Christliche Kunstblätter, 97. Jg., 1959, Heft 4

ja die Bestiftung ad älterem, auf den Altar, und es mag schon um der richtigen traditio willen als selbst verständlich, ja als notwendig empfunden worden sein, daß das gottgewidmete Tier in die Kirche und zum Meßopfer gebracht wurde. Leider hat man sich mit dem für dos Kontinuitätsproblem so wichtigen Fragenkomplex des Tieres bei Kulthandlungen in der Kirche im Zusammenhang noch gar nicht beschäftigt'). An der Westwand der 1470 erneuerten Leonhards kirche in Heiligenleithen bei Rettenbach (Oberöster reich) sind gotische Bänke für die Dorfältesten an der Westwand aufgestellt. Es liegt nahe, an den Pferde segen zu denken, der hier alljährlich am Leonharditage gespendet wurde. Auch der Bau der Halle rich tete sich nach dem Durchritt der Pferde: Süd- und Nordportal nächst der Westwand, die ihrerseits (wie in Naturns ursprünglich) ohne Maueröffnung blieb; so ließ der Priester bei der Segnung, gegen Westen ge wendet, die Pferde von links nach rechts durch den Kirchenraum vorbeiziehen, wie uns die Westwand in Naturns genauso den Zug der Rinder von links nach rechts im Bilde zeigt. Zwölf Weiler im Virgen-Tal unter dem Großvenediger in Osttirol wirken zusammen, damit alljährlich der eigens dafür gepflegte und gefütterte, langhaarige weiße Widder mit außergewöhnlichen Hörnern nach Lavant unterhalb Lienz gebracht werde. Es ist ein besonders mühevoller „Kreuzgang", der da mit dem Widder über vierzig oder fünfzig Kilometer das Tal herabführt (Abb. 4). Man fragt sich, was die Menschen in einer Pestzeit 1635 veranlaßt haben konnte, das Opfertier so weit hin zu geloben. Der heilige Petrus vom Kirchbichl in Lavant ist zudem kein Pestpatron; wohl ging der Widder seit der Barockzeit zum Gna denbild der Gottesmutter, doch hätte man viel eher ein Gelöbnis an das nahe Obermauern erwartet, wo seit dem 14. Jahrhundert eine vielbesuchte Wallfahrt besteht (seit etwa 1930 wird nun auch der „WidderKreuzgang" nicht mehr nach Lavant, sondern noch Obermauern geführt). Einmal allerdings und nur — so viel wir wissen — zu dieser ganz frühen Zeit bestand engste Verbindung zwischen Virgen und dem Kirch bichl von Lavant, damals nämlich, als die Bischofs kirche der civitas Aguntum auf dem Bichl von Lavant stand (400 bis 600, vorher dort ein Keltentempel, in dem es Widderopfer gab!) und die Opfergabe der Seitentäler ganz naturgemäß zur Hauptkirche der civitas gebracht wurde. Der eine oder andere Einzel zug im Brauchtum um den Virgener Widder mutet geradezu spätantik an. Blieb tatsächlich hier ein kul tischer Brauch der spätantiken Zeit bis in die Gegen wart erhalten? Die Rinderherde der Westwand in Naturns als Genreszene deuten zu wollen, ist natürlich abwegig. Es genügt nicht, auf das Hirtenvolk im Bergland oder auf den Viehpatron Prokulus hinzuweisen. Selbst der Gedanke an ein Votivbild aus gelegentlichem Anlaß, wie Votivszenen irgend welcher Art dann seit dem Spätmittelalter häufig vorkommen, erscheint für die frühe Zeit der Wandgemälde und im Hinblick auf den breiten Raum der Darstellung noch immer keine aus reichende Erklärung. Es muß ein Geschehen von ein schneidender Bedeutung gewesen sein, das mit dem Gottesdienst in der Kirche in enger Beziehung stand, das sich wohl auch regelmäßig wiederholte, um im achten Jahrhundert Gegenstand für die Ausmalung einer Kirchenwand werden zu können. Der „Rinderkreuzgang" von Naturns — so denken wir — wird älter gewesen sein als der Kirchenbau. Von zwölf Weilern der weiteren Umgebung mag man die zwölf Rinder hierher gebracht haben. Weil diese Rinderwallfahrt bestanden hatte, wurde Prokulus für spätere Geschlechter, als der „Kreuzgang" selbst schon in Vergessenheit geraten war, zum Viehpatron und nicht umgekehrt. Eine merkwürdige Parallele wird so zwischen dem Bild der Traditio neben dem Triumphbogen und dem „Rinderkreuzgang" der Westwand sichtbar. Der Eigenkirchenherr bringt sein persönliches Stiftungsopfer ebenso zum Altar, wie die Gesamtheit der Bauern gemeinschaft (darum die Zahl zwölf der Rinder, weil die Vollzähligkeit oller Zusammengehörigen aus gedrückt sein soll) ihr Rinderopfer in den Kirchen raum bringt. Beide Gaben, die einmalige des Kirchen herrn wie die regelmäßige der Kirchengemeinde sind die beiden Pfeiler, auf denen der Wohlstand des Kirch leins ruht, zu dem dann auch der Strom sonstiger Pilger (die Schar, die sich dem Paulus zuwendet) das Seine beiträgt. Das Konzept der Wandausmalung in Naturns ist gleichzeitig und einheitlich und erweist zugleich, in welch innige Verflechtung der frühchristliche Gemein schaftsgedanke mit dem Eigenkirchenwesen gelangt war. Mag auch die „Nutzung" der Kirche wie die Last der Bauerhaltung nur dem einen zustehen, so wirkt die Gemeinschaft doch selbstverständlich mit und es wird, was sie tut, als genauso wichtig in einem Bild für sich an der Wand festgehalten wie der Grün dungsakt durch den Eigenkirchenherrn. Aus dem Nebeneinander zweier sich fast ausschließender Ge dankenformen ist bereits — im achten Jahrhundert — eine neue Einheit geworden, die dann im folgenden zu einer der tragfähigen Wurzeln für die kommende Pfarrorganisation wurde. So anspruchslos das Dorfkirchlein zunächst erscheint, so einfach die Bauform ist, so führt die Analyse doch sehr bald zu einer erstaunlichen Vielfalt der Gesichts punkte, die sich unerwartet als streng durchdacht er weist. Da wird nicht herumgetastet, sondern klar disponiert. Jedes hat seinen Platz. Es gilt eine unver kennbare Rangordnung, die sich in einer Steigerung des Darstellungsinholtes von Westen noch Osten äußert. Hier die Herde, die Pilgerschar, die Sippe der Kircheneigner; auch der Ausdruck der Verehrung

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