zentrale Reichsgewalt Karls des Großen im bayrischösterreichischen Räume erst auszuwirken begann, während die früheren Bindungen an das agiioiflsche Herzogshaus, dem der Gründer von Kremsmünster, Tassilo III., ange hörte, noch nicht vergessen waren. Es ist ein besonderer Vorzug dieses ersten Teiles, daß aus einem anscheinend eng begrenzten Forschungsfeld der Schrift- und Textgeschichte eines Evangeliars, der Ausblick auf die historische Umwelt gewonnen wird, so daß auf rrianche bisher noch ungeklärte Fragen ein neues Licht fällt; z. B. auf die Frage, woher die ersten Mönche für Kremsmünster kamen: der Textzusammenhang des Millenarius mit dem in Mondsee geschriebenen Evangeliar, dessen Fragmente in New York und Nürnberg sind, weist auf Mondsee als Mutterkloster. Der zweite Teil des Buches stammt von Dr. Kurt Holter und trägt den Titel: „Der Codex Millenarius im Rahmen der Mondseer und Salzburger Buchmalerei." Im Gegensatz zum ersten Teil, für den es kaum Vor arbeiten gab, existiert für die kunstgeschichtlichen Fragen der Handschrift schon eine umfangreiche Literatur, über deren Ergebnisse Holter kurz referiert. In der bisherigen Forschung wurde der Millenarius kunstgeschichtlich immer zugleich mit dem Cutbercht-Codex untersucht; die offen bare Verwandtschaft der beiden Evangeliare legt diesen Vergleich nahe, und auch Holter geht ausführlich darauf ein. Er kommt jedoch zu anderen Ergebnissen als man bisher angenommen hatte. Weder ist der Millenarius eine Kopie des Cutbercht, noch ist das Gegenteil der Fall. Beide Handschriften gehen vielmehr auf gemeinsame Vor lagen zurück, die der spätantik-byzantinischen Tradition angehören und auf Ravenna weisen. Damit ist die bisher mit Vorliebe geäußerte Meinung von der „insularen" Her kunft der Miniaturen des Millenarius abgetan. Die ikonographische Herkunft führt nach Oberitalien, wohin auch die Textgeschichte schon gewiesen hatte. Die kunstgeschichtlichen Untersuchungen Holters sind in ihrer Gewissenhaftigkeit ebenso überzeugend wie die textgeschichtlichen Untersuchungen Neumüllers. Durch die Beigabe von Bildmaterial werden aber diese ikonographischen und formgeschichtlichen Studien ungemein an schaulich. Die Zusammenhänge von Kremsmünster mit Mondsee und die schriftgeschichtlichen Beziehungen zu Salzburg sind der Anlaß dazu, daß auch die Mondseer und Salz burger Buchmalerei eingehend besprochen werden. Der Millenarius steht mitten im vielfachen wechselseitigen Beziehungsspiel zwischen Mondsee — Salzburg — Krems münster, so daß seine kunstgeschichtliche Stellung erst im Überblick über diese drei Kulturzentren klar wird. Da bei ergibt sich, daß die Verwandtschaft mit den Mond seer Handschriften wesentlich enger ist als die mit den Werken der Salzburger Buchmalerei. Im ganzen gesehen ist diese Monographie über den Codex Millenarius ein Musterbeispiel für eine moderne wissenschaftliche Publikation. Das behandelte Werk wird sowohl noch seinem Inhalt als auch nach seiner Form erschöpfend untersucht, jedesmal von einem erfahrenen Fachmann, der die Probleme kennt und sie dem Leser in verständlicher Weise vorlegt. Beide Verfasser geben in ihren Ergebnissen mehr als man sich vom Thema selbst erwarten kann. Die Ausstattung des Buches ist vornehm, ober nicht luxuriös. Auch das spricht für den gediegenen Charakter des Werkes, das nicht nur dazu bestimmt sein soll, als Paradestück in den Vorzimmern von Generaldirektoren aufzuliegen, sondern das allen erreichbar sein soll, die seine Sprache verstehen und die sich für Kunst und Kultur der österreichischen Frühzeit interessieren. Franz Unterkircher Albert Boeckler, Deutsche Buchmalerei vorgotischer Zeit. Königstein i. T., 1952, 1959. (Die Blauen Bücher.) Der Name der Blauen Bücher ist in weiten Kreisen ein Begriff, mit dem man kulturell hochstehende Publikationen aus verschiedenen Fachgebieten verbindet. Für den Fach mann, der sich mit dem Handschriftenwesen näher be schäftigt, ist der Name Albert Boeckler ein mindestens ebenso sicherer Garant, wenn er nach einem Buche greift, das dessen Namen trägt. Albert Boeckler, der seinerzeit an der Preußischen Staatsbibliothek wirkte, hat nach dem Kriege ein Refugium in München gefunden, bis ihn im Jahre 1957 ein tückisches Leiden zu früh der Mitwelt ent riß. (Eine kurze Würdigung des Gelehrten von W. Koehler und eine gründliche Bibliographie von F. Mütherich findet sich in der Kunstchronik 12, S. 169—173, Nürnberg, 1959.) Wenn ein so gründlicher Kenner sich bemüht, ein Teil gebiet dieser abendländischen Kunst, eben die deutsche Buchmalerei dieser Epoche, zusammenzufassen und her auszuheben, so kann man erwarten, ein vollgültiges Werk in die Hände zu bekommen. Auch wenn lange fachliche Diskussionen in dem knappen Rahmen der Einleitung nicht zu erwarten sind, so wird man umso sicherer gehen, hinter jeder Formulierung die fundierte Fachkenntnis zu wissen. Geht man von der behandelten Materie aus, so liegt zunächst in jeder derartigen zusammenfassenden und überschauenden Veröffentlichung, die viele und gute Ab bildungen aus weithin verteilten Codices in sich vereinigt, ein innerer Widerspruch vor. Denn die Buchmalerei ist nicht für die große Welt bestimmt, ihre Bilder waren nie für ein Schaufenster gedacht; ihre Erzeugnisse sind ihrem Wesen nach auf den engen Bereich des Bandes beschränkt und sie entziehen sich der Welt in dem Augenblick, in dem sich der Deckel der Handschrift schließt. Wir glau ben, daß man diese Tatsache immer wieder betonen muß und einem zeitarmen Publikum vorhalten darf, damit es nicht oberflächlich, sondern mit der gebührenden Ehrfurcht nicht nur den Originalen, sondern schließlich auch den Abbildern gegenübertrete, auch wenn diese in einer Ver öffentlichung wie der vorliegenden nunmehr in Zehntau senden von Exemplaren über den ganzen Erdkreis hin verbreitet sind. Auch von dem Wissenschaftler, der viel leicht mit anderen Anliegen nach diesen Bildern greift — sei es im Original oder in der Reprodukion — darf man füglich dieselbe Ehrfurcht voraussetzen, die bei jeder Be rührung mit dieser geheimnisvollen Welt versuchen soll, den Geist wachzurufen, aus dem heraus einstmals diese Bilder geschaffen wurden. . Wenn wir gelegentlich des Buches von Boeckler diese Gedanken in den Vordergrund stellen, so deshalb, weil wir der Überzeugung sind, daß auch er nicht anders emp funden und gedacht hat. Wir wissen, wie er, der aus dem Norden kam, einfühlend und aufgeschlossen auch den am meisten typischen Erzeugnissen des deutschen Südens gegenübergetreten ist. Wir wollen in oller Kürze nur feststellen, daß in der knappen Einleitung und in den kurzen Erläuterungen zu den 76 Bildern dieses Bandes die wissenischaftlichen Erkenntnisse eines reichen Forscherlebens aufs kürzeste zusammengedrängt sind. Sie bringen dem Laien und dem mehr fachlich Interessierten die notwendigen Angaben, aus denen es möglich ist, den historischen Hintergrund, den Rang und die Bedeutung der einzelnen Bilder und Handschriften zu erkennen. Wir verzichten darauf, auch nur einzelne der Denkmäler aufzuzählen, die uns in den Abbildungen vor Augen geführt sind. Salzburg, Regens burg, die Reichenau, — die Hofschule Karls des Großen, die ottonischen Handschriften . . . wem diese Andeutungen nicht genügen, dem ist wohl nichts anderes anzuraten, als selbst zu diesem Buche zu greifen. Wir möchten das einem
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