Jorg Lampe Irrtümer und Möglichkeiten — Gedanken zur „IV. Internationalen sakraler Kunst" in Novara Die „IV. Internazionale di Arte Sacra" in Novaro, die der rührigen Initiative des Bischofs von Novora, Möns. Gillo Vincenzo Gremigni, zu verdonkeni ist und in dem schönen hof- und säulenganggeschmückten Palazzo Broletto aus dem 18. Jahrhundert ihren Schauplatz gefunden hat, wirft eine Reihe wichtiger Fragen auf. Sie macht sie aber zugleich auch auf eine fast unfreiwillige Weise deut lich, indem das Dargebotene in seiner Widersprüchlich keit dazu zwingt, sich eben über den Charakter dieser Widersprüchlichkeit und damit natürlich auch über die Kernfrage einer unserer Zeit innerlich gemäßen „Arte Sacra" klar zu werden. Im wesentlichen läßt die Ausstellung drei Richtungen der Kunstgebarung unterscheiden. Die eine, die gut die Hälfte der Ausstellungsstücke umfaßt, wobei hier nur von Male rei, Graphik und Plastik die Rede sein soll, befleißigt sich der historisierenden Gestaltungsweise. Man begegnet also in der Hauptsache an Romanik, Gotik, Renaissance, Barock und an den byzantinischen Stil angelehnten und teils gut, teils weniger gut gemachten Werken, die damit ganz offenkundig in einer anderen als der gegenwärtigen Zeit Zuhause sind oder doch zuhouse zu sein behaupten. Was ober geht hier wirklich vor? Es findet in allen diesen Fällen ein glattes Ausweichen, wenn nicht gor eine Flucht statt, wobei es verschiedene Motive geben kann. Zum Teil sehen, denken und emp finden die betreffenden Maler und vor allem Plastiker, soweit sie wirklich christlich-religiös sind oder es doch aus Berufsgründen zu sein beweisen möchten, das Reli giöse und Sakrale tatsächlich noch an jene Stile als die gleichsam legitimen Stile der Kirchenkunst gebunden. Die Ewigkeit der religiösen Bildgehalte verlange auch einen beständigen Stil des Ausdrucks, wobei man eben unter den vier „legitimen" religiösen Stilen die Auswahl habe, sich für den dem eigenen Temperament angemessenen zu entscheiden. Mit größerer Wahrscheinlichkeit und in der Mehrzahl der Fälle aber findet wohl die Anlehnung an die besag ten Stile deshalb statt, weil die einschlägigen Maler und Plastiker von sich aus keine eigene erfüllte Gestalt zu bilden imstande sind, so daß sie eben bei aen als erfüllt bewährten Stilen ihre Zuflucht nehmen müssen. Gerechtig keit verlangt jedoch, ihnen zuzubilligen, daß sie sich in der Tat den überlieferten Motivkreis christlicher Kunst thematik nicht modern, also etwa kubistisch, expressioni stisch, konstruktivistisch oder gar tachistisch behandelt denken und vorstellen können. Das ist eine Auffassung, die, wie wir noch sehen werden, gor nicht einmal so ohne weiteres von der Hand zu weisen ist, wenn sie auch auf einer irrigen Voraussetzung zu beruhen scheint. Denn ist die Wahrheit auch letztlich unveränderlich und ewig, was niemand zu bezweifeln wagen kann, so bietet sie sich doch dem Menschen je nach den veränderten Be dingungen seiner Existenz auch immer wieder unter neuen, gewandelten Aspekten dar. Wer also diesen Wandel nicht wahrnimmt, der hat auch den seiner Existenz nicht wahr genommen und hängt damit in der Luft. Das aber be deutet zugleich, daß er sich auch gar nicht mehr wirklich zum Ewigen, sondern nur noch zu einem früheren Aspekt von ihm verhält. Er sitzt gewissermaßen in der Formel fest. Dos aber ist für die Mehrzahl der in Novara ausgestell ten Arbeiten charakteristisch, woran auch die Zustimmung der Mehrzahl der Betrachter nichts ändern kann, stehen diese doch selber außerhalb der eigenen Existenz und Situation, indem sie in der Hauptsache ein bloß äußer liches Dasein fristen. Die zweite große Werkgruppe in Novara — der Kata log umfaßt über 300 Nummern — gehört dem Bereich der sogenannten modernen Kunst an. Hier also werden die überlieferten Motive im Sinne irgendeines der „Ismen" des 20. Jahrhunderts übersetzt und dargestellt, was, wie schon angedeutet, nicht einmal so ganz zu Unrecht als unmöglich gilt. Um hier klar zu sehen, muß man jedoch, genau so wie bei der „Wahrheit" deren unveränderliche Ewigkeit vom zeitgebunden wandelbaren Aspekt, zwischen dem ewigen Thema des Christlich-Religiösen und seinen durchaus wandelbaren Motiv-Kristallisationen unterschei den. Konkret: Die Darstellung und Bebilderung der Heils geschichte war zweifellos die Aufgabe einer spezifisch darstellenden Gestaltungsweise, wie sie zumindest von der Gotik an bis ins Barock hinein, also von der frommen Andacht bis zur triumphalen Durchherrlichung Gültigkeit besaß. Was später kam, war bestenfalls geglücktes Epigonentum. Die sogenannte Moderne ober steht auf einem anderen Boden, der mit anderen Aspekten des Ewigen auch andere Motive zeitigt. In ihr geht es nicht mehr um die Darstellung . des visuell Gegebenen und einer analogen Vorstellungswelt, sondern um die innere Ergründung und Aufschlüsselung der Welt, der Kreatur schlechthin. Neben dieser über alles Maß hinaus dramatischen Aktion, neben diesem Ringen zwischen Abgrund und Er leuchtung ist die bildliche Erzählung irgendwelcher Szenen und Vorkommnisse, und seien es solche aus der Heils geschichte, ohne bindekräftige Wirklichkeit und nur noch tröstende oder verzierende Randerscheinung. Der Dar stellung, gleichgültig welcher Art, wurde ganz einfach der Boden einer intakt gebliebenen und gelassenen Natur unter den Füßen weggezogen. Auf Grund ihrer Mobilisie rung durch die Wissenschaft wurde vielmehr diese gleiche Natur sozusagen aus einer sicheren Plattform zu einem weitgehend autonomen Kraftfeld und Mitakteur bei der Gestaltung unserer gesamten Existenz. Das große Thema des Ewigen trat damit in eine neue Motiven-Zone ein. Das „Heil" kann kaum noch auf der Ebene der sich gleichsam im humanen und „supra humanen" Raum ereignenden Heils- und Heiligengeschichte gewonnen oder doch verbindlich angetragen werden. Es gilt vielmehr, es vom Schöpfungscharakter in der mobili sierten Natur her zu finden, aufzugreifen, sichtbar zu machen und es derart zur gleichnishaft verbindlichen Gestalt zu bilden. Dann erst und dann allein gewinnt die bildnerische Moderne wieder eine religiöse Aussage-, Durchschlags- und Verpfiichtungskraft. Damit beispielsweise, daß Bruno Saetti oder Feiice Cosorati ihre Glasfensterentwürfe mit modern aufgezo genen Szenenbildern füllen, daß Gino Severini seinen „Kreuzweg" auf Grund kubistischer Formerfahrung glie dert oder Caroli seine „Madonna der Oliven" bunt und eruptiv hinausschreit, ist nichts getan. Gerade ein gegen ständlicher Maler wie Georges Rouoult straft ein solches Arrangieren Lügen, indem die farbige Gestaltung seiner „Biblischen Landschaft" schon nichts eigentlich „Darstelle risches" mehr an sich hat, sondern eigentlich ßereits das
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