Christliche Kunstblätter, 104. Jg., 1966, Heft 3

Neuorientierung kirchlicher Denkmalpflege Erich Widder Die Erhaltung eines ehrwürdigen kirchlichen Baudenk maies ist heute eine Selbstverständlichkeit, denn diese K'ulturzeugnisse haben sich gerade durch ihre sakrale Zweckbestimmung und Widmung zum Teil aus einer sehr fernen Vergangenheit bis in unsere Tage erhalten. Nach Paragraph 2 des Denkmalschutzgesetzes stehen alle kirchlichen Bauten unter Denkmaischutz. Und die Obsorge zur Erhaltung dieser Bauten, die von der staatlichen Denkmalpflege wahrgenommen wird, erstreckt sich so wohl auf die technischen Voraussetzungen wie vor allem auf die künstlerische Erscheinung. Univ.-Professor Doktor Otto Demus hat als Präsident des Bundesdenkmalamtes dessen vornehmste Pflicht hervorgehoben; „Die Zeugen religiöser Kunst der Vergangenheit nicht nur vor dem Verfall, sondern auch vor Verunstaltung zu bewahren und dahin zu wirken, daß die in ihnen liegenden künst lerischen und religiösen Werte möglichst rein und ein drucksvoll zur Geltung gebracht werden" (Christi. Kunst blätter 1957, Heft 4, S. 1). Eine andere Stelle desselben Beitrags für unsere Zeitschrift begegnet dem Argwohn, der Denkmalpfleger sei nur an der Erreichung seiner kunstgeschichtlichen und ästhetischen Ziele interessiert und kümmere sich nicht um die lebendige Funktion, die das Gotteshaus und seine Einrichtung im religiösen Leben zu erfüllen hätten. Diese Feststellung von berufener Seite ist sehr wichtig, wenn sie auch vor dem Erscheinen der Konstitution über die heilige Liturgie und ihrer Durch führungsinstruktion getroffen wurde, genauso wie die Verwahrung gegen alle Versuche, ein historisch bedeut sames Bauwerk durch Devotionalienkitsch zu verfälschen, zu verwässern und zu verschandeln. Schließlich wurde in Kapitel VII der Konstitution dieser Standpunkt auch von höchster kirchlicher Warte bestätigt, wenn davon ge sprochen wird, daß jener Schatz, der in der Kirchenkunst im Laufe der Jahrhunderte zusammengetragen wurde, „mit aller Sorge zu hüten ist". Und ein anderer, sehr wesentlicher Gedanke hat sich schon in dem knappen Text dieses Kapitels VII über die sakrale Kurvst durch gerungen: „Bei der Förderung und Pflege wahrhaft sakra ler Kunst mögen die Ordinarien mehr auf edle Schönheit bedacht sein als auf bloßen Aufwand." (Lit. Konst. 124.) Damit ist dem Modekitsch genauso der Kampf angesagt wie der Kunstlosigkeit. Die Bilderstürmerei findet nicht statt, denn nicht nur die staatliche Denkmalpflege, son dern die Ordinarien selber sollen sorgfältig „darüber wachen, daß nicht etwa heiliges Gerät und Paramente oder kostbare Kunstwerke veräußert werden oder ver kommen, sind sie doch die Zierde des Hauses Gottes" (Lit. Konst. 126). So deckt sich das konservatorische Anliegen der staat lichen wie der kirchlichen Denkmalpflege, und jede muß sich als verlängerter Arm der anderen betrachten in einer Zeit des schwindenden Traditionsbewußtseins an den Ufern eines neuen Menschheitsbefindens, das die Spannungen der Gegenwart zwischen dem Gestern und dem Morgen durchfiebert. Das ist die eine Seite. Aber die christliche Gemeinde, die das Gotteshaus braucht, versteht sich nunmehr in einem neuen oder, sagen wir besser, wieder ursprünglicheren Sinn als Got tesfamilie, die sich zum Mahl zusammenfindet, worin ja die Urgestalt des christlichen Gottesdienstes bestand. Seit dem Erscheinen der Konstitution über die heilige Liturgie geiht es wieder um den Kern der Sache, an Stelle der die Entwicklung hemmenden Rubriken ist eine gewisse Freiheit getreten, die künstlerischen Erfahrungen der Architekten, die aus dem Gespräch mit führenden Theolo gen schließlich an dieser innerkirchlichen Entwicklung mit gebaut hoben, sind geradezu zu Erkenntnisquellen der Theologie gewordenl Es geht jetzt nicht um das Fest legen eines architektonischen Kanons, sondern um Offen heit gegenüber den Anforderungen der Stunde. Diese sind in der Instruktion zur ordnungsgemäßen Durchführung der Konstitution vom 26. September 1964 festgehalten, wo es zu Beginn des 5. Kapitels heißt: „Werden Kirchen gebaut, erneuert oder eingerichtet, so ist sorgfältig darauf zu achten, daß sie sich für eine wesensgerechte Feier der heiligen Handlungen je nach deren Sinn und Anlage und für die Verwirklichung der tätigen Teilnahme der Gläubigen als geeignet erwei sen." Von diesem Passus muß jede Betrachtung der Neu ordnung alter Kirchen ausgehen und jede derartige Pla nung, wenn die prinzipielle Frage, ob eine solche zweck mäßig und durchführbar ist, gelöst ist. Es wurde oft genug ausgesprochen: Die Kirche ist kein Museum! Nicht selten als billiges Schlagwort gegen die berechtigten Einwände der Verantwortlichen und Verständigeren. Diese Schlag wortkolportage darf aber nicht die Wahrheit verdunkeln, die in diesem Wort ausgesprochen ist. Die Kirche des Gottesvolkes ist eine Kirche der Lebenden, nicht der Toten. Und nicht alles überlieferte ist gut. Und noch eines: Warum sollte unsere Zeit, die in gewissen Teilen Mitteleuropas in gut einem Jahrzehnt mehr Kirchen baute als Jahrhunderte vor ihr, weniger dazu berufen sein, den gewachsenen Zustand einer Kirche, der ja ein ganz be stimmter Begriff in der Amtssprache der Denkmalpflege ist, weiter zu bereichern? Wieder stellt sich die Qualitäts frage, und es hat wohl in keiner Epoche vor uns so viele Zweifler an der jeweiligen Gegenwart gegeben als heute! Aber seien wir gerecht: Das verantwortete Kunst werk der Zeit ist schon an vielen Orten eine Harmonie mit dem Altbestand eingegangen, wie sie den Mode neuerungen vergangener Jahrhunderte nicht immer ge glückt ist. Das meint zunächst den zugewachsenen Kunst bestand. In liturgischen Fragen waren die früheren Epo chen genauso wenig zimperlich, hier hat sich immer der Zeitverstand durchgesetzt. Wir erinnern wieder daran, daß gerade dadurch die Kirchen auch zu Denkmälern des christlichen Lebens geworden sind. Raum und Ausstattung hatten immer ihre Berechtigung von der Funktion. Die Möglichkeiten dieser Bedingnis wuchsen multipliziert mit stilistischen und qualitativen Faktoren zu großer Vielfolt. Die Raumvorstellungen ver änderten sich immer wieder, die alten liturgischen Orte und ihre Einrichtung machten eine staunenswerte Ent wicklung durch. Mit dem Ergebnis ist die neue Forderung nach Einfachheit und Zweckmäßigkeit zu konfrontieren. Das klingt kurz und bündig und verschweigt zunächst, daß die konkreten Forderungen für die Neueinrichtung auch

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