Der Kuckuck vom 17. Jänner 1932
AZALEEN ODER »FRAUEN SIND DOCH UNBEGREIFLICH« -:- KARL HOLZER Frau Agathe zieht ihr blaues Taylor-made an, das ihr so gut steht und sie so jun~ macht. Sie geht zu einem Kollegen ihres Mannes, der die kleinen Frostbeulen an ihren fingern durch Bestrahlung mit der Quarzlampe behandelt. Wie sie zu den Erfrierungen an den Fingern gekommen ist, kann sie sich eigentlich gar nicht erklären. Sie führt doch ein durchaus behagliches und beQuemes Leben und ist den Fährnissen der Witterung wenig genug aus– gesetzt. Hat vielleicht einmal die Zentral– heizung versagt und sie hat es nicht bemerkt oder hat sie bei einem längeren Spaziergang zu dünne Handschuhe angehabt? Genug, die Frostbeulen sind da und sie hat es nicht nötig, ihre schönen kleinen Finger so verunstaltet zu lassen. Ihr Mann ist Zahnarzt und hat sich auf ihre Klage sofort mit einem Kollegen, ei11em praktischen Arzt, den er noch von der Studien– zeit kennt. in Verbindung gesetzt und Dr. med. Gustav Herlander hat sich natürlich sofort bereit erklärt. die kleinen Frostbeulen auf elektrischem Wege zu vertreiben. Gustav Herlander ist also Arzt, das heißt er gehört zu jener Kaste. deren Mitglieder bekanntlich von zwei bis vier Uhr gute Menschen sind. Und daß er sich so eifrig bereit erklärt hat, Frau Ag-athens Erfrieru11gserscheinu11ge11 zu behandeln, ist nicht zum geringsten Teil darauf zuriickzuhihren. daß Frau Agathe ihm gut ge– fällt. Eigentlich zeugt es von wenig Kamerad– schait gegen ihren Mann. denkt sie, daß Doktor Herlander so Jag-d auf sie macht. Anders kann man es wirklich nicht nennen. Sie ist es ja gewöhnt. daß Männer ihr den Hoi machen und sie fühlt nicht ungern den prickelnden Reiz ihrer \.Virkun~ auf das andere Geschlecht. Aher dieser Dr. Herlander ist doch etwas gar zu offenherzig. .Jedenfalls ist es gut, daß die Be– handlung bald zu Ende ist. Heute soll die vierte Sitzung sein und Hini P,:strahlungen sind im ganzen in Aussicht genommen. Nicht etwa. daß sie die Gefahr für gar zu groß hält. Zwar Dr. Herlander ist ein fescher Kerl und ~efällt ihr ganz gut, aber - Ehebruch! Nein, an so etwas nur zu denken. verursacht ihr schon eine Gänsehaut. Wenn nur ihr Mann sie nicht so vernachlässigte. Sie macht eine kleine Verbeugung ihrem Bilde im Spiegel, vor dem sie das Taylor-made angelegt hat und stellt fest, daß sie ein kleines Sträußchen Veilchen fiir das Knopfloch der Jacke braucht. Dann geht sie hinüber durch das Wohnzimmer und öffnet leise die Tür ins Ordinationszimmer. Sie steckt den Kopf hinein, um ihrem Mann Adieu zu sagen, aber der ist über einen Patienten gebeugt und die elektrische Bohrmaschine verbreitet einen Lärm wie in einer fabrik: Sie winkt mit der Hand abschiednehmend hinein, aber er nickt ihr nur mit den Augen zu, gleichgülti.':', wie ihr scheint, und sie schließt schnell ur1d mit einem leichten Knall die Tür. Die letzten Schneereste werden weggekehrt und es liegt Frühlingsatem in der Luft. Morgen, Aua dem atindigen Photowettbewerb du .Kuckuck• 2 Sonntag, sind es zehn Jahre. daß sie ver– heiratet ist. Da wird es sich wieder zeigen, wie ihr Mann zu ihr steht: was er ihr wohl aus diesem Anlaß schenken wird? .Es muß nichts Großartiges sein und braucht auch nicht viel zu kosten. aber es soll persönlich sein und soll Liebe und Gedanken und Miihe ver– raten. Nur um alles in der Welt nicht etwas Unpersönliches und Gefühlloses wie eine Bon– bonniere oder Blumen. Oder ist es etwa nicht gedankenlos, wenn so ein männliches Indivi– duum eine Konfiserie betritt und eine Bon– boniere verlangt, soundso viel darf sie kosten und wie sie aussieht und was drin ist, ist egal. Oder in einem Blumenladen einen Blumentopi verlangt, der dann auch überreich mit rosa– farbenem Kreppapier und womöglich mit einer Atlasschleife versehen ins Haus geliefert wird, ein bebändertes und maschengeschmücktes Monstrum, das nach wenigen Tagen schon unweigerlich eingeht und weggeworfen werden muß. Aber sie fürchtet sehr, daß eines von den beiden ihr verhaßten Dingen sie morgen „überraschen" wird. Seit ihr Mann dieses Steckenpferd der Photographie i.refunden hat, ist sie für ihn noch weiter in den Hintergrund geraten. Die meiste freie Zeit verbringt er in seiner Dunkelkammer, die er sich selbst ein– ~erichtet hat. und seine Finger sind, trotz der mit seinem Beruf verbundenen iiberaus ·zahl– reichen Iiändewaschungen, ewig gelbbeschattet von Säuren und Mixturen. Dabei pflegt er „wissenschaftliche Photographie". das heißt er .,lichtbildert'· ein halbgefülltes Wasserglas einige Dutzend Male bei immer neuer Beleuch– tung und unter immer neuen Voraussetzungen, studiert dabei Strahlungen und Brechungen. steckt seine Nase in dicke, fachwissenschaft– liche Wälzer und macht Notizen und An– merkungen. Ach, sie möchte am liebsten das ganze photographische Zeug zum Fenster hinauswerfen. Ja, er wird es noch so weit treiben, daß sie ihn wirklich betrügt, wenn er weiter wie bisher sich so wenig um sie kiimmern wird. Und sie fühlt sich wie ein fast reifer Apfel, der zwar noch mit dem Sten~el am Zweige hängt, den aber schon jede leichte Brise zum Schaukeln bringt. Wird er dem nächsten größeren Windstoß noch standhalten können? Schon ist sie nahe bei dem Hause angelangt. in dem Dr. Herlander seine Ordination abhält. da erblickt sie einen Blumenladen und erinnert sich, daß sie ein Veilchensträußchen für die Jacke sich kaufen wollte. Sie betritt also den Laden und verlangt von der freundlichen Ver– käuferin ein paar Veilchen. W i\hrend sie wartet. muß sie grimmig (wenn dieses Wort bei einer zarten, immer noch jungen Dame ge– stattet ist) auflachen: da steht ja auf dem Ver– kaufstisch so ein abscheuliches Monstrum und ist gerade in Arbeit oder vielmehr gerade fertig geworden. Einige rote, trichterförmige BHiten, umgeben von grünen. lanzettlichen Blättern. entsprießen einem Topf, der dick mit Die altea. Esc:bea Kreppapier umwickelt ist und obendrein lTlit einer mächtigen Atlasschleife geziert ist. Es sind, wie sie sofort erkennt, Azaleen, duftlose Blumen, im Treibhaus gezogen und für Ver– kauiszwecke in diesen Topf übersetzt. Eine morbide Atmosphäre liegt über den wenigen Blüten, ihr nahes Abwelken voraus– sagend. Es hängt auch eine kleine Enveloppe mit dem Namen der Adressatin daran und fast ohne Willen begeht sie die kleine Indiskretion, das Kuvertchen umzuwenden: ihr eigener Name und ihre Adresse werden sichtbar! Ein elektrischer funke durchfährt sie. so daß sie, wie in einen Stromkreis geraten, das Kuvert festhalten muß. Also doch! 0 wie gut kennt sie doch ihren Mann! Wie genau sie seine .,Überraschung'· vorausgesehen hat! Eine maß– lose Erbitterung und Zorn ergreift sie und sie möchte am liebsten das schieifengeschmückte Unding zu Boden werfen, zertrfimmern und zertreten. Aber da ist schon die Verkäuferin mit süßem Lächeln und befestigt dienstwillig den kleinen violetten Tuff in dem Jacken– knopfloch der gnädigen Frau. Agathe dankt freundlich, zahlt den gerinien Betrair und ver– läßt den schönen wohlriechenden Laden, in dem sie eine so bittere Bestätigung ihrer Menschenke1111t11is erfahren hat. Dr. Herlander hat eine ziemlich genaue Zeiteinteilung und zur Behandlung bestellte Patienten müssen nicht warten. Schöne Frauen schon gar nicht. Denn Dr. Herlander ist ein großer Damenfreund. Verlangt es nach Erforschung und Er– klärung des Donjuanismus? Hieße es nicht im Zeitalter der Psychoanalyse Wasser in die Donau tragen. wollte hier der Versuch ge– macht werden. dieses Konglomerat von Jagd– lust, Eigenliebe. Geltungsbedürfnis und -– Satyriasis zu erläutern. Gustav Herlander, als Kind kleinstbiirgerlicher Eltern geboren. hatte den Doktortitel erworben nnter jenen Ent– behrungen. die nach oft wiederholten Be– schreibungen in der Literatur immer noch grauenhaft wahr geblieben sind und hatte mit Ausnützung aller. aber auch wirklich aller seiner fähhtkeiten, unter dene·n die der politi– schen Anschmie;.:-samkeit nicht die Jetzte Rolle spielte, eine fixbesoldete Stellung als Kranken– kassenarzt errungen, Ziel aller studentischen T räume. Die ihm nicht abzusprechende ärzt– liche TiichtiKkeit und eine hartgesottene Skrupellosigkeit hatten ihm im Anhang zu seiner Kassentätigkeit eine zahlreiche Privat– klientel verschafft und nun, da die Sorgen des Alltags nicht mehr an ihn heranreichten, wollte er endlich langunterdriickte. oft erträumte Ge– lüste wahr wCrden lassen. Noch eines kam dazu: er wollte es sich selbst nicht glauben, daß dieser elegant gekleidete. manikürte und g-epfleJ.?te junge ·Mann er selbst sei, Kind einer Abstammung, deren er sich schämte (wie ihm in unangenehmen Augenblicken bewußt wurde). über die Achseln angesehenes Studentchen mit ausgefransten Ärmeln und ,.FreitischfreQuen– tant... Und nie glaubte er sich diese märchen– hafte Wandlung eher als in den Armen einer ,,Dame", die seinen Künsten nicht hatte wider– stehen können und ihm sein •.Herrentum" be– stätigte. Dieser schiichterne Versuch einer Ana– ly~e ·möge nicht erkHiren, nur andeuten. warum Dr. Gustav Herlander jede hübsche junge Frau, die ihm unerreichbar-erreichbar schien, erobern wollte. Phot. E. Thoma Etwas an dem Wesen der zornigen und ge– kränkten frau Agathe verriet ihm. daß der Tag seines Sieges über sie heute. wenn je, kommen könnte. In bewußter Absicht hafte Herlander in seinem Ordinationszimmer Vorkehrun}(en zu treffen verstanden, die das Offiziell-weiß– lackierte, wenn es wünschenswert erschien, in das mollige Wohnzimmer eines Junggeselle11 verwandelten. Zwar der blinkende Glasschrank mit den Instrumenten und die silberglänzendc Kugel der Bestrahlungslampe ließen sich nicht verbergen. Aber das wachsledernweiße Ruhe– bett ließ sich durch eine rasch den Tiefen eines Kastens entnommene Decke {orientalischer Seidenteppich übrigens. Souvenir von einer Teppichhändlersitattin. etwas zu molliJ.!". aher sonst siiperb) und zwei in den Farben raffiniert kontrastierende, also harmonisierende Polster in ein Lager umwandeln, welches sofort domi– nierend den Raum beherrschte und ihm eine behaglich-vornehme Note verlieh. Bele11cl1- tungskörper, die nicht funktionierend ernst und sachlich erschienen, verbreiteten, bei Ta)Zes– licht und zugezogenen Vorhängen eingeschaltet, eine heitere und exotische Atmosphäre. Nun noch den seit Schnitzlers Reigen u11entbehrlich gewordenen Parfümzerstäuber in Täti1,!kcit ~e– setzt, der hier doppelt wichtig erschien, als Uberwinder medizinaler Düfte, und des moder– nen Don Juan Turnierplatz war bereit. Die gnädil!e Frau sei piinktlich wie immer. eine rare Eigenschaft bei Frauen. Noch cm seltener Vorzug mehr, den er an ihr be– wundere. Was sie denn wohl sonst noch für Vorziigc habe, sag-t sie, ihm Chancen hie.tend. Sie bringe ihn wirklich in Verlegenheit. Sie wisse doch. daß er ihr aufrich0Rer und er~ g-ebe11er Bewunderer sei und wenn er he,-:-innen sollte. alle ihre bewundernswerten EiKen– schaften aufzuzählen, wüßte er nicht. wo zu beginnen. Etwas zu dick aufgetragell, denkt fr.-rn A1rnthe. nnd zieht sich wieder ein wenig in ihr Schneckengehäuse zuriick. Die Jacke mit den Veilchen ist abgeh~Rt. die Handschuhe sind ab1testreift. Herlander setzt ihr die schwarze Schutzbrille auf. wobei seine Hände ihre SchHifen länger als 110twemli~ halten. Dann versor.z t auch er sich mit Lien dunklen Augenschiitzern. bringt ihre tiä11c.!e. an deren Fingern die kleinen Frostbeulen sicht– lich im Abflauen sind, aui einem Kissen m beQueme Position innerhalb der heilenden Strahlen. die er jetzt einschaltt:t. \Vohligc Wärme senkt sich auf Frnu Agathe herab. die vorschriftsmäßi~ bewegungslos sitzt und an– genehm schläfrig wird. Unter dem Vorwand. die krnnken Stellen durch sachtes Orehcn gleichmäßig den Strahlen auszusetzen. nimmt Herl;.rnder ihre Fin~er in seine und Frau Agathc fühlt die festen warmen Hände angenehm um sich bemiiht. ,.Darf ich Ihnen ein kleines Märchen er– :tählen?" saJ,?t er mit halblauter Stimme. .. l:::s heißt •Totem und Tabu•. (Man sieht. Herla11der ist ein zünftiger Psychoa11alysias.) Die Prin– zessin Tabu lebte einsam im tiefen Walde untl pflegte ihre Schönheit. Sie wußte, draußen um den Wald herum, strich der arme Medizi11- mann Totem und verzehrte sich in Sehnsucht nach der schönen Prinzessin Tabu. aber de11 Wald betreten durfte er nicht und sie kam nicht heraus zu ihm. Hörte sie nicht i11 de11 stillen Nächten. wenn der Zauberer Mond alle Dinge verwandelt, die Sehnsuchtsrufe des Medizinmannes Totem? War der Wald zu dicht, als daß ihn die l~ufe durchschnittc11 hätten? Oder wollte sie grausam nicht hören.· wie Totem sie r iei? Da flehte Totem den Zauberer Mond an, daß er Tabu zwän:l.!t:, zu ihm zu kommen. Und der Zauberer befahl einer große11 Kälte. daß sie Prinzessin Tabn iiher– fiele. Und die Kälte zog aus. Prinzessin Tahu zu iiberfallen, aber siehe da. Prinzessin Tahu lag in ihrem Bett und war ZUJ.!edeckt mit dem dichten Mantel ihrer goldenen Haare. und der Mantel war so dicht und warn1. daß die Kälte sie nir.r{ends berühren konnte. Nur ihre zarten Fingerche11, mit denen sie spielend ihre Haare gestrählt hatte. staken aus der goldenen Decke. Da entsandte die Kälte drei Vögel, die auf ihrer Schulter gesessen hatten, daß sie Prin– zessin Tabu ein we11ig in die Finger picke11 sollten. Und der erste VoJ.?el hieß Rubor und als er mit dem Schnäbelchen in die Finger pickte. da wurden sie rot, und der zweite Vogel hieß Tumor und als er an den Finger– ehen schnäbelte, da waren sie ges.chwollen. und der dritte Vogel hieß Calor und da wurde den Fingern heiß. Prinzessin Tabu erwachte und ZOJ:{ die Hände unter den Mantel. Ooch als sie sah. daß ihre schönen zarten _Fingerehen rot, geschwollen und heiß waren, weiute sie und erschrak. Sie blies auf die Finger und steckte sie in den Mund. wie die kleinen Kinder tun. Aber nichts wollte helfen. Da erinnerte sich Pri11zessin Tabu an den Medizinmann Totem und eilte hinaus aus dem großen kalteu Wald, daß Totem ihr helfe und Totem half ihr! - So, die Bestrahlung ist aus!" Ein kleiner Schalthebel wird umgelegt. die heiße Licht– welle erlischt und die dunklen Brillen werden abgelegt. Duselig bleibt Frau Agathe auf ihrem Platz. da setzt sich Herlander neben sie, um– armt sie zart und kiißt sie auf den Mund. Frau Agathe will sich wehren, denn das ist ihre Pllicht, aber da erscheint wie ein lebendes Bild oder wie das Erzeugnis einer Laterna rnagica ein Blumentopf vor ihrem Auge: .Einige rote trichterförmige Blüten. umgeben von grünen lanzettlichen Blättern entsprießen einem Topf. der dick mit Kreppapier umwickelt ist und obendrei11 mit einer mächtige11 Atlasschleife ge– ziert ist. Ihre Arme sinken willenlos hernh. Frau Agathe fällt in einen tiefen. d1111klen Ab– grund. Schluß auf Seite 12
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