Christliche Kunstblätter, 97. Jg., 1959, Heft 4

Das Werk ist wie der Mensch, der es hervorgebracht. „Im Grunde war es ein- und dieselbe Kraft, die mich in der Kindheit zu Träumen und dummen Streichen, später in eine Krankheit und schließlich zur Kunst brachte." Zu dieser Einsicht führt uns die Autobiographie Kubins. 1911 als Einleitung zur „Sansara-Mappe" erschienen und bis 1931 fortgeführt in „Dämonen und Nachtgesichte", wird sie jetzt mit unwesentlichen Kürzungen vom Piper Verlag erneut vorgelegt. Die Illustrationen sind aus der Druck graphik Kubins sorgfältig ausgewählt. Der Bertelsmann Verlag hat in seinem Kubin-Bändchen auf die Federzeichnungen des Künstlers zurückgegriffen, unter denen sich noch wenig bekannte, hervorragende Blätter finden. Wolfgang Schneditz führt zum Menschen Kubin hin und bestimmt seinen Ort im geistigen Ge schehen unserer Zeit. G. R. Ernst Ludwig Kirchner, Farbige Graphik. Kleine PiperBücherei, Band 135. München, 1959. DM 3.50. Wollte man mich fragen, welche Werke der deutschen Graphik ich für die besten hielte, so wären sicher auch einige Blätter von Kirchner dabei. Nicht so sehr die frühen Blätter, die oft zerfließen (Zirkusbild, Farbholzschnitt 1905) oder zerfallen (Zwei Frauen auf einem Sofa, Pastell 1906—07), auch noch nicht die formal so strengen, häufig auf dem Prinzip der Parallelität aufgebauten Farblithos aus den folgenden Jahren, so faszinierend sie auch sein mögen (Cakewalk, 1908; Segelboote bei Grünau, 1912), sicher aber eine der kurz vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges entstandenen-, von nervöser Spannung aufge ladenen, zugleich erotisch überhitzten und sich dagegen aufbäumenden Berliner Straßenszenen, in denen strengste Form, kühne Farbigkeit und stärkste Aussage sich bis zum Exzeß gegenseitig steigern (Rote Kokotte, Pastell 1914). Und doch sind sie noch nicht dos Äußerste dessen, was Kirchner vermochte. Das ist jene Reihe monumentaler Landschaften, die am Ende des ersten Weltkriegs und in den Jahren dar nach während des Davoser Aufenthaltes entstanden. In den großen Farbholzschnitten dieser Zeit, der Wintermond nacht von 1918 etwa oder den Wettertannen von 1919, ist das übermächtige der Bergwelt in einer Weise realisiert, der man in der gesamten Kunstgeschichte kaum etwas Gleichwertiges entgegensetzen kann. Selbst in der starken Verkleinerung des vorliegenden Bändchens, die solche Blätter naturgemäß am allerwenigsten vertragen, ist noch etwas davon spürbar. — Daß Kirchner in den letzten zwölf Jahren seines Lebens nichts mehr geschaffen hat, was diese Leistungen auch nur annähernd erreicht, gehört zur Tragik seines Künstlerdaseins. Woher kommt das Glücksgefühl, das man beim Durch blättern einer auserwählten Kirchnersammlung, wie der von Dr. Fischer-Stuttgart (aus der allein 12 Graphiken für dieses Bändchen ausgewählt wurden), empfindet? Dr. Er hard Göpel, dem wir den außerordentlich dichten Begleit text verdanken, antwortet: „Dos Oeuvre wirkt wie eine durchblutete Einheit, die noch einmal das Ganze der Welt umfaßt." G. R. Emil Neide. Text von Werner Haftmann. Verlag DuMont Schauberg, Köln, 1958. 140 Seiten mit 47 ganzseitigen Farb tafeln. DM 44.—. Der Verlag DuMont Schauberg, der sich immer mehr an die Spitze aller deutschen Verlage, die sich um die mo derne Kunst bemühen, setzt, legt einen prachtvollen NoldeBand vor. Die Farbtafeln kommen den Originalen so nahe, wie das bei den heutigen Reproduktionsverfahren und dem Zwang, die Bilder in kleinerem Format zu geben, über haupt möglich ist. Vor ollem haben die Bilder auch in den Reproduktionen die Leuchtkraft ihrer Farbe bewahrt. Jede einzelne Farbtafel wird von Werner Haftmann ein gehend interpretiert. Kaum einmal sind Werke eines deut schen Malers der jüngsten Vergangenheit so glänzend interpretiert worden, wie hier. Auch ist Werner Haftmann zu einem leichten und flüssigen Stil gelangt, der ihm bis her nicht eigen war. Dem Bildteil geht eine längere Einführung in das Werk Noldes voran. Hier wird Nolde zunächst in das Ko ordinatennetz der modernen Malerei eingeordnet. Als deren gemeinsames Kennzeichen wird die „evokative Funk tion" des Bildes genannt, die an Stelle der „reproduktiven Funktion" der Werke seit dem Beginn der Renaissance ge treten ist. Malerei gibt also nicht mehr Sichtbares wieder, sondern hat selbst „aus den tieferen Erfahrungen des Menschen etwas sichtbar zu machen". Von den beiden Wegen, die zur Verwirklichung dieses Zieles führten, wählte Nolde den expressiven in der Nachfolge von Gau guin und van Gogh. Haftmann verschweigt nicht, daß ge rade hierin die Schwäche mancher Werke Noldes begrün det ist: seine Bilder zerfielen, wenn ihn die Emotion und der Instinkt verließen. Noldes persönliche Eigenart wird als ein Span nungsgegensatz zwischen dem Chthonischen und dem Numinosen charakterisiert. So tendiert seine Kunst einerseits zum Erdhaften, Phantastischen im Sinn der nordischen Sagen- und Märchenwelt, andererseits aber zum Religiösen, und zwar im mythischen Sinn. Schließlich geht Haftmann noch der E n t w i c k I u n g Noldes nach. Er zeigt, daß die Jahre 1909—1912 die ent scheidenden Jahre des Durchbruchs waren. In den spä teren Jahren hat sich die Kunst Noldes noch nach meh reren Seiten erweitert, aber nicht mehr grundsätzlich ge wandelt. Diese These wird auch durch die Interpretationen unterbaut, in denen die Wandlung am gleichen Motiv deutlich gemacht wird: „Wildtanzende Kinder" (1909), „Tanz um das goldene Kalb" (1910), „Kerzentänzerinnen" (1912). Sehr aufschlußreich ist auch ein Vergleich der reli giösen Bilder: „Abendmahl" (1909), „Grablegung" (1915), „Die Sünderin" (1926). So ergänzen sich Text und Bilder auf das Glücklichste und lassen das Buch nicht nur zu einem „Fest für die Augen", sondern auch zu einem „Fest für den Intellekt" werden. G. R. Jean Bazaine, Notizen zur Malerei der Gegenwart. Deutsch von P. Celan. S. Fischer Verlag, 1959. DM 6.80. Es sei von vornherein bemerkt: die wenigen Seiten von Bazaine sind weit entfernt von dem oft so subjektiven Charakter von „Künstlerbekenntnissen", die sich in der aufschließenden Funktion zum eigenen künstlerischen Tun erschöpfen. Jedoch spricht hier durchaus der Maler Jean Bazaine, ohne seinen Standort im abstrakten Flügel der französischen Moderne zu verlassen, ohne ober auch sich mit programmatischen Forderungen im eigenen Kreise zu drehen; vielmehr verdichtet sich der auf der Basis scharfsichtig-kritischen Vermögens gewachsene Beitrag zu einem Versuch, das Kunstwerk als die sichtbar gewordene Kommunikation mit dem Universalen inmitten einer Welt mißverstandener und mißverständlicher Begriffsschematik neu zu situieren. Zunächst sei der Talsache gedankt, daß der Text von Paul Celan übertragen wurde, wohl dem Begabtesten aus der jüngeren Generation, dessen Übersetzungen Rimbouds und Alex. Bloks seine Fähigkeit bewiesen hoben, dem ein zelnen Wort auch noch jene ,intime Resonanz' abzulau schen, die die jenseits des Logos liegenden Bereiche zum Mitschwingen bringt. Im Mittelpunkt der „Notizen" Bozoines steht dos Ding verhältnis, womit keineswegs nur dos Gegenständliche ge meint ist, sondern dos Verhältnis zum bildnerischen Ob jekt schlechthin. Es geht immer um „Inkarnation oder Nicht-

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