Christliche Kunstblätter, 97. Jg., 1959, Heft 4

deren Vorderseite ganz mit Edelsteinen und Perlen besetzt ist. Auf der Rückseite ist dos göttliche Lamm dargestellt, umgeben von den zwölf Aposteln und den Evangelistensymbolen. Die Inschrift auf den Schmal seiten des Kreuzes enthält folgenden Text: „Seht, das Kreuz des Herrn, vor dem der Feind fliehen möge. Vor ihm mögen auch dir, Konrad, alle Widersacher weichen." Die siegbringende Kraft des Kreuzes könnte wohl kaum besser zum Ausdruck gebracht werden. Man darf sie in diesem Fall aber wohl kaum mit dem Symbol des Kreuzes allein in Verbindung bringen in dem Sinne etwa, wie in der Schlacht an der milvischen Brücke der Sieg Konstantins an das Zeichen des Kreuzes geheftet war. Hier ist das Kreuz nichts anderes als ein Reliquiar, dessen Form deutlich auf den Inhalt hinweisen soll. Die Kraft geht von den Reliquien selbst aus. Das Reichskreuz stellt in dieser Hinsicht keine Son derleistung dar. Es gibt zahlreiche Werke ähnlicher Zweckbestimmung, die sogenannten Staurothe ken. Dabei handelt es sich um einen bestimmten Typus eines Reliquiars für Kreuzpartikeln, bei dem die kreuzförmige Reliquie mit ihrer Fassung — so daß man sie auch isoliert ohne die größere Reliquien kapsel tragen konnte, genau so wie die beiden Reli quien des Reichskreuzes auch auf einem Lanzenschaft getragen werden konnten, freilich auch hier in einer kostbaren, mit Edelsteinen besetzten Umhüllung — in einer tafelförmigen Platte entsprechend vertieft ein gebettet war. Darüber legte sich ein Schiebedeckel, der das wertvolle Heiligtum dem Auge des frommen Betrachters verschloß. Diese Staurotheken wurden auch im Abendland übernommen. Eine der schönsten ließ Kaiser Heinrich II. anfertigen und schenkte sie dem Bamberger Dom. Mit anderen Werken dieses Schatz bestandes kam sie im frühen 19. Jahrhundert in die Schatzkammer der Münchner Residenz. Freilich ist sie nicht unverändert erhalten geblieben. Denn im späten Mittelalter, als man die Reliquien sehen und durch Betrachtung und Berührung verehren wollte, wurde das alte Reliquiar zu einem Ostensorium umgebaut, indem man in den Deckel des Behälters ein Fenster schnitt und alles auf diese Sichtbarmachung hin an ordnete. Es ist kein Zufall, daß diese bedeutendste Staurothek des hohen Mittelalters im Abendland auf einen kaiserlichen Auftrag hin geschaffen wurde. Da für ist letztlich entscheidend, daß in Byzanz der kaiser liche Hof mehrere derartige Kreuzbehälter besaß, die bei feierlichen Prozessionen dem Kaiser vorangetragen wurden. Das gläubige Volk sah im Besitz der Pas sionsreliquien Christi dos Unterpfand dafür, daß der Kaiser rechtmäßig herrsche und in seiner Hand die Gewalt des göttlichen Sieges läge. Ist es da nicht selbstverständlich, daß der abendländische Kaiser ähnliche Zeremonien veranstaltete und dem eben genannten Kaiser Heinrich II. bei seinem Auszug aus Regensburg, als er sich auf die Romfahrt begab. ebenfalls die Reichsreliquien vorausgetragen wurden? Wenn Kaiser Heinrich seine Lieblingsstiftung Bamberg mit einer Staurothek ausstattete, so ist darin nicht ein zufälliges Geschenk oder irgend eine Form eines Kreuzreliquiars unter vielen anderen zu verstehen, sondern einfochhin dos typische kaiserliche Reliquiar. Man kann in diesem Falle also geradezu von einer programmatischen Schenkung des Kaisers sprechen. Es ist daher auch kein Zufall, daß zumindest die schön sten Staurotheken Stiftungen der kaiserlichen Familie oder hoher Hofbeamter sind. Sie hängen eben an scheinend intensiv mit der Kaiserliturgie zusammen. Das Reichskreuz steht mit seinem Typus in einer langen Tradition. Schon aus karolingischer Zeit sind uns sogenannte Gemmenkreuze überliefert und wenigstens zum Teil auch erhalten, die die Vorder seite nur mit Edelsteinen reich schmücken. Bildliche Darstellungen wurden, falls sie vorgesehen waren, immer auf der Hinterseite angebracht. Das prunk vollste dieser Kreuze war wohl das von St. Denis, dos wenigstens in einem Gemälde des 15. Jahrhunderts detailgetreu wiedergegeben ist. Vielleicht gehen die Gemmenkreuze auf das Kreuz zurück, das spätestens seit Kaiser Theodosius II. in Jerusalem zwischen der Grabeskirche und der Anastasias auf Golgatha stand. An derartige Werke schloß sich das Reichskreuz an. Es steht ober auch in einer weiter reichenden Entwick lung, die mehrere derartige Reliquienkreuze geschaf fen hat. Es sei hier an eines der schönsten und zu Unrecht am wenigsten bekannten erinnert, an das mächtige Reliquienkreuz aus St. Blasien im Schwarzwald, das heute dem Benediktinerstift St. Paul im Lavanttal gehört (Abb. 22). Es entspricht dem Typus des Reichs kreuzes. Im Inneren des Holzkernes birgt es zahl reiche Heiligenreliquien. Die Kreuzpartikel, die sepa rat gefaßt war, um ebenso wie bei ollen anderen Kreuzreliquioren auch ohne das schwere und bei Pro zessionen und ähnlichen Anlässen doch kaum getra gene Reliquiar liturgisch verwendet zu werden, ist heute so gefaßt, daß sie auch frei sichtbar ist. Es handelt sich aber auch hier um eine spätere, dem ge änderten Glaubensleben entsprechende Veränderung. Das große Kreuz ist eine Stiftung der ungarischen Königin Adelheid. Sie war die Tochter des Gegen königs Rudolf. Es zeichnet sich also auch hier die Ver bindung des Imperiums zum heiligen Gegenstand ab. Ein später Nachfahre dieser „kaiserlichen" Reli quienkreuze ist auch das Hausheiligtum des Stiftes Melk, eine crux gemmata mit einer Kreuzpartikel. Die Rückseite zeigt das Bild des Gekreuzigten, während die Vorderseite mit mächtigen Edelsteinen in prunk vollen Hochfassungen geschmückt ist. Während das Kreuz in seiner heutigen Gestalt eine Wiener Arbeit aus der Zeit Herzog Rudolfs des Stifters ist, dessen Ehrgeiz ihn ja immer wieder zur Rivalität mit seinem kaiserlichen Schwiegervater Karl IV. entflammte, sind

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