und alleine den Sinai-Ikonen zu, also Stücken des 6. bis frühen 13. Jahrhunderts, Will man den Begriff „früh" ganz orthodox interpretieren, müßte man ihn sogar auf die Produktion der Zeit vor dem Bilderstreit einschränken (726 bis 843). Aber iassen wir uns durch die schiefe, wohl dem Willen zur Unterstreichung eines für unsere eigene Zeit sehr spezifischen Hanges zu allem „Frühen" entsprungene Titelgebung nicht irritieren, freuen wir uns an einer Ver öffentlichung, die in kaum mehr zu überbietender techni scher Voiikommenheit eine Fülle von Material bringt, das neben Bekanntem auch viel Unbekanntes, ja Sensa tionelles zu bieten hat. Wahrhaft sensationell ist die Begegnung, die uns der Autor des ersten Beitrages, Kurt Weitzmann, mit den vor kurzem aufgefundenen, 1956 und 1958 von G. und M. Sotiriou erstmals veröffentlichten Sinai-Ikonen vermittelt. Vier dieser Ikonen stammen aus der Zeit vor und un mittelbar nach dem Bilderstreit; es handelt sich um Schöpfungen, deren Entstehungsort in Byzanz selbst zu suchen ist und nicht etwa im Katharinenkloster. Unsere Kenntnis der pröikonokiastischen Kunst wird durch diese Werke ganz wesentlich erweitert, kannte man doch bis vor wenigen Jahrzehnten insgesamt nur vier Arbeiten jener Periode — Arbeiten, die im 19. Jahrhundert vom russischen Archimandriten Prophyrius Uspensky aus dem Sinaikloster nach Kiew gebracht worden waren! Die ganz frühen Konstantinopier Ikonen beweisen zweier lei: erstens die Tatsache, daß sie in technischer wie auch in formaler Hinsicht durchaus aus der Tafeimaierei der römischen Kaiserzeit abgeleitet werden können und zweitens, daß in ihnen bereits fast aile Merkmale dessen enthalten sind, was man an den Ikonen als typisch und spezifisch empfindet. Die Maitechnik ist die der Enkaustik, der Farbauftrag ist pastos, der Pinseistrich kann daher unmittelbar gesehen und erlebt werden. Die formale Gesinnung ist in ihrem dynamischen, „barocken" Pathos durchaus aus der hellenistischen Tradition abzuleiten. Stilistisch haben diese „Hauptstadt"-lkonen fast gar nichts mit den sogenannten „Mönchsikonen" selbst zu tun, die im Sinaikloster und öhnlichen Zentren entstanden sind und von denen einige wichtige Beispiele erst unlöngst von Heinz Skrobucha in „Meisterwerke der Ikonen malerei" veröffentücht wurden (Recklinghausen 1961). Das, was für Ikonen typisch ist, lößt sich auch an diesen ganz frühen Arbeiten leicht definieren: es ist der Hang zur Frontalitöt und zur Symmetrie, dem sich auch Themen unterwerfen müssen, die an sich zur Dynamik, zu szeni schem Ablauf dröngen (wie etwa die Auferweckung des Lazarus). Was diese frühen Ikonen — auch die der nachikonoklastischen Epoche — von den Produkten späterer Jahrhun derte unterscheidet, ist der Charakter relativer Spontaneitöt und malerischer Lebendigkeit; es finden sich in diesen Arbeiten noch viele „impressionistische" Elemente, in der Binnenzeichnung genau so wie in der Lichtbehandlung der Gesamtkompositionen. „Mittelalterlich", d. h. unkörperlich, vom iinearen Gerüst bestimmt, „verformelt" und zeichenhaft werden die Ikonen erst in Byzanz im Verlauf des 12. und vor allem des 13. Jahrhunderts, wobei letzteres Saekulum von starkem motivlichem und auch stilistischem Eindringen westlicher, „frönkischer" Elemente bestimmt ist (Eroberung von Konstantinopei durch die Kreuzfahrer 1204). Summa summarum lößt sich aber gerade von den byzantinischen und griechischen Ikonen (unter „griechischen Ikonen" versteht man die Produktion in der Zeit nach der Erobe rung Konstantinopels durch die Türken, wobei den Arbei ten aus dem venezianischen Kreta besonderes Gewicht zukommt) eindeutig feststellen, daß sie in viel geringerem Ausmaß jenem Abstraktiansprozeß unterworfen waren, der für die Ikonen Rußlands von Anfang an so bezeich nend ist; in der Kunst der Ikonen im Mittelmeerraum hat die Tradition der Antike wirklich bis an die Schwelle der Gegenwart ungebrochen und wahrhaft „vital" weiter gelebt. Wöhrend die Autoren Weitzmann und Chadzidakis in ihrer Darstellungsweise im wesentlichen bei form- und entwicklungsgeschichtlichen Problemen verharren konn ten und sich damit begnügen durften, die stilistischen Merkmale einzelner Perioden und Schulen herauszuarbei ten, waren Miatev (Bulgarien) und Radojcic gezwungen, außerkunsthistorischen Momenten, vor allem aber der sich aus der historischen Situation ergebenden Problema tik relativ viel Raum zu geben. Die ölteste erhaltene bulgarische Ikone, eine glasierte Keramikarbeit und damit ein regionales Spezifikum und Unikum, stammt aus dem 9./10. Jahrhundert, eine kon tinuierliche Entwicklung ist an erhaltenen Beispielen erst seit dem 13. Jahrhundert faßbar. Uns will es scheinen, als zeichneten sich die bulgarischen Ikonen durch be sondere seelische Verhaitenheit und eine gewisse for male Schwere aus. Sie sind, wenn man diesen Ausdruck mit besonderer Behutsamkeit anzuwenden wagt, „böueriicher" und a priori von einer expressiven Antikiassik, die bei den byzantinisch-griechischen Beispielen nicht festzustellen ist. Will man schließlich versuchen, ein Kollektivurteil über die Ikonenkunst in Jugoslawien zu föllen, muß man stets die ungeheuer große landschaftliche und historisch-politi sche Vielfalt Im Auge behalten, die die Entwicklung dieses als Staat so jungen Gebildes bestimmt. Hier wöre die Titelgebung „Ikonen aus Jugoslawien" prinzipiell richtiger gewesen. Trotz aller Vielfalt glauben wir den noch, ein tertium comparationis ausfindig gemacht zu haben: es ist ein bis an die Grenze der Zerreißung der Form gesteigertes, glutvoll-leidenschaftliches Lebens gefühl von mitreißender und überzeugender Kraft, das einen mit gelegentlich erschreckender Heftigkeit an springt. Wer jemals die Fresken von Sv. Kliment in Ohrid oder Staro Nagoricane, Werke der Meister Mihail und Eutichij (A. 14. Jh.) gesehen hat, wird verstehen, was wir meinen. — Das Buch ist so angelegt, daß den relativ kurzen Text einleitungen mit knappen Literaturangaben und Bild beschreibungen jeweils der Bildteil des betreffenden Landes folgt. Am Schlüsse des Gesamtwerkes befindet sich ein erweiterter Katalog, in dem in ausführlicherer Form auch die nichtkünstlerischen Probleme um die ein zelnen Stücke behandelt werden. Diese Publikation von Schroll lößt hoffen, daß es bald zu einer synoptischen, breit angelegten und ausführlich zu sammenfassenden Abfassung einer Geschichte der ge samten Ikonenkunst kommen möge, die (neben der Ent wicklung in Rußland) und den hier behandelten Balkanlöndern beispielsweise auch die Geschehnisse in Klein asien, in Kreta, in Süditalien und Venedig abzuhandeln hötte. ErnstKöller
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