jeden empfehlen, der in einer lauten und oftmals turbu lenten Zeit gelegentlich die Neigung verspürt, stille, ver sunkene Einkehr zu halten. Kurt Holter Kunst der Gegenwart Niels von Holst, Moderne Kunst und sichtbare Welt. Springer Verlag, Berlin, 1957. 131 Seiten, 103 Abb. DM 7.80. Niels von Holst sucht in dieser Schritt die vielverbreitete Behauptung zu wiiderlegen, nach weicher allein die ungegenstöndiiche Kunst wahrer Ausdruck unserer Zeit sein müsse. Es ist zwar nicht zu leugnen, und auch der Ver fasser weiß das sehr gut, daß seit 50 Jahren (— das erste ungegenstöndiiche Bild malte Ciurionis 1907 in Rußland —) die bildende Kunst sich in zunehmendem Maße vom Gegenstand abgewendet hat. Viele Künstler und Kunst theoretiker sind der Meinung, daß in unserer Weitbetrach tung, einer Art Mischung von östlicher Mystik und moder ner Naturwissenschaft, die Darstellung der sichtbaren Weit jede Berechtigung verloren habe. Niels von Holst ist mit solchen Schlußfolgerungen viel vorsichtiger. Er warnt vor jeder vorgefaßten Logik in Kunstdingen, denn — so sagt er — man kann gesetzmäßige Abläute in der Kunst niemals vorherbestimmen. Er weist nach, daß die Abwendung von der Erscheinungsweit in unserer Kultur schon wiederholt stattfand; zuerst im Ur-Christentum, wel ches nur durch Symbole sprach, weil es die Weit als völlig verwerflichen Abfall von Gott ansah. (Eben darum begrüßen viele kirchliche Kreise heute wieder die sogenannte ab strakte Kunst in der Kirchei) Deswegen nun aber ein Hinwenden zur Welt der Erscheinungen als weniger fromm zu bezeichnen, wäre eine allzu bequeme Einseitigkeit. Ihr gegenüber braucht man nicht einmal auf die großen Reli giösen der abendländischen Maierei hinzuweisen (—Wai ther Nigg nennt als die „Maier des Heiligen": Grünewaid, Michelangelo, Greco, Rembrondt —), es genügt, mit Paul Claudel die Frömmigkeit der holländischen Kieinmeister zu preisen. Von selber versteht sich, daß ein platter Rea lismus, der den Stoff nicht zu durchdringen vermag, den man materiellen Zwecken dienstbar macht (und den be sonders die Diktaturen lieben!) — daß dieser ganz gotttern bleibt. Aber das kann auch das Schicksal einer rein intellektuellen, nur formalen oder nur motorischen, un gegenständlichen Kunst sein. Und damit sind wir bei der gegenwärtigen Situation angelangt, für welche Niels von Holst nachweisen möchte, daß eine ausgesprochene Tendenz zum Gegenstand sich gerade bei der jüngeren Generation meldet — zum Gegenstand und zum Menschenbild, welches wieder einen bevorzugten Rang einnimmt. Das Buch bringt zahlreiche interessante Bildbelege. Wer sich an die Biennale 1954 in Venedig erinnert, die unter dem Motto „Realismus und Surrealismus" stand, findet hier manches dort Gesehene wieder: Porträts von Sutherland und Freud (England), die belgischen Reallsten und Surrealisten, die vorzüglichen neurealistischen Plastiker Italiens (Marini, Greco, Manzü). In Frankreich wenden sich auch Maler der älteren Gene ration (Picasso, Braque, Masson) dem Gegenstand wieder zu; von den Jüngeren ist bekanntlich Büffet sehr in den Vordergrund gedrängt; er steht ober nicht allein. Auch in Amerika gibt es eine starke neurealistische Richtung. Eine Schwäche des Buches liegt in seinen Abbildungen. Die gezeigten Werke neuer Gegenständlichkeit sind künstlerisch ungleichwertig. Zwar zeugen sie von der Hin wendung eines größeren Teils der Jüngeren zur Erschei nungswelt. Aber manches kommt nicht über akademische Repetition hinaus. Die Sinngebung der Erscheinungen setzt Glaube und Idee voraus. Ohne diese kann es weder auf diesem noch auf jenem Wege zu einer bedeutenden Ge staltung kommen. Auf dem Wege zum Gegenstand lauern die gefährlichen Abgründe des flachen Optimismus, des Materialismus, vor denen der Verfasser selber warnt. Das Ist aber kein prinzipieller Einwand, sondern besagt nur, daß oft die nötige Kraft fehlt. Es bedarf auch auf diesem Wege der großen Einzelpersönllchkelten, um schöpferisch die Gegenständlichkeit zu durchdringen, die ja im Grunde auch eine nicht konkrete geistige Region ist, als solche nicht faßbar und stets wandelbar, mit dem Menschen an der Spitze der Erscheinungen. So könnte im Sinne der vor liegenden Schrift eine „moderne Kunst" die „sichtbare Welt" In ihren geistigen Ursprüngen im Doppelsinn des Wortes „aufheben". Ernst Wolfhagen Franz Roh, Geschichte der deutschen Kunst von 1900 bis zur Gegenwart. München, 1958. Bruckmann-Verlag. DM 56.—. Das umfangreiche Werk, welches als sechster Band die „Deutsche Kunstgeschichte" des Bruckmann-Verlags ab schließt, stellt mit seinen über 600 Abbildungen wohl dos geschlossenste Kompendium über die neueste Entwicklung in Deutschland dar, das gegenwärtig auf dem Bücher markt ist. Mit seiner Fülle von Nomen ist es in seiner an gestrebten Vollständigkeit eine ausgezeichnete Ergänzung zu anderen Werken (etwa Haftmann), die mehr die zu sammenhängenden europäischen Geistestendenzen auf weisen wollten. Der Verfasser, einer der besfen Kenner der Moderne, sortiert so unauffällig und weiß bei aller Sparsamkeit des Textes die Akzente so sicher zu verteilen, daß sich knappe Information mit präzisem Urteil und oft sogar mit an schaulicher Interpretation verbinden. Das Schwergewicht des Bandes liegt naturgemäß auf der Malerei, wobei Roh mit dem deutschen Impressionismus einsetzt, Parallelen zu Frankreich andeutet und den Blick auf die heran reifende Generation wendet, deren einheitliches Streben so zu charakterisieren wäre: „Man will nicht mehr die Dinge einer uns vorgegebenen Umwelt wiederspiegeln, sondern Kräfte, die hinter Ihnen liegen könnten." — Der erste, in Deutschland so erfolgreiche Versuch der Ver wirklichung dieses Programms war der „Jugendstil", der uns heute so seltsam „historisch" erscheint, wohl well er ein Lebensgefühl betonte, das von den Zeitereignissen schnell ad absurdum geführt wurde. Trotzdem ist seine Bedeutung In den letzten Jahren durch zahlreiche Re trospektiven klar hervorgetreten. Die beiden Abschnitte über die „Brücke" und den „Blauen Reiter" breiten reiches dokumentarisches Material aus. Prägnant ist die Schilderung Franz Marcs, die sowohl seine künstlerische Bedeutung wie auch seine Persönlich keit lebendig werden läßt. Ebenso deutlich treten Kandinsky und Klee und das „Bauhaus" hervor, diese einzige, „wirklich gelungene Synthese". Hier ließ der enge Kon takt mit Industrie und Handwerk „keinen Platz für romantisierende Ideale", und gerade In dieser lebens nahen Perspektive, die alle Gebiete des Alltags in eine neue optische Kultur einbeziehen wollte, tritt eine sicht bare Humanitas als tragendes Element des BauhausGedankens zutage. Zur Kennzeichnung der „Neuen Sachlichkeit" greift der Verfasser auf seinen Aufsatz von 1924 zurück, dessen Titel „magischer Realismus" zu jenem Begriff wurde, der neben dem Hartlaubs das unmittelbar nach-expresslonlstlsche Kunstschaffen zu fassen suchte. Die tabellenartige Gliederung der Merkmale erweist sich noch heute als methodisch Instruktiv. Nach dem Dadaismus und Surrealismus behandelt Roh die „Abstrakte Malerei". In diesem Kapitel — wohl dem stärksten und eindruckvollsten des Buches — glaubt man
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