Christliche Kunstblätter, 97. Jg., 1959, Heft 4

Cibulka führt den Grundriß der aitmährischen Kirche vor — mehr ist ja nicht vorhanden — und stellt ihn in Vergleich mit anderen möglichen Typen, wobei sich ergibt, daß er zu einer Gruppe gehört, die im iro-schottischen Bereich beheimatet ist und von dort über ganz West- und Mitteleuropa verbreitet wurde. Cibulka betrachtet Bretigny bei Soissons als die nächste Parallele, Modrö ist wohl dos östlichste korolingische Beispiel dieser Gruppe. Die Erklärung für diese Beobachtung findet Cibulka in der iro-schottischen Mission, deren Wirken im benachbar ten Bayern er zur Darstellung bringt, wobei auch die Christianisierung der Slawen in Mähren und Pannonien ausführlich untersucht wird. Aus der Fülle des vorgelegten Materials, in dem natürlich vor allem die Salzburger Ge schichtsquellen herangezogen werden, ist die Beobachtung hervorzuheben, daß eine Änderung der Begräbnisweise in Mähren um 800 zeitlich mit der ersten Christiani sierungsstufe zusammenfällt und damit auch ein Kausal zusammenhang wahrscheinlich ist. Diese erste Stufe der Christianisierung Mährens erklärt der Verfasser durch das Wirken iro-schottischer Mönche aus dem bayrischen Bereich, deren hauptsächlichste Wirksamkeit in Bayern mit der Agilolfingerzeit zu Ende geht, so daß demnach auch der Kirchengrundriß von Modrö in diese Zeit datiert wer den müsse, zumal später die Voraussetzungen fehlen. Er untersucht in diesem Zusammenhange auch die wenigen Beigaben der 36 Gräber, die sich um die Kirche finden, und sieht darin seinen Zeitansatz bestätigt. Die Bestimmung der Kirche kann nicht einwandfrei ge klärt werden, ihre befestigte Lage nahe der großen Sied lung Store Mesto-Altstadt läßt eine Eigenkirche, eventuell auch eine Art Klosterkirche vermuten, doch sind noch dem vorliegenden Material keine sicheren und endgültigen Schlüsse möglich. Der Verfasser befaßt sich dann ausführlich mit der Salz burger Mission im Gebiet von Neutra, Slowakei, und mit der Abgrenzung der Salzburger und Passauer Missions gebiete und kommt dabei nochmals —- und das scheint für unser Land besonders interessant — auf seine schon vorher ausgesprochene und begründete Meinung zurück, die Kirche von Modrö könne eine Leistung der von Krems münster ausgehenden Slawenmission gewesen sein. Er schreibt diesem Kloster wegen seiner östlichen Loge und wegen bestimmter historischer Verbindungen in dieser Beziehung eine besondere Rolle zu. Den Abschluß bildet ein Überblick über dos mährische Christentum um 850 und die damalige Loslösung vom Frankenreich, die auch eine Loslösung von der bayrischen Mission bedeutete und in weiterer Folge zur Tätigkeit der „Slawenapostel" Cyrill und Methodius führte. Cibulka vertritt in seiner Arbeit mit Nachdruck und sicherlich zu Recht die Ansicht, daß die frühe bayrische Mission die Voraussetzung gegeben habe für die spätere, so durchschlagende Wirksamkeit der genannten Slawen apostel, da diese einen weitgehend vorbereiteten Boden gefunden hoben. Wir stehen damit vor einer ähnlichen Situation, wie wir sie rund hundert Jahre früher im bay rischen Raum annehmen müssen, wo die ersten dichter fließenden Nachrichten ebenfalls mit den eigentlichen An fängen des Christentums nicht identisch sind. Es scheint sich in beiden Fällen zu zeigen, daß Mission und endgül tige Kirchenorganisation für die Frühzeit nicht ohne wei teres identifiziert werden dürfen, zumal in beiden Fällen wechselnde politische Verhältnisse und sich widerstrei tende geistliche Richtungen keineswegs einfache Verhält nisse geschaffen haben. Vielleicht ist man noch immer ge neigt, unter dem Einfluß unserer modernen Verhältnisse zu sehr zu generalisieren. Auch Cibulka ist vielleicht der Gefahr der Generalisie rung nicht immer ganz entgangen. In seinen Ausführungen zur irisch-angelsächsischen Kunst (S. 206 ff.; wir müssen uns freilich auf das Resümee S. 326f. stützen) kommt noch die Vorstellung von der bayrischen Buchmalerei zur Gel tung, wie sie Swarzenski oder vielmehr Zimmermann ge prägt hatten. Wir glauben diesem Bild bestimmte neue Aspekte geben zu können, die aus einer Untersuchung des Codex Millenorius von Kremsmünster gewonnen worden sind. Wenn diese soeben erschienene Untersuchung in die Diskussion aufgenommen sein wird, glauben wir, daß sich auch manche Akzente der von Cibulka vorgetragenen Dorstellun^j ändern könnten. Die neuen Einsichten werden allerdings für das Salzburger bzw. bayrisch-österreichische Kulturleben jener Zeit wichtiger sein als für das mährische. Wir sind der Überzeugung, daß die gründliche und kennt nisreiche Untersuchung Cibulkas die verdiente wissen schaftliche Anerkennung finden wird. Kurt Holter Neumüller-Holter, Der Codex Millenorius. Linz, 1959. In Kommission bei Verlag Hermann Böhlaus Nachf., GrazKöln. 195 Seiten, 75 Abbildungen, Quart. (= Forschungen zur Geschichte Oberösterreichs, herausgegeben vom Ober österreichischen Landesarchiv, Band 6.) Der „Codex Millenorius" des Stiftes Kremsmünster, ein Evangeliar aus der Zeit um 800, gehört neben dem wenig älteren Tassilokelch desselben Stiftes zu den ehrwürdig sten und wertvollsten Geschichtsdenkmälern Oberöster reichs. Seinen Nomen erhielt er schon vor bald 200 Jah ren, als im Jahre 1777 die Tausendjahrfeier des Stiftes be gangen wurde; der päpstliche Nuntius Garampi nannte damals das beim Gottesdienst zur Vorlesung verwendete Evangelienbuch bewundernd einen „Codex vere mille norius". Mit dem Schmuck der Handschrift hat sich die Kunstge schichte schon seit mehr als 100 Jahren beschäftigt. Der Text hingegen wurde bis in die neueste Zeit kaum be achtet, da man es mit dem ohnehin bekannten Text der Evangelien zu tun hatte. Erst der jetzige Bibliothekar des Stiftes, P. Dr. Willibrord N e u m ü 11 e r, nahm sich die Mühe, auch den Evan gelientext Wort für Wort zu überprüfen, um ihn mit anderen gleichzeitigen Handschriften zu vergleichen. Seine Studien sind im ersten Teil des Werkes enthalten, der den Titel führt „Der Codex Millenorius als Denkmal einer bay risch-österreichischen Vulgata-Rezension". Diese Textunter suchungen sind ein Musterbeispiel gewissenhafter Detail arbeit und führen zu dem im Untertitel ausgesprochenen Ergebnis, das der Textgeschichtsforschung bisher völlig unbekannt war. Von dieser eigenständigen Vulgato-Gruppe im Raum der späteren Kirchenprovinz Salzburg sind bis her drei Handschriften bekannt; neben dem Millenorius noch der „Cutbercht-Codex" der österreichischen Natio nalbibliothek, der in Salzburg geschrieben ist, sowie ein nur fragmentarisch erhaltenes Evangeliar, das teils in New York, teils in Nürnberg aufbewahrt wird und aus Mondsee stammt. Die Vorlagen für diese Textgruppe finden sich in Oberitalien. Die Ausführungen des textgeschichtlichen Teiles sind von höchstem Interesse für die Bibelwissenschaft. Der Ver fasser hat jedoch, um das Buch auch für den nicht aus schließlich fachlich interessierten Leser anregend zu ge stalten, nur ein Minimum dessen vorgelegt, was er in jahrzehntelangem Studium zusammengetragen hat. Denn zugleich mit dem Text des Millenorius hat er auch den Text des Cutbrecht und der New-York-Nürnberger-Fragmente bis ins letzte durchgearbeitet. Aus der paläographischen Untersuchung der Handschrift ergibt sich als wahrscheinliche Datierung „vor 800". Die Schrift- und Textuntersuchung führen weiterhin zu Überlegungen über die historische Umwelt des Mille norius, der in einer Zeit entstanden ist, in der sich die

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