Inkarnation"; der Naturalismus verzichtete als „abstrak tionslose Kunst" auf die tiefere „Fühlung mit dem Univer salen". Demgegenüber versuchten alle Ismen über den Prozeß der „Entsprechung zwischen Mensch und Welt, ohne die es keine lebendige Form geben kann", den Gegen stand zurückzuerobern. Das geht von der passiven Unter werfung der Impressionisten unter den Sinneseindruck bis zur Aufdeckung des Zwiespalts zwischen Mensch und Ding durch den Surrealismus. Doch „das Seltsame allein genügt nicht", sondern es muß noch jenes ,Anderswo' hinzutreten, welches Bazaine als „das uneingestandene Bedürfnis nach dem Sakralen" bezeichnet. — Damit ist die Rolle des bild nerischen Gegenstandes bestimmt, der im Bilde nicht logi schen oder rationellen Ansprüchen zu genügen hat, son dern in Wesensübereinstimmung mit einem anderen Sein eine „Verinnerlichung des Visuellen" bewirken muß. Wesentlich erscheint ferner Bazaines neuartige Formu lierung vom Irrtum einer engagierten Kunst: zwar ist die Kunst auf der Suche nach einer neuen „Form des Sakra len", iedoch „eine religiöse Kunst gibt es nicht". Es gibt immer nur Bedingungen, unter denen „ein Kunstwerk dahingelangen kann, einen Glauben einzubegreifen und zu verkörpern", d. h. wenn das Dargestellte — abstrakt oder gegenständlich — in die Sphäre einer geheimnisvoll-gleich wertigen Entsprechung eintritt, die es zum offenen Gefäß des Göttlichen werden läßt. Manche Formulierung mag zu einseitig erscheinen, wie z. B. die museale Etikettierung des Surrealismus oder die nicht gerechte Beurteilung des Expressionismus, der gewiß aus der französischen Perspektive weniger Pluspunkte auf weist als aus der deutschen. Doch dos beeinträchtigt die überzeugende Konzeption der Gedanken nicht sonderlich, die einen der gewissenhaftesten Versuche darstellen, allzu gängig gewordene Begriffe wieder auf ein Fundament der Verantworilichkeit zu stellen. Curt Grützmacher Volkskunst P. und W. Kiessling — Claus Hansmann, Lüftlmalerei. Bruckmann Verlag, München, 1959. DM 8.50. Claus Hansmann — Leonie von Wilckens, Puppen aus aller Welt. Bruckmann Verlag, München, 1959. DM 8.50. Durch die liebevoll ausgestatteten Bändchen des Bruck mann Verlages, von denen soeben zwei neue erschienen sind, wird dos Interesse des nichtfachmännischen Lesers, der kaum zu einem Standardv/erk über Volkskunst greifen würde, auf kleine Dinge des Alltags gelenkt, die er bisher zu übersehen gewohnt war. Claus Hansmann hat es in dem Band „Lüftlmalerei" verstanden, in einer Handvoll zauberhafter Farbaufnahmen etwas von dem Reichtum der altbayrischen Architekturmalerei festzuhalten, die zumeist von dem motorisierten Nomadenstrom, der täglich daran vorbeirollt, nicht beachtet wird. Das Auge des Reisenden von heute, der sich hinter Pferdestärken verschanzt, wird eher von einer zitternden Tachometernadel fasziniert, als durch die Schönheit der ihn umgebenden Dinge. Und dabei bieten die bunten Fassaden der Häuser in Garmisch, Ober ammergau und Mittenwald nicht nur ein höchst erfreuliches Schauspiel, sondern entrücken uns für Momente in dos illusionsfreudige 18. Jahrhundert mit seinen schwerelos schwebenden Putti, Girlanden und Rocaillen, täuschend imi tierten Treppen und Baikonen, die unmerklich in echte Massivteile übergehen. Die Fassadenmalerei, deren bedeu tendste Meister auf dem Lande Zwinck und Karner waren, ist nicht nur Schmuckbedürfnis, sondern zugleich sinnvolles Programm. Zwar wurden mitunter auch die Besitzer des Anwesens hinter aufgemalten Fenstern dargestellt, doch es überwiegen Themen aus der Bibel, lehrhafte Auslegung von Sprüchen und vor allem die Abbildungen von Heiligen und Nothelfern, von denen Florian, Leonhard, Martin, Ni kolaus usw. die beliebtesten waren, denn sie sollten Haus und Hof, das Vieh und die Ernte vor Feuer und Seuchen schützen. In diesen Fresken, die eine überirdische Welt so sichtbar in den Alltag des Bauern mit einbeziehen, spie gelt sich die Geisteshaltung eines Stammes, der diesem Land sein charakteristisches Gepräge verliehen hat. Der zweite Band enthält über 60 Farbaufnahmen von Puppen aus den verschiedensten Ländern der Erde, zum Teil historische Erzeugnisse, zum Teil Produkte der Gegen wart. Diese bunte Versammlung hat ihren eigenen Reiz, denn sie vermittelt den Eindruck, daß das wohl älteste Beschäftigungsmittel des Menschen — nämlich sein eigenes verkleinertes Ebenbild — noch heute im Kinde wie zu ollen Zeiten einen Akt der Identifizierung von Vorstellung und Wirklichkeit auslöst. Für die meisten Kinder ist die Puppe auch heute noch kein totes Abbild, „sondern fraglos leben dige Realität", wobei es völlig im Unbewußtsein bleibt, daß dos tote Wesen ja durch den Verstand und Willen des Kindes, durch dessen Imaginationskraft erst Leben er hält. — Leonie von Wilckens bietet in ihrem knappen, essayhaften Text eine kleine instruktive Kulturgeschichte der Puppe, die in der Betrachtungsweise durch den heutigen Zivilisationsmenschen, der sie nur noch als Spielzeug sieht, von ihrem kultischen, mythischen Ursinn weit entfernt ist. Nur noch die Götzenbilder und Fetische der Primitiven lassen den ursprünglichen Sinngehalt erkennen. Vom dä monischen Kultgebilde wurde die Puppe zum Demonstra tionsobjekt für bestimmte Lehrzwecke, ohne jedoch ihren magischen Charakter zu verlieren und ohne als Spielzeug in die Hönde des Kindes zu geraten. Das geschah erst relativ spät, nachdem sich der Wandel vom Sinnbild zum bloßen Abbild bereits vollzogen hatte. Im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts dient die Puppe noch ganz der etwas prätentiösen Belehrung — wie man bei dem schulmei sternden Campe nachlesen kann —, um dann in der Mode als Kleiderpuppe die bedeutendste Rolle zu spielen. Erst die Verwendung der auch heute noch gebräuchlichen Werk stoffe —■ Celluloid, Pappmachö — ließ eine Industrie sich ausbreiten, die nun ausschließlich Spielpuppen fabrizierte, womit eine Entwicklung einsetzte, die in ihrem unersätt lichen Streben nach Naturtreue und technischer Vollendung jene täuschend ähnlichen Gebilde hervorbrachte, die heut zutage auf dem Markt sind und sicher auch als ein Zei chen der „Abbildbefangenheit unserer Tage" zu werten sind. C. G.
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