Das ist an sich nichts neues. Aber hier steht dem großen Einzelkopf ein Bau gegenüber, der Blick in die Vierungs kuppel der Cappella Palatina in Palermo. Zweifellos, in solcher Maßstabsdiskrepanz liegt eine Hörte, aber auch — eine unerwartete Vergleichlichkeit: Ist nicht die Buch stabenschichtung an den Trompen der Kuppel des Baues, ihrem Stilgefühl nach, der Steinchenschichtung im Kronen diadem des Mosaiks völlig parallel? Oder die kubischen Massen, das Ausladen der Gesimse an Werken von ebenfalls sehr verschiedenem Maßtab (die Kanzel gegen über dem Turm auf Tf. 105 und 106), wird nicht auch hier der Sinn der Arte Romanica geradezu unmittelbar greif bar? Die Beispiele lassen sich leicht mehren. Dennoch wird man sich nicht mit Unrecht fragen müs sen, ob „Entdeckerfreuden" solcher Art im Subtilen und Subtilsten tatsächlich zur Erkenntnis dessen führen, was man unter „romanischem Stil" zu verstehen habe? Jene nun, die den Stil fast ausschließlich im architektonischen Schaffen, im Aneinanderreihen mehr oder minder verselbstöndigter Baukuben zu sehen erwarten, werden verwun dert, vielleicht enttäuscht sein, wenn die Auswahl das Baudenkmal als solches keineswegs bevorzugt oder gar dem malerischen Aspekt zuliebe hie und da auf ein Klar stellen der Bauform verzichtet. Bilder von Kirchen ent hält der Bond reichlich, ihre Fassaden, ihre Türme, ein drucksvolle Apsidengruppen, großartige Raumdurchblicke. Gelingt es uns aber diese Eindrücke zu einem die Bau form offenbarenden Bilderlebnis zusammenzubinden? Wie sollte bei den vielen Baudenkmälern, von denen entweder nur die Schauseite allein oder nur ein markanter Bauteil oder Raumabschnitt gezeigt wird, eine geschlos sene Vorstellung der architektonischen Gestalt entstehen können? Wieder dient unsere Fähigkeit, Verwandtes zu sammenzusehen (auch die geschickt in dieser Richtung abgefaßten „Bilderläuterungen") dazu, sich zum Äußeren von Bitonto etwa einen Innenraum noch Art von Bari zu ergänzen (Tf. 195 und 182). Gegenüber den anderen Künsten (Architektur, Plastik, Dekorative Kunst) tritt die Malerei im Italien jener Periode doch sehr zurück; so sind auch hier nur vier Beispiele der Wandmalerei aufgenommen. Man hätte wohl auch ande res erwarten dürfen; wahrscheinlich aber hatte die Aus wahl gerade Werke, die sonst oft abgebildet sind, mit leichterem Herzen übergangen. Das mag Denkmäler der Farbenkunst besonders betroffen haben, denn von der Blüte der Mosaikkunst in Süditalien, von dem Reichtum des goldleuchtenden Wandschmuckes von S. Marco in Venezia können die Beispiele wohl keinen auch nur ein führenden Eindruck vermitteln. Romanische Kunst ist aber vor allem eine „redende" Kunst. Sie redet in einer Eindringlichkeit und Unermüdlich keit, die auch heute nicht überhört, nicht mißverstanden werden kann und ihre Wirkung nie verfehlt, mögen auch die fremdartigen Bildworte im einzelnen uns dunkel, oft unenträtselt bleiben. Und davon redet sie immer und immer wieder: Von Tierdämonen als den anschaulichsten Bildern der Sünde, die das Seelentier (denn auch die Seele ist ja in ihrer Anfälligkeit für die Sünde gern als Tier dargestellt) in Gewalt haben, es zernagen; von der unvergleichlichen, von Gott gewollten Schönheit der pflanzlichen und ornamentalen Form; von der Großartig keit der Majestas, der Gottesvision selbst. So ist denn romanische Kunst, weil sie so eindringlich sein will, vor wiegend und im tiefsten Verstand vollplastische Kunst. Kaskaden von Steinskulpturen überschütten uns, wenn wir uns in das Wesen dieses Stiles einzuführen versuchen. Kaskaden herrlichster, eindrucksstarker Steinbildwerke sind es auch, die aus den Blättern des Schrollschen Buches hervorrauschen. Wieder und wieder schwillt der Akkord der „tönenden" Bildsprache zu der größten Lautstärke an. Tierdämonen haben das schwache Seelentier in ihrer Gewalt. An der Kanzel der Kirche auf der Isola S. Giulio in Lago d'Orta aus dem frühen 11. Jahrhundert (Tf. 28) hat diese Eindringlichkeit ihr monumentales Denkmal gefun den; sie klirrt im Federkleid des nagenden Greifen von Bari (ca. 1040, Tf. 188) wie ein Schuppenpanzer, schreit im Schmerze unter der Löwenpranke auf, da das Jahrhundert ende in schwellenden naturnahen Formen gipfelt (Tf. 185). Kaum könnte es eindrucksvollere Repräsentanten dieser Tierdämonik geben (der Löwe von Rovello Tf. 142)1 Kaskaden verschiedenartigster Steinmetzkünste — wir sagten es —■ überziehen alle betonten Bauteile, über ziehen als Symphonie von Strenge und Reichtum die Fas saden der Stauferzeit. Das Portal, der Zugang zu Gott, wird zum Zentrum für den symbolischen- Ideenreichtum. Denn nur durch das Kreuz (ältere Phase der Symbolik), nur durch Christus, durch seine Opfertat und sein Wirken auf Erden haben wir ja Zutritt zum ewigen Leben. Da wir den Türgriff in die Hand nehmen, entweichen wir in der Gnade Gottes den Tierdämonen (vgl. die Löwenköpfe an den Türringen). So zahlreich wie nirgends sonst haben sich die aus dem edlen Material der Bronze geschaffenen Türflügel gerade in Italien erhalten. Pisa und Verona nannten wir schon. Hier die ganze Fülle zu zeigen, konnte nicht Aufgabe der „Italia Romanica" sein. Für die Bronzetüren haben wir in den Aufnahmen Leisingers beinahe ein Corpus zu bester überschau. Es um faßt auch die Werke außerhalb Italiens. Nur vier der Denkmäler sind in Deutschland geschaffen: die Domflügel für Augsburg, Nowgorod, Gnesen und — alles übertref fend — die für Hildesheim. Hier ragen die Figuren mit ihren Köpfen vollplastisch aus der Fläche heraus. Das öffnet dem Lichtbildner mehrere Möglichkeiten; wie wird doch der etwas timide Verkündungsengel (Bildseite 29) in anderm Blickwinkel auf einmal drängend (Bildseite 31) oder der Kein nach dem Morde, wie verschieden ist sein Gesichtsausdruck (Bildseite 22, 26); freilich hat man fäl schende Übertreibungen (Abrutschen von Kind und Mutter, Bildseite 32) hiebei erst recht zu meiden. Zwölf Bronzetüren sind es, die in Italien erhalten sind. Das großartige Türwerk von Verona, dos Leisinger mit so viel Sorgfalt und Einfühlung auf den Bildseiten 58—87 wiedergibt, steht für sich am Ende des 11. Jahrhunderts. Einfach erscheinen daneben jene etwa gleichzeitigen, die in byzantinischer Niellotechnik in der kaiserlichen Hof manufaktur entstanden (Monte Bant Angelo, Amolfl, Atrani). Ihre Technik ahmen wenig später Roger in Canosa und Oderisi in Troia nach. Eine andere Gruppe in Süd italien stammt aus der Manufaktur des Barisanus von Trani (Trani 1175, Ravello 1179 und die Nebentüre von Monreale). Von den 72 Feldern der einst so berühmten Tür in Benevent ließ der letzte Krieg nur halbzerstörte Reste; eindrucksvoll und tragisch zugleich wirkt, was Lei singer davon zeigen kann. Aus gleicher Spätzeit sind die Werke des Bonanus in Monreale und vor ollem am Dom in Pisa, wo auch die geistige Konzeption im wesentlichen unverändert erhalten blieb. Am Tore noch geben uns Adam und Eva (in Lodi in seltener, ausdrucksstarker Trauer) das Geleit. Nun öffnen sich die Türflügel vor uns und wir treten in weite, dem Licht zugewendete, vom Licht bis an die begrenzende Mauer hin erhellte Räume. Wieder ist es die Form, die plastische Form, die unser Auge meist in erster Linie fes selt. Es kann nicht immer die hieratische Gewalt des thronenden Bischofs (San Zeno, Tf. 257) sein oder die mahnende Gestalt eines Engels; oft sind es die Köpfe allein mit bannendem Blick (Tf. 138ff.), die im Wandel der Ausdruckskraft die ganze Entwicklung von nachlebender Antike zu vorausgenommener Renaissance durchlaufen (Tf. 192, 23, 231 f., 207, 31) oder unheimlich lebensnahe
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