Christliche Kunstblätter, 97. Jg., 1959, Heft 4

der ehemaligen Friedhofskirche in Vicenza aufgedeckt; neben diesem auch im Frühmittelalter mehrfach umgebau ten Denkmal gab uns die unterirdische Pfeilerallee der ältesten Großbauten unter dem Dom von Vicenza zu viel fachen Diskussionen Anlaß; dabei spielten auch viele zur Geschichte der frühesten Bauplastik wichtige Fundstücke hier wie im Museum und in den Kirchen der Umgebung eine nicht unbedeutende Rolle. Nach diesem Tagesausflug in das antike und früh mittelalterliche Vicenza waren wir nach Verona zurückge kehrt. Doch wären uns die Denkmäler der Stadt nicht so farbig geworden, hätten wir nicht zugleich die Kirchen rundum mit ihrer Ornamentik und den Flechtbandsteinen gesehen, hätten wir nicht zugleich das Land in seiner Schönheit, seiner Fülle und — als wir es von den Berges höhen über Valpolicella geradezu wie ein VogelschauRelief unter uns hatten —- in seiner besonderen Verkehrs bedeutung miterleben können. Der kreuzförmige Grundriß von S. Pietro in Volle bei Gazzo Veronese mit seinem im unteren Teile schon vor 807 errichteten Aufbau über der Vierung und der verwandte, wenn auch viel einfachere Grundriß von S. Zeno in Bardolino knüpfen offenbar an frühchristliche Vorbilder nach Art von Teurnio an und sie mögen auch in Noricum unter den bairischen Landkirchen Parallelen gehabt haben. Noch bemerkenswerter wird das zweite Kirchlein S. Severo in Bardolino, dessen Wände einen reichen Apokalypse-Zyklus frühromanischer Zeit tragen; vielleicht aber ist nicht nur die Malerei, sondern die Hochwand samt der Arkade selbst erst Zutat durch den jüngeren Umbau, so daß es sein könnte, daß S. Se vero in seiner Urform zu den in Italien seltenen Beispie len vorromanischer Saalkirchen mit drei Ostapsiden ge hören würde, übrigens bot ja der Tag mit den Landkir chen am Ufer des strahlend blauen Gardasees, mit den weinumkränzten Berghängen der Valpolicella zutiefst er greifende Eindrücke an landschaftlicher Schönheit. Und dennoch steigerten sich die Eindrücke weiter und es gab am Mittwoch in schon abendlichem Dämmern die ganz große Überraschung; wir fuhren in ein verträum tes Dorf hoch oberhalb Verona und stiegen neben der Kirche in eine Grotte herab. Es war ein merkwürdiger, völlig dunkler unterirdischer Raum mit Apsiden an beiden Enden, wodurch er an die sogenannte Zisterne der hoch romanischen Burg Lockenhaus im Burgenland gemahnt. Hier ober ist der Raum zweifellos ein heidnisches Quel lenheiligtum; die Wasser fließen noch heute quer durch den Mittelraum; an den Wänden sahen wir recht gut er haltene Malerei. Das aber war es, was uns gänzlich un erwartet kam; glücklich und traumhaft standen wir vor faszinierenden Gestalten der paleochristianen Zeit. Die Entdeckung der Martinskirche in Linz hatte seiner zeit den Typus kleiner fürstlicher Oratorien des 8. Jahr hunderts in den Brennpunkt unserer Kongresse gestellt und hatte zugleich auch erneut auf das Problem der Drei nischen-Ostwand gewiesen; von hier aus war denn auch der Weg der Entwicklung von etwa 800 bis 1000 klar überschaubar geworden. In Sirmione steht über den Ruinen des zur großartigen kaiserzeitlichen Palastarchitektur aus gestalteten Landhauses des Catull auf der höchsten Er hebung die Kirche S. Pietro in Mavino, die sich gleich als markanter Vertreter der Dreiapsiden-Saalkirche der Spät form um 1000 zu erkennen gibt. Nicht weit davon ober sind Ausgrabungen im Gange, welche Reste einer zweiten Kirche zutage brachten; man fand S. Salvatore; auch dieser Bau gehört zum gleichen Sondertypus, doch aus der älteren Phase mit Resten an Wandmalerei, eine wich tige Stütze für die Datierung unserer Bauten nördlich des Alpenkammes. In Brescia steht — neben- der aufsehenerregenden Ent deckung des republikanischen unter dem kaiserlichen Kapitol, neben den Schätzen und Baudenkmälern im alten Dom und oben auf dem Kastell — jenes grandiose Denk mal der Kontinuität von Antike und Frühchristentum bis in die neueste Zeit: San Salvatore. Hier ist nun einer jener Felle, wo die Baugeschichte durch mühevolle, langjährige Untersuchung offen vor den Augen des forschenden Be schauers ausgebreitet liegt, damit er sie gleichsam wie von einem sorgfältig präparierten, unter tiefeingreifenden Geschehnissen zerfurchten Skelett ablesen möge. Sicher lich ist es nicht zuviel gesagt, daß dieses Denkmal dem Kongreß seinen besonderen Charakter gab und auch die Themen der Diskussion bestimmt hat. Aus der Fülle der Stuckfragmente, teils in situ, teils aufgelesen aus dem Bau schutt, läßt sich das meiste bereits den einzelnen Bau perioden innerhalb von fünf Jahrhunderten zuteilen. Ähnlich wie beim Virgildom in Salzburg hat auch hier der Einbau einer Memorie und der darauf folgende roma nische Umbau zur Krypta die früheste Baugeschichte über schichtet und verunklärt. Geradezu zum Duell mit gei stigen Klingen führte der leidenschaftlich vorgetragene Widerstreit der Meinungen über die Datierung der sehr bedeutenden Reste an Wandmalerei. So ist in San Sal vatore die Untersuchung noch in vollem Gange und es werden noch Jahre mit zweifellos überraschenden Neu erkenntnissen folgen. Die Veröffentlichung oll dessen aber, sobald sie abgeschlossen vorliegt, wird sicherlich die Grundlegung für unsere Forschung über die letzten Jahr zehnte der Langobardenzeit und über die Baukunst unter Desiderius und seiner Gattin, der Königin Ansa, sein. Der Streit um die Datierung hier wird zugleich für ein an deres hochberühmtes Denkmal, für die feierlich schreiten den Stuckfiguren und die kürzlich aufgefundenen Wand malereien im Tempietto Langobardo in Cividale, zur Ent scheidung werden. Der Abschluß des Kongresses führte, wie es nun schon fast Brauch wurde, zu anders gearteten Erlebnissen, die sich dennoch als Abrundung des Gesamtbildes den voran gegangenen Tagen auf dos glücklichste anreihten. Neben den schon an sich beachtlichen frühen und gleichsam aus den Felsen herauswachsenden frühen Bauten von Breno und Capodiponte sahen wir im Hochgebirgstal des Valcamon einige Proben der hunderte an kulturgeschichtlich so aufschlußreichen Felsritzungen aus dem ersten vor christlichen Jahrtausend mit Darstellungen von Jagd, Viehhaltung, Feldbau und den auf Pfählen errichteten Wohnstätten der Urbewohner. Während des Kongresses in Verona wurde dann auch beschlossen, daß als nächste die Spanier die Forscher des Frühmittelalters in ihr Land einladen werden.

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