Christliche Kunstblätter, 97. Jg., 1959, Heft 4

Kronenkreuz ist nicht ursprünglich. Es ersetzt vielmehr vier Aufsätze über der Stirn, dem Nacken und den Schläfen in Form von Lilienpalmetten. Diese Teile der Krone entwickelten sich aus den Formen der Kopf bedeckung der römischen Imperatoren: aus dem Lor beerkranz, dem ständig getragenen Siegeszeichen, und dem kaiserlichen Helm als Abzeichen des höchsten Feldherrn. Diese beiden Kopfbedeckungen wurden ursprünglich zu zwei verschiedenen Kostümen getra gen, der kaiserlichen Prunkgewandung und der Prunkrüstung. Beide Formen lassen sich auf Abbil dungen in Byzanz häufig nachweisen. In gleicher Art sind die karolingischen Kaiser dargestellt. Erst mit den ottonischen Herrschern tritt eine Änderung dadurch ein, daß die beiden Repräsentativdarstellungen zu einer vereint wurden. Aus dieser Zeit stammt ja auch die Reichskrone. Der Lorbeerkranz nahm seit dem 4. Jahrhundert in zunehmendem Maße abstrakte For men an und wurde schließlich zu einem Reif aus zahl reichen Platten geometrisch einfacher Form. Vom kaiserlichen Helm wurden die beiden kennzeichnend sten Teile auf die Krone übernommen: der Helmbügel und der Helmriemen, aus dem sich die Pendilien ent wickelten. Diese Form der Krone wurde mit einem theologischen Programm verbunden, das die konkrete Gestalt der Krone weitgehend bestimmt. Das nahezu gleichseitige Achteck, das den Grundriß der Krone bildet, galt als ein Sinnbild für das himmlische Jeru salem. So ist es unter anderem auf dem berühmten Kronleuchter des Aachener Münsters zu lesen, der in seiner ochteckigen Form Abbild des ewigen Gottes reiches sein sollte. Es war Symbol der Vollendung und daher in weiterer Folge der Ewigkeit. Aber auch die Struktur der Platten selbst wird von einem genau durchdachten Programm bestimmt. Zwölf Edelsteine auf der Stirnplatte der Krone sind, wie sich auch aus schriftlichen Quellen nachweisen läßt, Sinnbilder der zwölf Apostel. Ihnen stehen auf der Nackenplatte zwölf Edelsteine als Sinnbilder der zwölf Stämme Israels gegenüber. So bilden sie zusammen ein Bild der \Veltzeit im christlichen Sinn — Neuer und Alter Bund. Die vier Bilder der Zwischenplatten sind als wesentliche Eigenschaften eines idealen Herrschers zu deuten. Es sind die gleichen Wesenszüge, die in den Krönungsgebeten auf den neuen Herrscher herabge schworen werden: Weisheit, Gerechtigkeit und könig liche Demut; er muß einmal für seine Verwaltung Re chenschaft ablegen. Zu diesen drei Tugenden gesellt sich der Wunsch nach langem Leben. Denn die lange Regierung eines gerechten Herrschers ist segensreich. In die Krone ist eine Haube eingesetzt, die der bischöflichen Mitra entspricht. Dem Kaiser wurden ja bei der römischen Krönung bischöfliche Gewänder verliehen. Darin spiegelt sich einerseits deutlich die Anschauung des Kaisertums als eines „Bischofs des Äußeren", die Gleichstellung mit dem Amt der Apo stel — woran auch die zwölf Edelsteine an der Stirn platte der Reichskrone gemahnen. Die Durchdringung des beschöflichen und des kaiserlichen Ornates ist freilich noch älter und noch intensiver: Beide nämlich wurzeln in der spätrömischen herrscherlichen Beklei dung, die vom alten Kaisertum auch auf die hohen kirchlichen Funktionäre überging und nun in rück läufiger Bewegung von der Kirche wieder als Sonder recht dem Kaiser als besondere Auszeichnung ver liehen wurden. Es ist also in der Krone des Heiligen Römischen Reiches die Durchdringung des imperialen mit dem sacerdotalen Gedanken in einer Deutlichkeit und in einer monumentalen Aussagekraft gestaltet wie viel leicht sonst an keinem weiteren Denkmal mehr. Wenn uns nichts anderes an kaiserlichen Denkmalen aus dem hohen Mittelalter erhalten geblieben wäre, so könnte man dessen Wesenszüge an diesem einen, einzigartigen Denkmal der Goldschmiedekunst mit aller Klarheit ablesen. Der Verbindung des Kaisers mit Christus entspricht es auch, daß der Imperator über einen einzigartigen Reliquienschatz verfügte. Es sind die Reliquien der Passion Christi, die den Charakter dieses Bestandes bestimmen: Die Heilige Lanze und die große Kreuz partikel, die zweitgrößte der abendländischen Chri stenheit. Die Heilige Lanze enthält im Lanzenblatt ein ornamental geschmiedetes Eisenstück, das angeblich aus einem der Kreuznägel Christi gearbeitet wurde. Beides sind Zeichen des Sieges Christi am Kreuz, der Sieg, der ihm die Weltherrschaft brachte und die Welt überwindet. So ist der Sieg dem Kaiser stets sicher. Jeder seiner Siege ist ein Teil des Gesamtsieges Christi. Seine Passionsreliquien aber sind Unterpfand für den kaiserlichen Sieg. In ihnen liegt die Kraft, die Macht der Feinde des Gottesreiches zu brechen. Daher hängen diese Reliquien innigst mit dem Kaisertum des hohen Mittelalters zusammen. Man nahm sie im Abendland genauso wie in Byzanz in entscheidende Schlachten mit. So hat Otto der Große selbst in der entscheidenden Schlacht auf dem Lechfelde, in der die Ungarngefahr gebannt und die Ostgrenze des Reiches auf Jahrhunderte hinaus gesichert wurde, die Heilige Lanze dem christlichen Heer vorangetragen. Die großen Reliquien Christi aber waren zu heilig, zu ehrfurchtgebietend, als daß man sie nackt und bloß gezeigt hätte. Etwas vom „tremendum" der Majestät Christi wohnte ja in ihnen. Daher hat man sie im Mittelalter in Reliquiare gelegt, deren Form auf den heiligen Inhalt hindeutete, ohne ihn selbst sichtbar werden zu lassen. Für die beiden großen Reliquien des Reiches wurde im ersten Drittel des 11. Jahrhun derts, zur Zeit der Kaiser Heinrichs II. und Konrads II., das nahezu einen Meter hohe Reichskreuz ge schaffen (Abb. 24). In den massiven Holzkern des Kreuzes kann man die beiden Reliquien einlegen. Die entsprechenden Vertiefungen sind noch deutlich sicht bar. Der Eichenholzkern ist mit Goldplatten umkleidet.

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