Christliche Kunstblätter, 104. Jg., 1966, Heft 3

Stelle sagen noch um 200 Minucius Felix und Tertullian, bei den Christen gebe es weder Aitar noch Tempei'. Ebenso setzt sich das Neue Testament damit aber auch vom Aiten Testament ab: Der Vorhang des Tempeis ist zerrissen, an seine Steliie ist etwas anderes getreten. „Der Tempei ist die Kirche selbst, die Gemeinschaft der Gläubigen. Die Übertragung der Attribute des Tempeis — Haus Gottes, Haus des iebendigen Gottes, Heiiigkeit — auf die Gemeinschaft und die Gläubigen geschieht bei Paulus als etwas ganz Natürliches; er betrachtet diesen Punkt als erreicht und ganz seibstverständlich^." Die Würde der Gemeinde als Haus Gottes gründet nicht in ihr selbst. Sie ist Haus Gottes, weil sie der fortlebende Christus ist. Wenn einem kiar Ist, was der Tempei im Alten Bund bedeutet hat, begreift man erst die Kühnheit des Herrenwortes bei Matthäus: „Hier ist ein Größerer ais der Tempei" (Mt 12,6). in die Tiefe führt das Logion, das uns Johannes berichtet: „Zerstört dieses Heiligtum, und in drei Tagen werde ich es wieder aufbauen" (Joh 2, 19), das der Evangeiist interpretiert: „Er meinte aber den Tempei seines Leibes" (Joh 2,21). Yves Congar, der dem Mysterium ides Tempels eine umfangreiche Studie ge widmet hat, kann zusammenfassend sagen: „Tatsächiich, Jesus hat auf seine Person das aite Priviieg des Tempeis übertragen, der Ort zu sein, an dem man die Gegenwart und das Heil Gottes finden kann, der Ausgangspunkt, von dem aus sich aile Heiiigkeit mitteilt^." Man kann nicht genug betonen, wie wichtig es Ist, daß an die Stelle des alttestamentlichen Tempels die Person Jesu als Ort der Gegenwart Gottes getreten ist. Dieser Christus ist aber für uns nicht nur eine historische Persön lichkeit, er Ist heute noch gegenwärtig In seiner Ge meinde: „Wo zwei oder idrei in meinem Namen ver sammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen' (Mt 18,20). im Gesagten gründet auch der Primat der Personen vor den Dingen im Christentum. Wenn hier von der Gemeinde als dem Hause Gottes die Rede Ist, so ist damit natürlich nicht die politischjuridische oder auch kirchiich-kanonistische Verwaitungseinheit gemeint, sondern die Gemeinde im theologischen Sinn. Sie ist eine Heiisgemeinde, Gemeinde der von Christus Erlösten, die vom Heiligen Geist geleitet sind. Sie Ist die Gemeinde derer, an die das Wort des Herrn ergeht, und die dieses Wort mit gutem und bereitem Herzen aufnehmen. Sie ist die Gemeinde derer, die sich zur Liturgie versammeln, bei der Christus In Ihrer Mitte In besonderer Welse gegenwärtig ist, gemäß der Ver heißung bei Matthäus. Sie ist ihrer 'Berufung nach Bruder gemeinde, in der die Gottesliebe als Nächstenliebe wirksam wird. Natürlich muß der Je einzelne glauben, hoffen und lieben. „Aber alle diese Akte können nach christlichem Verständnis nur Im mütterlichen Schoß der Gemeinde, jedenfalls aber in einem gewissen Sinn nur durch sie hindurch vollzogen werden^." Die Gemeinde Christi realisiert und konkretisiert sich immer an einem bestimmten Ort und Ist daher zunächst Orts- oder Einzeigemeinde. Diese bleibt natürlich immer auf das Ganze bezogen, ober in ihr nimmt die Gesamt kirche Gestalt an. „Jede Ortsgemeinde partizipiert In irgendeiner Welse an den wesentlichen Eigenschaften und Prädikaten der Gesamfgemeinde. Diese Partizipation ober ist zugleich Wesensaussage von der konkreten Orts gemeinde und Forderung an sie^." Jede Ortsgemeinde wird das Wesen der Kirche auf je eigene Welse zur Aus prägung bringen. Kirche ist kein uniformer Block, kein Kollektiv; in ihr wird das tElgenständige nicht ausgelöscht, sondern zur Entfaltung und Vollendung gebracht. Die Realisierung und Aktualisierung der Gemeinde ge schieht in einer bestimmten Zeit, zu einer je eigenen Stunde. Wenn das Christentum auch sein Eigenstes nicht preisgibt, so findet es doch in jedem Volk und zu jeder Zelt seinen besonderen Ausdruck. Die Kontinuität in den Prinzipien und die Fähigkeit der Anpassung im einzelnen schließen sich nicht aus. Wäre dos Christentum eine starre Lehre, so hätte es keine lebendige, geschichtsmächtlge Kraft'. Christus nimmt durch die Kirche Gestalt an — auch heute. Nichts anderes hat Guardini gemeint, wenn er gesagt hat: „Die Kirche erwacht in den Seelen." Aus dem Gesagten ergeben sich wichtige Konsequenzen für den Kirchenbau. Wenn die Gemeinde das eigentliche Haus Gottes Ist, so wird das steinerne Haus erst durch sie zum Haus Gottes- gemacht. Der Kirchenbau darf dann nicht losgelöst von der Gemeinde gesehen werden; er ist primär nicht ein Monument der Ewigkeitssehnsucht des Menschen, wie man vielleicht die Kathedralen des Mittel alters sehen kann — ob zu Recht oder Unrecht, das bleibe dahingestellt — auch nicht primär ein Kunstwerk, wie ihn manche Ästheten des 19. Jahrhunderts beurteilten, schließlich auch nicht nur Funktionsraum der Liturgie, wie es heute manche wahrhaben möchten. Unsere Kirchen müssen Räume für die Gemeinde sein. Das schließt die Forderung noch gemeinschaftsbildenden, bergenden, „stillen" Räumen ein. Gerade im Erspüren und Verwirklichen solcher „Raumquailtäten" zeigt sich die eigentliche Begabung des Architekten'. Um Miß verständnissen vorzubeugen, mag freilich angemerkt werden, daß es nicht ausgeschlossen werden soll, daß es neben dem Gemeinderaum Anräume oder Raumteiie für den einzelnen Beter gibt, Stätten der Andacht und der Versenkung. Der einhellige Raum ist immer ein Extrem fall — gewöhnlich wird die Gemeinde differenzierte Räume brauchen. Wenn unsere Kirchen für die Gemeinde gebaut werden, dann ist die kosmische Symbolik im Kirchenbau sekundär. Der Kosmos wird durch die Gemeinde geheiligt, nicht umgekehrt. Wenn es im Epheserbrief heißt: „Durch die Kirche wird jetzt den Mächten und Gewalten in den Himmein die vielfältige Weisheit Gottes bekannt" (Eph 3, 10), so sieht Heinrich Schlier darin schon angedeutet, „daß die Einbeziehung des Alls in das Pleroma Gottes als solches nur über die Kirche und in Ihr über den einzelnen geht, der «ich in dieser Stätte der Fülle Christi von der Fülle Christi in das Pleroma Gottes einholen läßt'". Im christlichen Kirchenbau muß diaher der 'Primat des Menschen vor 'den Dingen und so auch vor jeder kos mischen Symbolik gelten. Damit wird 'solche kosmische Symbolik nicht völlig abgelehnt, aber sie ist sekundär gegenüber dem Menschen. Wenn Sie so übermächtig wird, daß der Mensch förmlich nur noch als Glied des Kosmos erscheint, dann kann man sich fragen, ob hier das eigentlich Christliche, das Personale, nicht zugunsten eines mythisch-kosmisch Sakralen aufgegeben ist. Es wurde gesagt, daß sich 'die Kirche in der Orts- oder Einzeigemeinde realisiert. Daraus ergibt sich für den Kirchenbau, 'daß er zunächst Haus der Einzeigemeinde zu sein hat, in der freilich die Kirche als Ganzes präsent Ist. Wiederum stoßen wir lauf die Tatsache, daß der Kirchen bau primär Versammlungscharakter hat und erst sekundär — und nicht mit Notwendigkeit — Symboicharakter. In

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2