialismus" 28 seien. Soziale Probleme werden zu individuell-moralischen verkürzt: Der Weihnachtsfrieden müsse zuerst „in uns" sein, so der Appell an die Arbeiter, dann erst könne er „in der Gesellschaft"29 wirksam werden. Die soziale Frage wird - um ihre polit-ökonomische Dimension gekappt - zu einem Problem der Armut gemacht, die durch individuelle Fürsorge, durch christliche Nächstenliebe in den Griff zu bekommen sei: Hoffnung auf Barmherzigkeit statt einer Strategie gesellschaftspolitischer Veränderung. Eine stehende Einrichtung bei Weihnachtsfeiern in den Tiroler Vereinen war die Versteigerung des Christbaumes zur Auffettung der Vereinskasse, bei der gut situierte Ehrengäste und Gönner des jeweiligen Vereins ihre Nächstenliebe öffentlich unter Beweis stellen und dafür oft überschwenglichen Dank einheimsen konnten. Dem entsprach die Absicht vieler Vereinsvorstände, das Weihnachtsfest durch die Anwesenheit möglichst vieler Prominenter - die in Berichten penibel vermerkt wird - ,,zu einem Familienfest des arbeitenden Volkes aller Stände" zu machen: Die gemeinsame Christbaumfeier von Arbeitern mit dem Bürgermeister, Bauern, Gewerbetreibenden, Beamten und Lehrern in einem katholischen Arbeiterverein wie Arzl bei Imst3° wurde zur Demonstration der „Ständeversöhnung" im Sinne der „Weihnachtsliebe". Gerade die Verzahnung solcher - für sich genommen - unbedeutender alltagskultureller Muster der Unterordnung und der Harmonisierung mit regelmäßig und vergröbert wiederholten Versatzstücken der katholischen Soziallehre, die durch die Berufung auf die Bibel mit göttlicher Autorität umgeben und damit menschlicher Kritik entzogen erscheinen soll, machte solche Veranstaltungen politisch sehr wirksam: Sie sprachen gerade das Gefühl an, und keineswegs in erster Linie den Verstand. ,,Josef der Arbeiter" Aus den Lebensbildern von Heiligen wurden Verhaltensleitlinien für Arbeiter herausdestilliert. Neben dem heiligen Josef, der bedeutendsten Heiligenfigur für die katholische Arbeiterbewegung, wurde vor allem dem heiligen Franziskus - als „Arbeiter Franz", als „Arbeiterführer Franziskus"-, aber auch „Jesus dem Arbeiter" eine besondere Vorbildfunktion für die Arbeiterschaft zugewiesen. Der Heilige Josef war bereits im letz ten Drittel des 19. Jahrhunderts „als Mittel im Klassenkampf - im Klassenkampf von oben - ... als der katholische Sozialheilige par excellence aufgebaut" worden, forciert durch ein päpstliches Dekret Pius' IX 1870.31 Der Josefitag wurde in den Tiroler Arbeiter- und Gesellenvereinen als „Hauptfest" 32 begangen, in der Regel mit Festmesse, Generalkommunion und Festversammlung und der Namensgratulation „an alle Josef des Vereines" 33 . Der heilige Josef als „Patron unseres Landes, sowie der katholischen Arbeiterschaft im besonderen" 34, bildete meist auch das zentrale Motiv auf den Arbeitervereinsfahnen. Zum einen diente der Josefskult der religiösen Legitimation politischer Feindbilder und des Dogmas der Lagerbindung: ,,St. Josef als Arbeiterführer" für „die große Gegenwartsfrage, den Geisterkampf, der sich letzten Endes in der Frage: ob Katholizismus, ob Bolschewismus" entscheiden müsse 35 ; zum anderen diente er der Vorstellung eines Tugendkatalogs für die Arbeiter. ,,Josef der Arbeiter" gilt als Vorbild, weil er „diesen bescheidenen Lebensstand verherrlichte ... mit den hervorragendsten Tugenden"36 . Jede Art von Arbeit wird als gottgewollt verklärt; damit soll indirekt der Kritik an schlechten Arbeitsbedingungen von vornherein der Boden entzogen werden. ,,Arbeitswille" 37, ,,Fleiß", ,,Zufriedenheit"38, ,,nicht Forderung, sondern Verzichtleistung"39 , Geringschätzung auch noch so bescheidener materieller Güter heißen die auf den Josefifeiern vielbeschworenen Tugenden eines katholischen Arbeiters. „An Josef sollen wir lernen, die vergä nglichen Dinge im Licht der ewigen Güter und der himmlischen Belohnung zu sehen und zu gebrauchen"40 . Die aus dem Leben von Heiligen abgeleiteten Verhaltensmaximen bilden einen (klein)bürgerlichen Tugendkatalog, geprägt durch die religiöse Überhöhung von Arbeitsmoral - Arbeit als „Gottesdienst" - und zusä tzlich geforderte Tugenden wie Opferhaltung, Zufriedenheit, Unterordnung oder bedingungslose Anerkennung von Autoritäten. Die Jenseitsverheißung, das Versprechen eines „ewigen Lebens" als Ersatz und Belohnung gerade für ein besonders tristes Leben vor dem Tod bedeutete den Versuch, materielle Ansprüche ruhigzustellen. Die etwa anhand von vorbildhaften Heiligenfiguren versuchte Verpflichtung der Arbeiterschaft auf diese Tugenden war zudem als Barriere gegen proletarische Bewußtseinsbildung gedacht- gegen „Klassenkampf" und ,,Klassenhaß". Die in den Tiroler Arbeiter- und Arbeiterinnenvereinen angestrebte Verkleinbürgerlichung häng t eng mit der Sozialstruktur der führenden Mitglieder der katholischen Arbeitervereine zusammen. Die Dominanz von Angehörigen kleingewerblicher Berufe sowie von Beamten und Angestellten in den Vorständen katholischer Arbeiter109

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