Christliche Kunstblätter, 104. Jg., 1966, Heft 3

San Stefano Rotondo als Kirche der Begegnung Emil Steffann San Stefano Rotondo ist einer der beglücicendsten Raum eindrücke, den man in Rom empfangen kann. „Es handelt sich um drei sichtbare Kreise, zwei davon aus alt römischen Säulen, die sich zur Raummitte hin verkleinern und dadurch eine zentripetale Bewegung versinnbilden. Je näher die Bewegung zur Mitte rückt, um so mehr Licht empfängt sie. Der Fensterkranz des mittieren Teiles ist der einzigberechtigte Vermittier des Sonneniichtes, so stehen Licht und Voiumen in gegenseitiger Erwartung und in voiikommener Übereinstimmung. In der Mitte laufen alle Kroftlinien zusammen, hier erreichen Voiumen und Licht nach dreifacher Stufung ihren Höhepunkt. Der Höhe punkt ist zugleich End-Zustand, Ort der Ruhe, die Summe des Ganzen." Dieser Raum aus dem fünften Jahrhundert ist heute ein Torso. Der größte Teil des äußeren Umganges fehlt, und der Zustand der Kirche ist erschreckend. Da hat sich nun vor eirtigen Jahren auf die initiative des ungarischen Priesters Don Giuseppe Juhor dos „Centrum internatio nale pro renovotlone S. Stephani Rotundi - Romoe" ge bildet (Roma, Largo del Pollaro 18/A). Das Ehrenpräsi dium übernahm Kardinai Lercaro. Die Kirche, die lange Zeit ais Gotteshaus der ungarischen Theologiestudenten diente (sie ist seit 1580 Eigentum des Coliegium Germanicum-Hungoricum) und die derzeit Titelkirche des ungarischen Kardinals Josef Mindszenty ist, soll — das Ist der Plan des Internationalen Zentrums — eine „Kirche der Begegnung" werden und allen christ lichen Konfessionen offenstehen. Die folgenden Gedanken sind ein Beitrag des Architek ten Emil Steffann, der auf Wunsch des Internationalen Zentrums in Zusammenarbeit mit dem bekannten Schwei zer Architekten Hermann Baur, Basei, einen gemeinsamen Plan zur Restaurierung dieses aitehrwürdigen Bauwerks entwickelte. D. R. Zur Problematik der Restaurierung Der Plan, S. Stefano Rotondo in ursprüngiicher Gestalt wiederaufzubauen und als „Kirche der Begegnung" in den Dienst der Ökumene zu steilen, stößt, wie zu erwar ten war, auf Widerstand. Erstens, so meinen die Gegner eines Wiederaufbaus, ist die Urgestalt der Kirche aus dem heutigen Torso nicht mehr mit Sicherheit abzulesen und deshalb auch nicht rekonstruierbar. Zweitens sollte, so meint man, auch unter der Voraus setzung, es gelänge, diese erste Gestait der Kirche in ihren Einzelheiten zu erforschen, jeder rekonstruktive Versuch eines Wiederaufbaus, der sich wörtlich die Er gebnisse der wissenschaftlichen Forschung zu eigen macht, untenbleiben. Er sei Historizismus und grundsätz lich abzulehnen. Vielmehr solle man, um der Sauberkeit und Wahrheit willen, dieses einzigartige Denkmal christ licher Frühgeschichte in seiner Jetzigen Gestalt belassen, ähnlich einer Reliquie, die man auch nicht rekonstruktiv ergänzen darf. Zu Punkt 1 ist zu sagen: Ob die ursprüngliche Gestalt von San Stefano Rotondo so, wie die Kirche vor 1500 Jahren aussah, bis In die Einzelheiten erforschbar Ist oder nicht, mögen gründliche Forschungen erweisen. Im übrigen denkt das Internationale Zentrum nicht daran, die Kirche in Ihrer ursprünglichen Gestalt wörtlich wiederaufzubauen. Die Geschichte, die diese Kirche durch die Jahrhunderte an sich erfuhr, läßt sich nicht rückgängig machen bzw. aus löschen. Sie hindert uns an jedem wörtlichen Wieder aufbau eines mutmaßlichen Urzustandes. Zwar soll der dritte, äußere Ring und das Kreuz, welches dem Bau einmal statische Sicherheit und Halt gab, in seiner ur sprünglichen Funktion wieder errichtet werden. Im übri gen sind aber die späteren An- bzw. Ausbauten, soweit sie für die Geschichte der Kirche bedeutsam sind, wie die östliche Säulenhalle, der Renaissancehof, die romanische Torwand, welche die Mitte der Kirche in zwei Teile trennt, nicht nur zu respektieren, sondern als geschichtliche Fakten und Wesensbestandteile des Baues einzubezlehen und durch vielleicht neue Sinngebung, die aus der zukünftigen Aufgabe der Kirche erwächst, fruchtbar zu machen. Zu Punkt 2 ist zu bemerken: San Stefano Rotondo ist nicht aHein und nicht zuerst ein Objekt wissenschaftlicher Forschung und ein Kulturdenkmal von hohem Rang, son dern Kirche, eine fast vergessene Kirche, die vor unseren Augen aus den sinkenden Fluten Jahrhunderte alten Haders wie eine Insel der Hoffnung auftaucht, als ein noch kaum verstandenes Symbol, als eine Stimme aus fernen Tiefen einer längst vergangenen Zeit vor den Dammbrüchen und großen Spaltungen der Christenheit. Grundprinzipien des voriiegenden Pianes S. Stefano Rotondo bestand in seiner ursprünglichen Gestalt aus Kreis und Kreuz, den poiar-entgegengesetzten Grundformen der Architektur. Jede dieser Grund formen vertritt einseitig dos dem anderen entgegen gesetzte Prinzip, beide zusammen ergeben ein kom plexes, spannungsreiches Ganzes. Dem komplexen Thema „Kirche der Begegnung" entspricht die komplexe Gestalt dieser Kirche. Von der Ausgewogenheit polarer Gegen sätze lebte S. Stefano Rotondo. Sie war ihre Predigt in der Zerrissenheit der damaligen Welt. Darum stützt sich unsere Hoffnung auf S. Stefano, weil wir von diesem Abbild der Ausgeglichenheit spannungsgeladener Ge gensätze einen Einfluß auf das große dialektische Ge spräch der „Begegnung" wünschen, welches kein ein seitiger Monolog eines Formprinzips sein darf, sondern nur polyphon heute denkbar Ist. Die Kirche muß offen bleiben für unterschiedliche Gottes dienste und Riten: Kirche der Begegnung. Wir dürfen den Raum nicht verstellen. Wir müssen der Zukunft Raum lassen für Aufgaben, die wir noch nicht kennen, nicht kennen können, nicht kennen dürfenl Eine moderne „christo-zentrische" Pfarrkirche in S. Stefano instoliieren wäre eine verhängnisvolle Verkennung der Aufgabe. Alles sollte zunächst im Innenraum der Kirche beweglich und offen bieiiben, der Altar ein „portatile", kein „fixum". Das schließt nicht aus, daß wir uns heute über ver schiedene Möglichkeiten schon Gedanken machen. Hüten sollten wir uns nur, diese Möglichkelten endgültig zu früh zu fixieren.

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