N och vor der Jahrhundertwende schlossen sich die einzelnen katholischen Arbeitervereine auf Landesebene zusammen, in Tirol im Jahre 1899. In den ersten Jahren nahmen diese Vereine auch die wirtschaftliche Interessenvertretung ihrer Mitglieder wahr. Die Herausbildung von Fachvereinen innerhalb der katholischen Arbeitervereinsbewegung war der erste Schritt zur Entwicklung eigenständiger christlicher Gewerkschaften : 1909 wurde die „Zentralkommission der Christlichen Gewerkschaften Österreichs" geschaffen. Damit waren jene beiden Organisationsteile gegeben, die im wesentlichen die katholische Arbeiterbewegung auch in der Zwischenkriegszeit bildeten - wie „Leib und Seele im menschlichen Leben"3 : einerseits die christlichen Gewerkschaften, die für materielle Belange, und andererseits die katholischen „Standesvereine" der Arbeiter /innen und Angestellten, die besonders für weltanschauliche und kulturpolitische Fragen zuständig waren. Die christlichen Gewerkschaften erreichten in Tirol, nach Vorarlberg, im Verhältnis zu den sozialdemokratischen freien Gewerkschaften die größte relative Mitgliederstärke aller österreichischen Bundesländer: 1926 kamen sie auf 26,6 Prozent der Stärke der sozialdemokratischen Gewerkschaften, 1932 auf 55,0 Prozent.4 Sie blieben aber auch in Tirol eine - wenngleich im Laufe der Zwischenkriegszeit stärker werdende - Minderheit innerhalb der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterschaft. Absolut zählten sie zwischen knapp 4000 und 7000 Mitgliedern.5 Alle konfessionellen „Standesvereine" der Arbeiterschaft zusammen kommen in Tirol auf ähnliche Mitgliederzahlen wie die christlichen Gewerkschaften. Die katholischen Arbeitervereine organisierten Anfang der dreißiger Jahre etwas mehr als 4000 Männer in über 70 Vereinen. Der ,,Verband erwerbstätiger katholischer Frauen und Mädchen Tirols", der erst nach dem Ersten Weltkrieg unter der Patronanz der Arbeitervereine gegründet worden war, erreichte bei einem Höchststand von 15 Ortsgruppen, davon allein sechs in Iimsbruck und Umgebung, bis zu 2000 Frauen. Die katholischen Jugendhorte und Burschenvereine, meist zusammengefaßt im Tiroler Diözesanverband des „Reichsbundes der katholischen deutschen Jugend Österreichs", zählten auch Arbeiterjugendliche zu ihren Mitgliedern und wurden von den katholischen Arbeitervereinen als ihre Nachwuchsorganisation betrachtet. Ein „öffentliches Glaubensbekenntnis" Entsprechend der Arbeitsteilung innerhalb der christlichen Arbeiterbewegung verfolgten die katholischen Arbeitervereine vor allem weltanschauliche Ziele.6 Laut Tiroler Einheitsstatut war es ihr Hauptzweck, ,,die Mitglieder im religiös-sittlichen Leben zu fördern". Diesem Ziel entsprach der auch organisatorisch verankerte starke Einfluß der kirchlichen Autorität. An der Spitze der katholischen Arbeitervereine stand ein katholischer Geistlicher, meist der Ortspfarrer oder -kooperator. Dieser Präses des Vereins wurde laut Einheitsstatut „vom Diözesanbischof bezw. (sie) in dessen Auftrage vom Diözesanpräses ernannt", der ebenfalls vom Bischof bestellt wurde. Katholische Ideen, die in den Arbeitervereinen gefördert werden sollten, hatten nicht nur die Bedeutung einer persönlichen Weltanschauung, sondern beanspruchten den Rang allein selig machender Zielvorstellungen gerade auch für den gesellschaftlich-politischen Bereich. Die „Pflege christlicher Kultur" wird zur „Pflege" des wichtigsten ,,Unterscheidungsmerkmals"7 gegenüber der als „gottlos" gebrandmarkten Sozialdemokratie. Religion als „Seele der Arbeiterbewegung"8 wird zur Ideologie der Integration nach innen und zum Hebel der Abgrenzung gegenüber nicht-katholischen politischen und kulturellen Strömungen und Bewegungen: die katholischen Arbeitervereine als ,,Schutzdamm gegen die Sturmesfluten des Sozialismus"9 . Mittel dieser politischen Immunisierung sind verschiedene Formen religiöser Bildung. Selbst auf den ersten Blick unpolitisch wirkenden religiösen Veranstaltungen kommt in diesem Zusammenhang (partei)politische Bedeutung zu . Das gilt für die gemeinsame Feier der Kommunion in den Vereinen - die Generalkommunion -, auf die der Tiroler Landesverband besonderen Wert legte 10 , genauso wie für die Teilnahme des ganzen Vereins an kirchlichen Festen, für die Veranstaltung von Arbeiter-Predigten, -Wallfahrten, -Einkehrtagen, -Exerzitien oder apologetischen Vorträgen. Der politische Charakter religiöser Veranstaltungen wird deutlich etwa bei der Wallfahrt der katholischen Arbeitervereine von Landeck und Pfunds nach Kaltenbrunn im Jahre 1927, bei der der Bezirkspräses „in temperamentvoller Weise über den Sozialismus als religiöse und wirtschaftliche Gefahr" sprach 11 . Die jährlich veranstalteten „reinen Standesexerzitien" hatten besonders „diejenigen Arbeiter" als Zielgruppe, ,,die mitten im Kampf stehen und viel mit Gegnern zu tun haben"12 . Die Feier- und Festkultur katholischer Arbeiter-, Arbeiterinnen- und Jugendvereine in Tirol orientierte sich am kirchlichen Festkalender - einmal abgesehen von Veranstaltungen wie Familienabenden, die dem vereinsinternen Zusammenhalt, der Geselligkeit und Unterhaltung dienten. Die konfessionellen „Standesvereine" beteiligten sich an den großen Kirchenfesten mit Öffentlichkeitscharakter - besonders an Fronleichnam und dem in Tirol als katholisch-landespatriotisches Fest begangenen Herz-Jesu-Sonntag, öfters auch an Maria Himmelfahrt, Christkönig und an den öffentlichen Festen in einzelnen Pfarreien, wie 107
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2