Der Kuckuck vom 17. Jänner 1932

D as Burgtheat~r erl':bt :'ieder eine j~ner p 0 eriodisch auf– tretenden Krisen. Em Direktor, der Dichter Anton Wild– gans, verläßt sein Amt, ein anderer, der angeblich tüchtige Geschäftsmann Hermann R ö b b e I in g aus Hamburg, über– nimmt es, der sechste Direktor, seitdem das Burgtheater auf– gehört hat 1 eine Hofbiihne zu sein. Dieses in seiner Art einzig– artige Theater leidet unter vielfachen Umständen, die in seinem Wesen und in seiner Stellung liegen, Wie auf einen Menschen drückt auch auf eine Institution schwer die Last rubmvoller Vorfahren. Da gäbe es nur eine Hilfe: Sich gewaltsam von allen Vergangenheiten zu befreien, Dazu bringt aber das Burg– theater, bringen vielmehr die Kräfte, die heute noch den Staat und alle seine Institute regieren, nicht die moralische Selbst– verleugnung auf. Die Zeit hat sich gewandelt. Die Kreise, die einstmals das Stammpublikum des Burgtheaters bildeten, sind in alle Winde zerstoben, die Sorglosigkeit eines Adels, der von seinen Gütern nach \Vien kam, um Hof- und GrOßstadtluft iu Al Das Rollenarchiv des Burgtheaters Probe (,,Sturm" von Shakespeare) genießen, und eines Bürgertums, das sich seines neuen, mächtig emporblühenden Reichtums erfreuen wollte, ist nicht mehr. Das Burgtheater aber will immer noch das Theater dieser Kreise sein, ein Komtessentbeater, wo doch die Komtessen nicht mehr existieren oder gezwungen sind, ihre Titel im verschämten Trotz vor dem republikanischen Gesetz zwischen Klammern zu setzen. Aus diesem Widerspruch zwischen den Tatsachen einer harten Gegimwart und der Sehnsucht nach einer un– wiederbringlich zersprengten Vergangenheit stammen die hauptsächlichsten Leiden des heutigen Burgtheaters. Die Probleme, die man in ihm sieht, die Satire, die sich auf seine Bretter wagt, die Interessen, um die es in seinen Stücken geht, sind zeit– fremd geworden und es will sich nicht der gegenwärtigen Zeit nähern. Und trotzdem gibt es hier noch Abende, die in ihrem unvergleichlichen Glanze eine Weihe auszustrahlen vermögen, wie in keinem Theater sonst. Dann ist es die Har– monie des Spiels, die auf den Zuschauer wirkt, die Abwesenheit vordringlicher Stars und dafür eine außerordentliche Kunst, gerade in den kleinsten Rollen, die gepflegte Regie, die sich in ungezählten Kleinigkeiten ausprägt, die Sorgfalt des Sprechens, auf das im Burgtheater noch immer wie auf keiner anderen Bühne geachtet wird. Noch immer gibt es solche Abende, an denen alle diese Umstände sich vereinigen, um das Publikum zu erheben. Geschmäht und heftig kritisiert wurde das Burgtheater Links: 20.000 Kerzen beleucblen die letzte Kostümprobe. Der Blick des Schneiders gleitet von der Künstlerin auf das geschichtliche Modell im Album immer, auch in seinen besten Tagen unbestrittenen Ruhms. Es ist ergötzlich, in einer Geschichte des Burgtheaters zu lesen, daß auch den Heroen dieser Bühne, den Sonnenthal und Wolter, den Baumeister und Gabillon, sogar in ihrer Jugend vorgehalten wurde, daß sie an ihre Vorgänger nicht heranreichen. Und auch mit dem Repertoire des Burgtheaters war man nicht zufrieden. Bald war es zu klassisch und bald zu modern, bald zu derb und bald zu höfisch. Auch da– mals, als es aus der Hofschatulle des Kaisers erhalten wurde, hatte es zwi– schen verschiedenen Strömungen, der einen, die es zu einem Amüsiertheater des Hofes, der anderen, die es mit der emporringenden t1nd siegesnahen Literatur der Epoche in Verbindung bringen wollte, schwer zu kämpfen, Bekannt ist, daß als einer seiner Direktoren in diesen heiligen Hallen Ger– hart Hauptmanns „Rose Bernd 11 aufführte, bei der fünften Vorstellung eine Kaiserstochter erschien und entsetzt war, hier das Thema der unehelichen Mutter und die Liebesgier der Männer behandelt zu sehen, ,,Rose Bernd" wurde verboten, Weniger bekannt ist, daß es neben der Staatszensur, die über alle Theater ihre Macht ausübte, noch eine besondere Burgtheater– zensur gab, die nach eigenen Gesichtspunkten ihres Amtes waltete. So stand das Burgtheater seit jeher und steht noch heule zwischen zwei Fronten. Es hat Dekorationen und Kostüme von einer Reichhaltigkeit und Pracht wie wenige Theater in Europa. Es hat eine Tradition der Kultur, die die Schauspieler zweifellos beeinflußt, es hat eine Fülle vortrefflicher Darsteller - was ihm fehlt, ist ein Führer, der seinen noch immer bedeu– tenden Besitz an Geistigem und Materiellem zur Geltung bringt. Und es ist bezeichnend für jene Mächte, die Österreich und in Österreich das Burg– theater regieren, daß sie es nur ausnahmsweise, sozusagen nur zufallsweise zustande brachten, wenigstens diese Institution einem Führer zu geben, der es wirklich leitete und sich nicht von allen Einflüssen selbst leiten ließ. Im kleinen Maße spiegelt sich eben im Burgtheater das Schicksll Öster– reichs wider, in ·dem an die entscheidenden Plätze immer nur die unge– eignetsten Persönlichkeiten gelangten. Im Grunde gibt es in der mehr als 150jährigen Geschichte des Burgtheaters nur drei Direktoren, die es wirklich lenkten und wie man erst später er– kannte, seinen Besitz wirklich mehrten. Der eine war am Anfang des 19. Jahrhunderts Sc h r e y v o g e l, der von seirlen höfischen Vorgesetzten auf Knall und Fall entlassen wurde, so daß er nicht einmal mehr in seine Kanzlei zurückkehren durfte, um sich Mantel und Schirm zu holen. Der zweite war der Stürmer des jungen Deutschlands, der Kämpfer des Jahres 1848, Heinrich Laube, der dritte der Hofrat Max Bur c k h a r d, der gleichfalls die Türen , des Theaters weit aufriß und frische Luft hineinließ. Der Ruhm, den sich diese drei um das Institut erworben, zeigt, wie das Burgtheater wieder hochzubringen und populär zu machen wäre. Die Kostüme fiir den Abend werden vor... bereitet 9

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