Christliche Kunstblätter, 97. Jg., 1959, Heft 4

Elementare, dos Schöpfungshafte in der Natur zum Aus druck bringt. Damit aber sind wir bei der in Novara nur andeutungs weise vertretenen dritten Gruppe und zugleich beim eigentlichen Motivkreis einer wie immer gearteten, reli giösen Malerei der Gegenwart gelandet. Von den Schöp fungskräften und -elementen, den geheimen Strukturen und Gestalttendenzen in der Natur, von ihrem geistigen Ursprung und Wesen im Gleichnis der analogen Kräfte und Werte in der Malerei bildhafte Kunde zu geben, ist der Auftrag. Nicht mehr die Darstellung von Details der Heilsgeschichte, von Symbol-Kompositionen oder litur gischen Belegen, sondern die unmittelbare bildnerische Verwirklichung von Heilsgeschehen, das wahrhafte Ge stalt- und damit das Geistwerden der bildnerischen Mittel ist das Ziel. Es geht also gar nicht mehr in erster Linie darum, zu zeigen, daß und wie „das Fleisch Wort ge worden" ist, sondern umgekehrt darum, zu bezeugen, im Bildnerischen vorzuleben, daß und wie das Fleisch zum Wort wird, also seinen geistigen Ursprung als „Bild" Erscheinung werden läßt. Neben einem Manessier liegen die zehn Glasfensterentwörfe von Bissiere, die plastischen Figurationen von Jean Arp, der farbige Klang einer Studie von Luigi Spazzapon und eine blaue Bahn auf dem dunklen und sonst nicht sehr wesentlichen Bilde von Ugo Copochini auf dieser Linie. Auch die seltsamen, wie aus Schrapnell oder Granatsplittern entstandenen Kreuzformen von Francesco Somoini haben ein wenig von solcher Heiligung der Materie an sich. Am stärksten jedoch wird die oben umrissene und sich wie von selber aus der Geschichte der sakralen Kunst und aus der durchaus nachprüfbaren Gehaltsdichte oder -leere des in Novara Gezeigten ergebende Schlußfolge rung durch zwei weitere Italiener, nämlich durch Giacomo Soffiantino und Renoto Laffranchi, bestätigt. Es ist dabei gar nicht sicher, daß Soffiantino seinen „Gekreuzigten" so aufgefaßt hat, wie er in seiner Malerei und als sie ersteht. Aber gerade das spricht für die Ausdruckskraft, die Sprachgewalt seiner malerischen Mittel. Wie da auf dem elwa 130 cm hohen und 80 cm breiten, auf ein gelb liches Braun gestellten Bilde in der Mitte ein dunklerer Strom noch oben, zieht, der teils ins Lichte ausstrahlt oder auch vom Lichten angestrahlt wird, wobei dos Licht erstens ganz unsymmetrisch angelegt ist und zweitens verschiedene Intensitäten aufweist, das ist mit all den übrigen Dingen, die sich in der Farbe „tun", voll eigen artiger Bindekraft. Sie gibt natürlich keine leicht auf nehmbaren Formeln, sondern sie fordert vielmehr auch vom Beschauer ein immer neues Begegnen, Aufnehmen und Antwortgeben. Renoto Laffranchi ist selber Priester, was seinem Tun noch mehr Gewicht verleiht. Zwei figürliche Arbeiten sind wahrscheinlich Auftragswerke und belanglos. Eine „Pas sion Christi" aber, die man unfigurativ nennen kann, weil eigentlich die ganze „Form" von der Begegnung zweier Blau kommt, die nur noch von einem schwarzen, an eine Dornenkrone erinnernden, fast graphischen Gebilde zusammengeschlossen wird, ist schon eine starke Arbeit sozusagen aus dem Bildnerischen selbst heraus. Erst recht überzeugt dann ein Aquarell, das sich „Engel" nennt, und auf dem sich keinerlei Assoziation, keinerlei figürlicher oder symbolischer Bezug mehr findet. Da schwingen nur auf weißem Grund ganz zarte und sehr reine farbige Spannungsfelder zueinander, wodurch man tatsächlich die Farbmaterie an sich zum Geist befreit erlebt. So ober macht die Ausstellung als ganze klar, daß weder Historisierung noch Modernisierung der Form die Bedeutung der alten Darstellungsmotive retten oder gar erneuern kann. Die in ihrem geistigen Ursprungscharakter freigelegte und zur Begegnung mit dem Menschengeiste bereifgestellte Schöpfung harrt unseres bildnerischen Dienstes an ihrem Gestaltvollzug. Hier sind — im Sinne unserer eigentlichen Situation — der „Christ" und der „Widersacher" aufzusuchen und zu meiden, im Bilde zu vergegenwärtigen oder eben zu bannen. Denn einzig im Gehorsam gegen die zunächst nur usurpierte, aber eben hierdurch zum Schicksal erweckte Schöpfung vollzieht sich das lebendige Christsein unserer Tage und eine Kunst, die dem „Sakralen", das Wort nun weit über einen Kirchenraum hinaus verstanden, wieder eine leitbildhafte Macht verleiht. KRITIK Heinrich Decker, Italia Romanica. 333 Seiten mit 263 Bil dern nach Aufnahmen des Verfassers. Verlag Anton Schroll, Wien, 1959. Hermann Leisinger, Romanische Bronze-Kirchentüren im mittelalterlichen Europa. 160 ganzseitige Abbildungen, alle (außer jene von den Türen in Nowgorod und Gnesen) noch Aufnahmen des Verfassers. Europa Verlag, Zürich, 1959. Anregend zu sein, Anregungen aus neuen unerwarteten Blickpunkten her zu vermitteln, war wohl die Absicht der beiden einander ergänzenden Bücher, die hier gemeinsam besprochen werden sollen. Besonders gilt dies vom Bande Italia Romanica. Denn wirklich, wäre es nicht so, müßte man nicht besorgen, Eulen nach Athen oder Tauben auf den Markusplatz nach Venedig zu tragen, wenn man der Fülle der Italienbücher noch ein weiteres anfügt? Der Verlag Schroll wußte genau, was er zu bieten haben würde, wenn Heinrich Decker sich mit dieser Aufgabe be schäftigt. Längst schon genügt es nicht mehr, in blen denden Lichtbildern, in blendender Aufmachung Bekann tes oder Unbekanntes dem Beschauer irgendwie unerwar tet vor Augen zu bringen. Die Art der Zusammenstellung ist heute nicht minder entscheidend als Fülle an Material. Die Ordnung der Fülle soll nicht nur zum ästhetischen, sie soll unmerklich zum lehrreichen Erleben werden. Im Blättern wird Entdeckerfreude wach. Da können kleine, fast nebensächliche Einzelheiten zu sprechen beginnen. Der Ausschnitt aus einem Mosaik der Martorana mit dem Kopf des Gekrönten (Tf. 154) zeigt — uns auch sonst aus Mosaikpublikationen geläufig — die Technik der Steinsetzung; wie die Umrißzeichnung in be gleitenden, schmiegsamen Linien betont wird (an der Hand rechts etwa), wie in der Krone Steinfugen über konzen trische Bogenlinien des Diadems in der Mitte ausstrahlen.

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