Christliche Kunstblätter, 105. Jg., 1967, Heft 3

für die steinerne Reiiquienkiste jedodr aufgelassen. Das ließ sich durch eine starke, streifenförmige Fundament bettung (Fa), die jetzt die halbe Schachtöffnung unorga nisch überlagert und an die Ostwand des Blockaltares an stößt, archäologisch einwandfrei nachweisen. Diese Änderungen im Ostteil der alten Basilika können nur nach einer Richtung erklärt werden. Die Reiiquien kiste der Lorcher Märtyrer wird dem Schachtgrab ent nommen und hinter dem Hochaltar in irgendeiner Form erhöht zu Schau gestellt, die „streifenförmige Fundament bettung" östlich desselben ist der letzte Rest dieses Aufbaues. Das Volk verehrt Jetzt seine Märtyrer von der Umgangsapsis aus, deren innere Mauer nicht ge schlossen, sondern in Offnungen; die den Blick auf Kiste und Altar ermöglichten, aufgelöst gewesen ist; deshalb auch die seichte Fundierung". Zur oben angeschnittenen Frage eines bruchlosen nach römischen Fortbestandes der Lorcher Basilika ist jetzt vom Standpunkt der Archäologie folgendes zu sagen: Wenn die karolingische Bauepoche das Langhaus und die Vorhalle übernimmt, den Blockaltar des 5. Jahrhun derts weiterbenützt und die damit zusammenhängende Reliquienkiste im Fußboden noch kennt, dann hat auch die Kirche in der Zwischenzeit funktioneii weitergelebt. Dabei stützen wir uns gerne auf die Annahme eines spätrömischen Laurentiuspatrozinimus (vgl. Anm. 12 und 16), das im Falle eines Kuitbruches zwischen Spätantike und Frühmittelalter mit Sicherheit untergegangen wäre. Die karolingische Laurentiuskirche", die wir auf die Anwesenheit Karls d. Gr. „iuxta Anisam fluvium" im Jahre 791 vor Beginn seines Aworenfeldzuges zurückführen möchten", ist zugleich die erste, bislang mit Sicherheit nachweisbare Friedhofskirche am Ort (vgl. Anm. 14), eine Funktion, die sie auch durch die Zeiten beibehalten hat. Einer zweiten frühmittelalterlichen Bauperiode (zwei Umgangsestriche!), dem 10. (?) Jahrhundert, dürften wei tere Adaptierungen angehören. Vielleicht eine Art Außenkrypta vor der Umgangsapsis, abgegrenzt durch eine gerade Ostmauer, und im Westen ein schweres, beiderseits hakenförmig umgelegtes Fundament in der Vorhalle für eine nunmehr monumentaler ausgestaltete Westfassade (beides auf dem Plan schraffiert). Es wäre denkbar, daß diese Arbeiten auf Bischof Piigrim von Passau (971—991) zurückgehen, dessen — leider — ver geblich gebliebene Bemühungen um eine Restituierung des Bistums Lorch bekannt sind, und der sehr wahrschein lich auch zeitweise in Lorch residierte". Damit sind wir am Ende unserer archäologischen Skizze. Ein hochmitteiolterliches, also romanisches Zwischen stadium der Laurentiuskirche scheint es nicht gegeben zu haben, der gotische Bau bricht dann als erster rück sichtlos mit den über 1000 Jahre beibehaltenen Grundriß traditionen, sein Chor weist möglicherweise zwei Bau perloden auf. St. Laurenz zu Lorch wird nicht, wie z. B. die erste und vornehmste Laurentiuskirche der Christenheit, San Lorenzo fuori le mura in Rom, oder alte Kirchen des Rheinlandes, über einem Märtyrergrab außerhalb des Weichbildes der antiken Stadt gegründet, sondern als Gemeinde- und Bischofskirche des municipium Louriacum. Zugleich aber war sie als monumentales Grabmal für die einheimischen Märtyrer der diokletianischen Verfolgung gedacht, deren sterbliche Uberreste in den ersten Hochaltar überführt wurden, im 5. Jahrhundert unter den Boden kamen, um in karolingischer Zeit zur Verehrung erhöht zu werden. Bischof Piigrim von Passau kennt die Lorcher Märtyrer tradition", und noch eine einfache Ennser Bürgersfrau schließt am 12. Juli 1332 eine Schenkung an die Laurentius kirche mit den Worten: und durch oller Gotes hailigen willen, die d a s e i b in Gotes lieb ir piuet habent vergozzen". Es ist die Zeit, in der ihre Reliquien in den gotischen Hochaltar kamen, wo man sie dann 1900 wie derentdeckte (s. o. S. 66). Und so ist die Geschichte des unerhörten Bau- und Kuitkontinuums der Lorcher Kirchen (Bildtafel 1), an deren Anfang ein heidnischer Tempel stand, auch zugleich die Geschichte der Wanderungen eines einfachen Steinkistengrabes. Anmerkungen ^ Vorberichte des Verfassers im Jahrbuch des Oberösterreichischen Musealvereins 106 (1961) bis 112 (1967); ferner: Verf., JbOÖMV. 106, 1961, S. 176 f. (Oberösterreichische Kirchen in archäoiogischer Schau — Die Kaplaneikirche St. Laurenz In Lorch — Enns); ders., Festschr. Enns — Lorch — Louriacum, 1962, S. 107 ff (St. Laurenz vor den Mauern); ders., Führer Louriacum — Lorch — Enns', 8. 5 ff. ' Die Bürgersiediung Louriacum verdankt ihr Entstehen dem unweit östlich befindlichen Stondlaqer der legio II Itollca, dos um 200 n. Chr. westlich der Enns-Donau-Mündung errichtet wurde. Uber die gotische Baugeschidrte der Kirche ist so gut wie nidits bekannt, der Kunsthistoriker des Oö. Landesmuseums, Herr Dr. B. Ulm, meint, daß das Langhaus noch In der 2. Hälfte des 13., der Chor in der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts entstanden seien. ' Louriacum in der Vita S. Severini, c. 30, 2, für die 2. Hälfte des S.Jahrhunderts n. Chr. als Sitz eines Bischofs (Constantius) genannt. * E. Bormann, RüO. Xi 1910, Sp. 150 ff. 5 Im Vorbericht JbOOMV. III, 1966, S. 296, fälschlich „Atrium" genannt. ' Letztere Lösung z. B. an der alten Kirche S. Maria delle Grazie In Grado, wo auch noch die Art der Einfügung der in Lorch bereits fehlenden, geziegelten und mit Mörtel abgestrichenen Bischofscathedra In den Apslsscheitel studiert werden kann; allerdings hat es in Lorch niemals eine gemauerte Priesterbank entlang der Apsis gegeben. ' Als römisch bereits von J. Lohninger, Christi. Kunstbl. 58, 1917, S. S ff, angesprochen. ® Vgl. Ausstellungskatalog Frühchristliche und Koptlsdne Kunst, Wien 1964, S. 188, Nr. 570. ® Dazu vorläufig W. Neumüller OSB. (Kremsmünster), österr. KlerusBlatt Nr. 8/1967, S. 115 ff (Der hl. Florian und seine Gefährten). " Die Lor<her Blutzeugen starben 304, der erste Kirchenbau erfolgte Im späteren 4. Jahrhundert, sie waren also bis dahin anderswo beigesetzt, bevor die Erhebung und Übertragung Ihrer sterblichen Überreste In den Steinkistenoitar der Stadt- und Bisdiofsklrche erfolgte. Es ist dies eines der wenigen bekannten Beispiele einer eievcitio und translotio bereits im 4. Jahrhundert n. Chr. (vgl. dazu die Ubersendung von Aposteireliquien nach Mailand durch Papst Simpiicianus 382 n. Chr., zuletzt W. F. Voibach, Frühchristliche Kunst, S. 65 zu Abb. 110—115), wie auch ein christlicher Altar dieses Zeitraumes und noch dazu dieser Form bis jetzt noch nicht archäologisch überliefert ist. Drei aufrecht stehende Reliquienkno chen fanden sich in einer grob ausgehauenen Nische des untersten Turmfundamentes, ein MarmorstUck mit dem Rest einer ikonographisch ungewöhnll«hen Paradiesesszene könnte zum ersten Hoch altar gehört hoben. " Die ineinanderpassenden Maße von Schachtöffnung und Kiste waren es, die letztere erstmals als Integrierenden Bestandteil der Basilika, allerdings der 2. Bauperiode, erkennen ließen. " Vgl. die Interessante Beweisführung für eine Datierung des Laurentluspatroziniums der Lorcher Kirche in spätrömische Zelt von G. Diepolder, Altbayerische Laurentluspatrozinien, In: Aus Bayerns Frühzeit (Festschr. F. Wagner, München 1962), S. 374, danach H. Vetters, FiL. 9, 1965, S. 18, Anm. 42. Eine Reiiqulentranslation von Italien nach Ufernorikum ist für die 2. Hälfte des 5. Jahr hunderts n. Chr. literarisch bezeugt, Vita S. Severini, c. 9, 3. An die Frage, warum gerade der stadtrömische Diakon und Mär- - tyrer Laurentius im aitbayerlschen SIediungsraum so kräftig Fuß faßt, ist allerdings m. W. noch niemand herangegangen, auch nicht die letzte diesbezügliche Arbeit von E. Dünninger, Die christ liche Frühzeit Bayerns, München 1966, S. 26 f. (Frühe Klrdienpatrozinien.) » Vgl. Vetters, a. a. O., S. 16 ff. " Wohl schon um 800, die genaue Zeitsteilung hängt wesentlich von der endgültigen Datierung von Grabbeigaben dieser Epoche ab. " Freilich werden hier Ursache und Wirkung vertauscht gewesen sein, die Umgangsapsis mag, was sich der Kenntnis des Verfassers als Nichtfachmann entzieht, der Zeitmode entsprochen haben und demgemäß mußte man das Reliquiar sichtbar machen. Sdron Ulm (vgl. Anm. 2) bringt In einer Tagebuchnotiz vom 27. 9. 1960 die Umgangsapsis oder „Ringkrypta", wie er sie nennt, mit den Reli quien in der Steinkiste in Zusammenhang. " Erste sichere Nennung 899—902, vgl. zuletzt E. Zöllner, MIOG. LXXI 1963, S. 225, Anm. 19 (Die Lorcher Tradition Im Wandel der Jahrhunderte), der die römische Herkunft des Laurentluspatrozi niums darin begründet sieht, daß es „schon vor der ottonischen Laurentiusrenaissance bezeugt ist". " Vgl. Diepolder, a. a. O. " Vgl. I. Zibermayr, Noricum, Baiern und Österreich', Horn 1956, S. 391 f. " Vgl. W. Neumülier, Mitt. Oö. Landesarchiv 8, 1964, S. 29, Anm. 142. ^ Neumülier, a. a. O., Anm. 143 (dort Irrtümlich „1321").

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