Der Kuckuck vom 17. Jänner 1932

DIE EWIGE WIEDERKEHR VON EINER MILLION ZU EINER MILLION IN 1800 JAHREN f n der Schule lernt man allerhand Geschichte über die Gründung Roms. Sogar ein genaues Datum, 21. April 753 vor Christus, und Mussolini läßt es allj ährlich leiern. Ausgrabungen haben ergeben, daß Rom tatsächlich schon 1100 Jahre vor Christus bestanden hat. Daß natürlich irgendein Gründungsdatum sich nicht angeben läßt und daß die Geschichten von Romulus und Remus nebst der von der Wöllin Märchen sind. Mommsen hat ange– nommen, daß die Flucht latinischer Hirten aus der ge– fährlichen Nähe der Kraterberge die Ursache der Stadt– gründung gewesen ist, die auf dem Palatinhügel statt– gefunden hat. Rom muß man sich viele Jahrhunderte hindurch wie ein albanisches Städtchen von heute vorstellen. Ein Städtchen, in dem es viel Blutrache und Skandale gab, wie sie einer rauhen Bauernbevölkerung entsprechen. Seine Lage an dem damals noch weit landeinwärts schiffbaren Tiber hat Rom mit der Zeit zu einem Handelsplatz gemacht. Konnten doch auch auf den Nebenflüssen des Tiber die Handelsschiffe weit in das Innere des Landes vordringen. A ls die Stadt Rom unter den letzten ihrer Könige, den Mitgliedern der ausländischen Etruskerdynastie, der Tar.: quinier, emporblühte, wird sie auf Grund der damals ge– schaffenen Tribuseinteilung eine Bevölkerung von 25.000 Menschen gehabt haben. Wie man weiß, sind der Er– richtung der Republik im Jahre 509 vor Christus kampf– erlüllte Jahrhunderte gefolgt, in denen einmal die Stadt bis auf den Grund zerstört wurde, um sozusagen provi– sorisch wieder aufgebaut zu werden. Dieses Provisorium von Buden und Bara<:ken blieb für mehrere hundert Jahre. Die Stadt war eine Kreuzung zwischen einer mittelalterlichen und einer Wild-West-Stadt um 1850. Aber 312 Jahre vor Christi Geburt ist die erste Wasser– leitung gebaut worden. Noch gab es weite Felder, auf denen man pflügte, innerhalb der Stadtmauern. Als die Kriege gegen Karthago ausbrachen, lebten schon 273.000 Menschen hier, während Roms Gebiet nicht mehr als 6 Millionen zählte. In den Punischen Kriegen standen 770.000 Mann unter Wallen. Ein Viertel davon ist gefallen. Nach der Vernichtung Karthagos blühte Rom zur Weltstadt au!. Die Stadt wuchs. Sprengte ihre Mauern. Grundstückspekulation riß ein, es wurde enorm gebaut, schamloser Mietzinswucher ge– trieben. Die ganze Stadt war mit drei- bis vier– stöckigen Zinskasernen angefüllt. Es gab 46.000 Miethäuser gegenüber 1600 Einfamilienhäusern der vornehmen Welt. Ein derartiges Palais konnte 4,800.000 Schilling kosten, wie es uns Eine türkische Gebirpbäuerin in Lasistan flüchtet vor dem von dem Hause des berüchtigten Tribunen Clodius be– richtet wird. Nun existierten schon durchweg gepflasterte Straßen in der Stadt, aber eine der größten Plagen der Antike, der gegenüber die damalige Menschheit lange wehrlos war, die Malaria, hörte nicht auf. Bis zum Jahr 200 nach Christus betete man in Rom zur „Dea Febris", der Fiebergöttin. Erst in der römischen Kaiserzeit, in der immer neue Wasserleitungen gebaut und gigantische Entwässerungsanlagen durchgeführt worden sind, kam es zu einer Abschwächung des Fiebers. Photographieren in ihre Hütte Phot. Bahmer 120.000 Einwohner, Alexandria 500.000, Ephesus 200.000, Pergamon 180.000. Um das Jahr ito nach Christus lebte eine Million Menschen in Rom. 436 Jahre später jedoch nur mehr 5 0 0 Personen. Eine Tatsache, die nicht ihres– gleichen in der Weltgeschichte hat. Am Ende des 6. J ahrhunderts nach Christus wohnten allerdings schon wieder an 40.000 Menschen zwischen den zerfallenden Häusern und Palästen der Millionen– stadt. Die Entwicklung nach aufwärts bis in unsere Tage, da Rom wieder eine Million Einwohner zählt, ist nicht in gerader Linie gegangen. Fürchterliche Epidemien haben immer wieder die Bevölkerung dezimiert. So hat die Pest von 1348 nur 17.000 Römer am Leben ge)assen. 1521 gab es ihrer schon wieder 55.000. Paris hatte damals allerdings schon 200.000 Einwohner. Eine Ziffer, die Rom erst im Jahre 1804 erreichte. Entschleierte Romantik: Sie sehen hier die Sultanin Malek von Ägypten in Begleitung ihrer Eunuchen auf der Straße. Euro• päer hatten sich diesen Anblick. wohl anders vorgestellt Aus den Nachrichten, die wir über die staatliche Ge– treideverteilung an die bürgerliche Bevölkerung Roms haben, läßt sich die römische Bevölkerung berechnen. Zum Beispiel für das Jahr 5 vor Christus auf' 574.000 Personen, für das Jahr 5 nach Christus auf 870.000. Welche Bedeutung Rom damals für die zivilisierte Welt hatte, geht aus dem Vergleich seiner Bevölke– rungsziffer mit der der bedeutendsten Städte des Alter– tums hervor. Athen zählte zu jener Zeit nicht mehr als Als die Italiener 1870 im Rom der Päpste einmar– schierten, war diese Zahl erst um 15.000 gestiegen. Schluß von Seile 6 G<g<n dm So~ialismus Auch die europäische Arbeiterschaft wird höflichst eingeladen, sich mit dem Papst und dem Philosophen gegen Sowjetrußland zu ver– bünden, sie wird von dieser Einladung gewiß keinen Gebrauch machen. Die europäischen Ar– beiter wissen, daß die Sowjetunion kein Para– dies sein kann, sie wollen - wenn man sie läßt - auf anderen Wegen zum Sozialismus kom– men, aber sie kämpfen mit der gleichen, heiligen Leidenschaft um die Enteignung der Kapitalisten wie die russischen Proletarier! Darum kann es uns durchaus nicht gleichgültig sein, wenn Leute vom Schlage dieses Coudenhove-Kalergi für alle Not des kapitalistischen Krieges, für alle Folgen der revolutionären und gegenrevolu– tionären Kämpfe - den Sozialismus v e r a n t wo r t I i c h m a c h e n wollen. .,Der Stalinismus will mit kapitalistischen Methoden in fünf Jahren aufbauen, was das kommu– nistische Experiment in zehn Jahren zerstört und versäumt hat. Das ist der Kern des Fünf– jahrplanes. Seine Durchführung beweist nur, daß der Kapitalismus auch ohne Kapitalisten funktioniert." Weil man also in Rußland Fabriken und Bergwerke baut, die natürlich nicht anders aussehen können als in Amerika oder Europa, spricht Coudenhove von einem „Kapitalismus". Es ist jedenfa11s der einzige „Kapitalismus", der heute funktioniert und Hoffnungslosigkeit ist heute überall eher zu spüren als in dem Rußland des Fünfjahrplans. Die Planwirtschaft in Rußland, der Aufbau einer Industrie ohne Kapitalisten wird den sozialistischen Energien in der ganzen Welt 8 neue Impulse verleihen, er wird den Untergang des Kapitalismus beschleunigen - darum zieht Coudenhove aus, um zu beweisen, daß der Sieg des Fünfjahrplanes eigentlich ein „Sieg des Kapitalismus" sei und daß die „Arbeiter– aktionäre des Sowjettrusts" froh wären, wenn sie ihren Anteil an der russischen Planwirt– schaft „einem Geschäftsmann oder einer Firma" übertragen könnten. Dann würden sie nämlich mit einem Schlag „höhere Reallöhne" erhalten. Fragt sich nur, warum diese „rationellere Ge– schäftsführung" in Europa nur ein Rezept kennt: den Abbau der Reallöhne. Oder sollte der Herr Graf in seinen olympischen Höhen auch davon nichts bemerkt haben? Für d<n Faschismus Mit allen Registern des Gefühls, die Couden· hove mit journalistischer Fingerfertigkeit be– tätigt, wird in diesem antisozialistischen Pamphlet für die „große europäische Freiheits– bewegung" geworben. Die europäische Freiheit ist unsere „bedrohte Mutter", die von Faschisten und Demokraten gemeinsam ver– teidigt werden muß! Mussolini als „Freiheits– held"! Der römische Papst als „Kulturkämpfer". Der Dritte im Bund ist Coudenhove - als Weltweiser. Man möchte ihn um sein Wolken– kuckucksheim beneiden. Was ist's mit Hitler? Mit den Boxheimer Dokumenten? Mit den Konzentrationslagern auf den Liparischen Inseln? Gibt es nicht eine faschistische Inter– nationale von Hitler bis Mussolini, von Pilsudski bis Horthy? Schwarze, braune, grün– weiße, blaue Faschistenbanden bedrohen Europa. Sie verkünden mit brutaler Aufrichtig- keit, daß sie keine antifaschistische Zeitung nach ihrer Machtergreifung dulden würden, sie träumen von „einer Nacht der langen Messer", sie wollen die europäische Entwicklung um fünf bis sechs Jahrhunderte zurückschraub.en. Zurück zu verpfafften Universitäten, zu Ketzer• verfolgungen, zum Ghetto, zurück vor allem zum „Ständestaat", der nicht mehr dem „Groß– stadtgesindel" ausgeliefert ist. Coudenhove spricht von „Staatssklaverei", ja, es gibt ein Proletariat, das wirklich Sklavenketten trägt: das geknechtete, niedergeknüppelte Proletariat Italiens! Aber der italienische Untertan (man beachte diese nichtssagenden Allgemeinheiten, innerhalb derer sich dieser Philosoph am liebsten bewegt/) ist nach Coudenhove „ein freier Mann, verglichen mit dem russischen". Genug von dieser „Weltweisheit"! Pan<uropa am Zi<I Und das Ende der Philosophie? .,Europa muß zum geistigen Angriff übergehen: gegen den bolschewikiscben Materialismus." Mil Ehrenfest, Katzenellenbogen und Lahusen! „Gegen dessen Sklaverei!" Mit den Herren von der Alpine und vom Stahlwerksverband! ,.Gegen dessen Gewaltpolitik!" Mit Mussolini, Hitler, Horthy, Pilsudski und Seipel! Wahrhaftig, Paneuropa ist am Ziel! Mit päpstlichem Segen rüstet es zum Schutz der bedrohten abend· ländischen Kultur. Coudenhove fordert einen gemeinsamen Wirtschaftsrat, der die Boy k o l– t i e r u n g R u ß l a n d s vorzubereiten hätte. Einen europäischen Ver t e i d i g u n g s rat, der vor allem über eine große Luftflotte ver– fügen soll. Er beteuert: ,,Solange . Rußlands Staatsreligion die Vernichtung der westlichen Kultur fordert, m u ß E u r o p a g e r ü s t e t b I e i b e n," Paneuropa in schimmernder Wehr, der Paneuropäer als' Wortführer gegen die Ab– rüstung! Sollte Coudenhove dafür nicht den Nobel-Friedenspreis erhalten? Der „geistige" Angriff wird weiter nach vorne getragen! Das Trommelfeuer der Bier– bankargumente saust uns um die Ohren: Schutz gegen den russischen Film, gegen Radio•Moskau, gegen Versammlungen und Zeitungen. Zuletzt wird der Paneuropäer gar ein „Atlantiker": Sowjetrußland wird e in· g e kreis tl Gemeinsam mit Babbit und dem Mikado verteidigt der Prophet des Abendlandes die „westliche Kultur" gegen den roten Islam .. . „Atlantis", der Bund Europas mit Amerika, den britischen Dominions und Japan, steht bereit, das Eigentum der Bankhyänen, der Inddstrie– magnaten und Börsenspekulanten zu schützen! {Die Planeten werden vorläufig noch nicht mobi– lisiert. Aber diese waffenstarrende Kulturwelt soll nicht nur Sowjetrußland einschüchtern, sondern auch selbst R e l i g i o n s k .r i e g e führen: wenn ein Volk den Glauben an diese bankrotte kapitalishsche Ordnung verlieren und seine Wirtschaftsführer ohne Pension weg• schicken sollte, dann hofft Coudenhove auf .,eine internationale Gegenaktion". So mündet diese Philosophie, die mit der Antike, mit „den Ideen der Persönlichkeit und der Gotteskindschaft" beginnt, in die nackte, brutale Konterrevolution. Auch Propheten gehen mit der Mode. Wovon träumt die Gans? Vom Kukuruz. Immer kleiner wird der Abstand zwi– schen Philosophen und Leitartiklern, die gegen Zeilenhonorar schreiben. Und es gibt heute viele falsche Propheten in - Paneuropa.

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