Christliche Kunstblätter, 97. Jg., 1959, Heft 4

Herbert Schade SJ, München Zur Bildtheorie im frühen Mittelalter^) ' / u den Fundamenten, auf denen die Kunstgeschichte als Wissenschaft aufruht, gehören die Begriffe „Kunst", „Schönheit" und „Bild". Diese Begriffe werden unaufhörlich und selbstverständlich gebraucht, als verstünde jeder von uns und jede Epoche der Geschichte unter diesen Worten dasselbe. Sobald man aber nachfragt, welche Wirklichkeit sich hinter diesen Begriffen verbirgt, sei es in den zeitlich zu unterscheidenden Epochen, sei es bei den ver schiedenen Theoretikern und Philosophen, so werden allenthalben Widersprüche sichtbar. Zur Kunst gehört nach Aristoteles ebenso die Kochkunst wie die Archi tektur^). Für schön galt Piaton besonders die Tugend, auf keinen Fall aber das abzulehnende Schattenspiel der Maler^). So sind die Begriffe und ihre Inhalte bis zur Gegenwart einem beständigen Wechsel unter worfen. „Imago" kann Haftmann die „Sitzende Frau" der Sammlung J. Thrall-Soby (1927) — ein Bild von Picosso — nennen'). Im Zusammenhang mit der Stilbev/egung spricht der bekannte Interpret der mo dernen Malerei sogar von einer „Art Ikone des mathe matischen und technischen Geistes"'^). Die Bedeutung der Worte bei Haftmann ist klar. Die alten Begriffe werden nur der Klangfarbe nach gebraucht als Worte, die etwas Fremdes, Hoheitsvolles und Magisches be zeichnen. Mit anderen Worten: die antiken Begriffe und die Wirklichkeiten, die hinter ihnen stehen, wer den durch Empfindungsqualitäten und Sentimente er setzt, und erhalten damit ästhetischen Charakter"). Die Tatsache, daß einer Reihe von Begriffen nur mehr Empfindungsqualitäten entsprechen — die Ästhetisierung unserer geistigen Welt — ist nicht auf die Kunstwissenschaft beschränkt. Jedoch soll hier auf dieses moderne Problem nicht eingegangen werden. Vielmehr will der Beitrag zeigen, wie das frühe Mit telalter seine Auffassung vom Bild grundlegte. Die Beobachtungen sind vielschichtig: Zunächst ist die Tatsache bemerkenswert, daß am Beginn des Mittelalters ein erregender geistiger und politischer Kampf um dos Wesen des Bildes geführt wird, der seinen Höhepunkt in dem hundert Jahre dauernden Bilderstreit besitzt. Im Gegensatz zur modernen Kunst wissenschaft, die noch am Beginn unseres Jahrhunderts positivistische oder formale Fragen nach dem Kunst werk in den Vordergrund stellte, trat im Mittelalter die Betrachtung des Kunstwerkes als Kunstwerk — die formalästhetische Seite — zurück, während philo sophische und theologische Probleme im Mittelpunkt der Diskussion standen. Weiterhin ist auffällig, daß die Diskussion in Byzanz unter anderen Vorzeichen geführt wird als im Westen. Beachtenswert scheint, daß im Westen schon unter den Karolingern ein Um schwung in der Beurteilung der Bilderfrage eintritt. Ferner ist erstaunlich, daß in der ottonischen Zeit, die doch dem Kunsthistoriker als Höhepunkt künstlerischen Schaffens gilt, eine Diskussion um das Bild so gut wie unbekannt ist, während im 12. Jahrhundert mit Bernhard von Clairvaux der Kampf um das Bild scheinbar unvermittelt und mit großer Schärfe von neuem anhebt. So wirft die Frage nach dem Wesen des Bildes im frühen Mittelalter eine Reihe von Problemen auf, die hier nur kurz umrissen werden können. I. Der Bildbegriff der Byzantiner Der byzantinische Bilderstreit entsteht in der histo rischen Kontinuität und im selben Raum wie die Kämpfe um das Gottesbild im alten Orient und in Griechenland"). Dieser Umstand unterscheidet den byzantinischen Bilderstreit vor ollem von den Aus einandersetzungen des Westens unter den Karolingern. Es sind nicht nur das Bilderverbot der Israeliten und die Bildlosigkeit der islamitischen Kunst, die Byzanz anregten. Die griechische Philosophie hatte seit der Zeit der Vorsokratiker nicht aufgehört, die Frage nach dem Wesen der Götterbilder zu stellen und ihre größ ten Vertreter haben sich von Piaton bis Plotin bemüht, diese Fragen zu beantworten. Die Darstellung dieser lebendigen Überlieferung der Bildtheorien der antiken Philosophie und christ lichen Patristik findet sich u. a. besonders bei Jo hannes Damascenus (675—749)®). „Bilder sind die Ideen der Dinge; Ebenbild Gottes ist der Mensch; Bild des Denkens ist das Wort; Bild ist Erinnerung an Vergangenes und Vorausdarstellung der Zukunft. Alles ist ein Bild und das Bild ist alles"®). Mit diesen wenigen Worten faßt Harnack treffend die Lehre der Bilderverehrer zusammen. Und die Fassung Harnacks zeigt, wie sehr alle Fragen geistiger Art sich in der Lehre vom Bild treffen. Ohne Philosophie und Theologie, die Sinne und den Intellekt, Ge schichtsbetrachtung und systematisches Denken von einander zu trennen, bringt die Bilderlehre eine geistige Grundlegung der menschlichen Existenz. Formalästhetischer Tiefsinn und Konsum des Senti mentalen sind der Bildertheorie der Alten in gleicher Weise fremd. Die seinsmäßigen Zusammenhänge werden dargelegt. Damit sind auch die wesentlichen Unterschiede zur Moderne aufgezeigt; denn die Ge-

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