Christliche Kunstblätter, 104. Jg., 1966, Heft 3

Setzung. Dem kann man sich natürlich entziehen, indem man sie in Bausch und Bogen abiehnt. Das ist die Haltung des Spießbürgers, der in seiner Ruhe nicht gestört werden möchte. Man kann sie mit rein ästhetischen Maßstäben messen, kann ihre formalen Stärken und Schwächen aufspüren. Das ist die Haltung, in der man im 19. Jahrhundert der Kunst gegenüber trat. Sie versagt oft bei der Betrachtung moderner Bilder. Mit ästhetischen Kategorien allein läßt sich kaum erklären, warum die Kunst der letzten hundert Jahre so ungewöhnliche Wege beschritten hat. Aber welchen Zugang zur modernen Kunst gibt es sonst? Eine Antwort auf diese Frage will Max Peter Maass in seinem jüngst erschienenen Buch „Das Apokalyptische in der m^odernen Kunst" geben. Der Autor begreift die moderne Malerei als ein Mene Tekel, sie hat für ihn eine prophetische Funktion. Sie ist eine Reaktion auf die Gefährdung und Unsicherheit unseres Daseins, sie ist Ausdruck unserer Angst und unserer Hoffnung, der drohenden Zerstörung und der angebotenen Rettung. Das wird exemplifiziert an Ensor, Münch und Kubin; Kirchner, Grosz, Dix, Kokoschka, Schiele und Beckmann; Andre Massen, Max Ernst, Picasso, Marino Marini, Francis Bacon und einer Reihe anderer Künstler. Mit der Meinung, in der modernen Kunst sei ein Nachlassen der Symbolkraft festzustellen, wird aufgeräumt. Nur sind diese Symbole vielfach Bilder des Schreckens und nicht des Heiles. Sie wollen schockieren, aber nicht um zu zerstören, sondern um zur Besinnung zu rufen. Diese Kunst ist nicht humanistisch, aber human. Oder mit den Worten Picossos: „Wie könnte der Künstler kein Interesse an den anderen Menschen nehmen und sich in elfenbeinerner Gleichgültigkeit von einem Leben absondern, dos einem so überreich entgegengebracht wird? Nein, die Malerei ist nicht erfunden, um Wohnungen auszuschmücken! Sie ist eine Waffe zum Angriff und zur Verteidigung gegen den Feindl" Bekannt ist Picassos Bild „Guernica", ein Protest gegen Unrecht und Gewalt und gegen die Unmenschlichkeit des Krieges. Der Mensch, der nach dem Bilde Gottes geschaffen ist, gerät in Gefahr, tierische Züge anzunehmen. Und wo ist in einer solchen Sicht der Platz der abstrakten Kunst? Auch sie kartn das Chaos oder die Ordnung widerspiegeln, sie kann die Schrecken der Zerstörung vorwegnehmen oder auf paradiesi sche Harmonie verweisen. Man kann dem Werk vorwerfen, daß seine Thesen einseitig formuliert sind, daß es in der Moderne nicht nur dos Dunkel, sondern auch das Licht gibt. Man kann einwenden, daß eine formalanalytische Untersuchung unerläßlich wäre. Der Autor ist sich dieser Problematik voll bewußt. Sein Werk ist eine Heraus forderung an die Kunstkritik, die den entscheidenden Fragen ausweicht und an die Kunstwissenschaft, die sich ins Schneckerihaus einer veralteten Ästhetik zurückzieht. Es ist kein Buch für solche, die schöne Bilder anschauen und einem modischen Geschmack huldigen wollen, sondern für jene, die vvachen Geistes die Auseinandersetzung mit der Zeit suchen, m °®'' wir leben. Kunstgeschichte Ernst Kilzinger, Early Medieval Art. With lllustrations from the British Museum Collection. Indiana-University-Press, Bloomington 1964. 114 Seiten, 48 Tafeln. $1.95. Ernst Kitzinger, Director of Studies an der Dumbarton Oaks Research Library and Collection, ein anerkannter Fachmann auf dem behandelten Gebiet, war früher am Britischen Museum in London tätig. Der vorliegende Text ist erstmals 1940 ver öffentlicht worden. Die gute Kenntnis der Londoner Sammlung, nicht nur eine der umfassendsten der Welt, sondern zugleich Museum und Biblio thek — was für uns ja einigermaßen ungewohnt ist —, gibt die Grundlage für den Abbildungsteil, der ausschließlich daraus entnommen ist. Man staunt, in welchem Ausmaß es möglich ist, einen der interessantesten Abschnitte der europäischen Kunstentwicklung in hoher Qualität und oftmals gar nicht sehr bekannten Beispielen ohne Beiziehung anderer Sammlungen vorzüglich darzustellen. Das Abendland und die ostchristliche Welt sind in dieser Auswahl sorgfältig ausgewogen, an die Qualität der Wiedergabe darf man freilich bei dem billigen Papier keine zu großen Anforderungen stellen. Die Bild beschreibungen sind nützlich, entbehren aber fast jeder Lite raturangabe und datieren im allgemeinen nur auf das Jahr hundert. Die wenigen abgekürzten Daten der Kataloge sind ohne Erscheinungsjahr zitiert, ein Abkürzungs- oder Literatur verzeichnis existiert nicht. Die letzte Zeit hat sich außerordentlich intensiv mit den Fragen frühmittelalterlicher Kunst beschäftigt, große Ausstellungen ge bracht und eine Fülle von Präzisionen und Fragestellungen er geben. Wir denken etwa an die Ausstellung koptischer Kunst, die durdi Europa gewandert ist und auch in Wien zu sehen war, oder die große Karls-Ausstellung in Aachen im Jahre 1965. Auf das alles wollte oder mußte Kitzinger verzichten, und er nimmt diesen Verzicht auf sich, da es ihm um ein Zentralthema geht, die Einheit der europäischen Kunstentwicklung von der Spätantike zum Hochmittelalter. Wer sich damit beschäftigen will und die Lektüre in englischer Sprache wünscht, wird sein Budget nicht zu sehr strapazieren müssen. Kurt Holter Rudolf und Margot Wittkower: Künstler — Außenseiter der Gesellschaft. Ubersetzt von G. Kaufmann. W.-KohlhammerVerlag, Stuttgart 1965. DM 28.—. Schon sehr früh hat die Begegnung mit dem Genie, besonders mit dem Künstler, den Blick auf dessen Eigenarten gelenkt. Leben und Verhaltensweisen der Künstler standen im Mittel punkt des Interesses, wurden von der Umwelt bewundernd oder hämisch, neidvoll oder ironisch glossiert, von den Biographen mehr oder weniger verständnisvoll, entschuldigend oder gar verharmlosend beschrieben. Im 19. Jahrhundert bemächtigte sich dann die zur Wissenschaft sich konstituierende Psychologie der „Ausnahmeerscheinung" und versuchte, die Beziehung zwischen seelischen und biographischen Fakten und der schöp ferischen Leistung formelhaft zu erfassen; die „Pathographie" (Möbius 1853—1907) entstand. Senecas alter Spruch „nullum magnum Ingenium sine mixtura dementiae fuit" wurde wieder falsch interpretiert, denn Seneca hatte den Sachverhalt nicht im klinischen Sinne gemeint. Indes sind spektakuläre Buchtitel wie „Genie und Irrsinn" (Lombroso, 1863) oder „Genie, Irrsinn und Ruhm" (Lange-Eichbaum, 1942) zu Schlagworten geworden; hinzu kamen die Untersuchungen von Kretschmer („Geniale Menschen", 1929) und Sigmund Freud, der Kunstwerke analytisch gedeutet hatte, (Leonardos „Anna selbdritt", 1910), um daraus Schlüsse auf die Persönlichkeitsstruktur ihrer Urheber abzu leiten. An ernsthaften Bemühungen und geistvollen Eirisichten fehlt es nicht, doch sie hoben zur „Entfremdung" des Künstlers beigetragen. Das Rätsel des schöpferischen Menschen ist ge blieben. Von dieser Erkenntnis und unter Verneinung der Möglichkeit, daß der Künstler als „konstitutioneller Typ" festlegbar sei, gehen die Verfasser des Buches aus, das in seiner nüchternen Faktizitöt zu den faszinierendsten und — es sei gesagt! — ouoh amüsantesten Neuerscheinungen der Kunstliteratur zu zählen ist. Historische Sachtreue mit Lesbarkeit und gar mit Spannung zu vereinbaren, das gelingt fürwahr nicht alle Tage und nicht jedem. Die glänzende Kenntnis des Materials wird erst dem Fachmann bewußt, der die hunderte von Anmerkungen und die Bibliographie (eine Fundgrube!) studiert. Die Dokumente umfassen hauptsächlich die Epochen der italieni schen Renaissance und des Barock, wobei bewußt auf alles Psychologlsieren verzichtet wird. Daß der Leser dennoch von einem „post Freud"-Stancipunkt her zu lesen geneigt ist, wis sen die Autoren sehr wohl. Doch nicht die psychologische, sondern die soziologische Dimension ist die interessanteste. Und da ergibt sich, daß die Beurteilung der Eigenarten der künstlerischen Persönlichkeit stets unter dem Wandel der mo ralischen Anschauungen erfolgte (S. 143). Die Umwelt wußte von den Narrheiten eines Piero di Cosimo, der Husten und Mönchs gesang nicht hören konnte (S. 67); von den Schrullen Pontormos, der sein Atelier über eine Hühnerleiter erkletterte, die er dann einzog, oder von dem krankhaften Reinlichkeitsfimmel des Gerard Dou (S. 81); man kannte die Melancholie Carroccis und Elsheimers (S. 115), die wir heute manisch-depressiv nennen würden; man wußte von der Verschwendungssucht Holbeins (S. 205), von den homophilen Neigungen Leonardos und Michelangelos, die nur innerhalb eines vom Neo-Platonismus geprägten Menschenbildes richtig zu bewerten sind; man wußte sehr wohl, daß Cellini ein gewalttätiger Verbrecher und Leone Leoni von der gleichen Sorte war, was jedoch Cosimo I. und Papst Pius IV. nicht hinderte, ihnen Aufträge zu geben (S. 179). Franz Hals war ein Säufer, den seine Schüler abends nach Hause brachten, damit er nicht ins Wasser fiel (S. 207); Guido Reni war ein Spieler, und Filippo Lippi, der „Maler der Frömmigkeit" schlechthin, war als Mönch mit einer Nonne durchgebrannt. Es gab Skandale und Affären, Gerüchte und haarsträubende Wahrheiten, aber — und das ist der ent scheidende Punkt! — sicher genau so häufig wie in anderen Bevölkerungsschichten, wofür nur einwandfreie Vergleichsmög lichkeiten fehlen. Was heute das Ende einer Karriere bedeuten würde, wurde damals leichter verziehen. Es ist nicht bekannt, daß jemand wegen eines exzentrischen Lebenswandels in der Wertschätzung gelitten hätte. Erst eine spätere Zeit, die das Werk mehr und mehr als Ausfluß von Charakter und Ge sinnung zu sehen begann, setzte andere Maßstäbe, die dann allerdings in der victorianischen Prüderie des 19. Jahhrunderts gipfelten. „Den Künstler" mit berufsbedingten Eigenarten gibt es nidit, — auch wenn es noch heftig geglaubt wird! Schon um dies Vor urteil auszurotten, möchte man dem Buch viel aufmerksame Leser wünschen. — Uns erscheint nur der deutsche Titel nicht glücklich gewählt, da er etwas reißerisch den Akzent zu sehr auf das Asoziale verlegt, von dem nur zum Teil die Rede ist. Der Originaltitel „Born under Saturn" wird dem Tatbestand ge rechter, denn er zielt auf die Unergründbarkeit von Tempe rament und Charakter, die letzten Endes doch unveränderliche Gegebenheiten der Natur sind. Curt Grützmacher

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