hens, von Byzanz übernominen. In den Figuren und dem ganzen Bild das Entscheidende und Bedeutsame klar herauszustellen, das hat ein oltonischer Künstler hier von Byzanz gelernt. Er geht aber in der Kon zentration des Bildes auf das Ereignis wesentlich über sein anzunehmendes Vorbild hinaus. In seinem Werk geschieht die Verkündigung nicht nur in einem Raum zwischen den Figuren, sondern Raum und Figuren sind Bildwerdung des Geschehens. Der Hintergrund bleibt nicht eine Folie, die die Figuren heraushebt, sondern er erscheint wie in eine Flüssigkeit getaucht, die vom Geschehen mit bewegt wird: selbst die gleichsam auf gelösten lila, grün, gelb und weißen Gebäude und die Wasserpflanzen ähnlichen Gewächse unten, be sonders aber der Hügel, der flutend beide Gestalten umfängt und dessen innere Modulierung vor der Gebärde des Engels zurückweicht, Maria wie eine grüne Flamme umgibt. In der späteren Kölner Schule wird aus diesem Hügel ein ganz ungegenständliches Fluidum, das den Gebärden folgt"). Wieder gibt es in dem ottonischen Werk erfüllte Distanz, hier nicht nur als Umkreis der einzelnen Figur, sondern zwischen den Figuren, einen Raum als Gefäß für den Gehalt des Ereignisses. Der Vorgang ist nicht nur als etwas Vorübergehendes geschildert, wie in spätantik-frühbyzantinischen Streifenbildern, sondern der bedeutsamen Szene ist ein gerahmtes Bild auf einer eigenen Seite eingeräumt. Auch dafür konnte Byzanz Hilfe geben durch Kompositionsformeln des Ganzseitenbildes, das der Osten in der gleichen frühmittelalterlichen Epoche wie das Abendland, aber diesem um einen Schritt zeitlich voraus, ausgebildet hatte") — hier also eine Hügelstadt über den beiden, in verschiedener Weise mit dem Rahmen verbundenen Gestalten. Solche Kompositionsformel ist eine Voraus setzung für die Bildv/erdung des Vorgangs, die wir hier sehen, freilich nicht mehr. Erst das ottonische Bild lebt ganz aus den Kräften des Geschehens und kennt keine selbständige Dingwelt. Die Bewegung der Fi guren und des Grundes fängt sich hier gleichsam im gerahmten Bild und gewinnt so überzeitliche Bedeut samkeit. Diese Verwandlung von Figuren und Dingen in Faktoren des Geschehens, von Geschehen in Bild konnte nur aus der Dynamik abendländischer Kunst heraus geleistet werden. Wichtiger noch als diese Landschaftsgründe sind, auf das Ganze ottonischer und mittelalterlicher Kunst hin gesehen, die Goldgründe, die in dieser Epoche in der Kölner, in der südöstlichen und besonders in der Reichenauer Buchmalerei aus Byzanz eingeführt werden"). Die Übernahme hat weitreichende Folgen für die ganze mittelalterliche Malerei. Mit den Figuren zusammen gibt der Goldgrund, eine gegenstandslose lichtstrahlende Sphäre, die sakrale Würde der Ge schehnisse kund. Wenn auch er von ihren Kräften „erfüllt" wird, so ist das die gleiche abendländische Umwandlung, wie sie am Landschaftsgrund der Kölner Schule noch sinnfälliger ist. „Gerichtete" Figur, kon tinuierlicher Grund und Ganzseitenbild sind über haupt in allen drei Hauptschulen der Miniatur die wichtigsten Gaben von Byzanz: sie dienen einer neuen Klärung, Zusammenfassung und sakralen Über höhung der schon in Völkerwanderungszeit und karolingischer Epoche sich äußernden abendländischen Dynamik. 3. Repräsentative Einzelfigur und Darstellung eines bedeutsamen Ereignisses zugleich ist der Kruzifixus, besonders dann, wenn er im Akt des Sterbens ge schildert wird. Kruzifixbilder mit sterbend geneigtem Haupt und geschlossenen Augen hat die ottonische Kunst mehrmals, wenn auch nicht ausschließlich, von Byzanz abgeleitet"). Der lebensgroße Gero-Kruzifixus in Köln (Abb. 15) geht nicht direkt auf ein byzantinisches Werk zurück, aber das Grundmotiv des Sterbens und auch einige wesentliche Einzelzüge stammen letztlich von dort, so die Kurve, welche Arme und Brust verbindet, der vortretende Leib, das lange, senkrecht gegliederte Lendentuch mit dem verschlungenen Bund, die leicht schräg nebeneinander geführten Beine. [Vgl. den Kruzifixus des Mosaiks in Daphni (Abb. 14).] Was aber in dem byzantinischen Werk zur „Eleganz" der Erscheinung des maßvoll bewegten, schönen und natürlichen, würdigen Menschenleibes gehört, Über leitungen, Streckungen, Harmonisierung bewirkt, das tritt beim ottonischen Kruzifixus in einen ganz neuen Zusammenhang. Wichtig ist schon, daß an Stelle der doppelten Bie gung des Leibes, die ein Gleichgewicht herstellt und mit der wieder die Kurve der Arme korrespondiert, eine einzige große Schwingung tritt. Aus den hoch gereckten Armen, die nach unten hin breiter werden, geht es wie über eine Stromschnelle in die Brust über; sie scheint, „in strömender Wölbung modelliert""), herabzufiießen und in der Kugel des Leibs sich zu fangen. Das straff geführte Lendentuch setzt die Rich tung des Körpers fort, der sich auch das tiefgeneigte Haupt einfügt; nach unten hin klingt die Gewalt die ser Kurve ab. Fast sieht es aus, als schwebe Christus, wie ein Adler mit ausgebreiteten Flügeln"), von oben herab. Zugleich mit dem Herabkommen tritt die Gestalt auch nach vorn: von den dem Kreuz anliegenden Händen an schwillt das Volumen des Körpers immer mehr an, es kulminiert in der Leibesmitte und klingt dann ab. Ja man kann sagen, aus der strömenden Bewegung heraus entstehe erst der Leib; dieser, der durch kein anatomisches oder geometrisches Gerüst verfestigt wird, sei nur die Konkretisierung, ein Leib werden des Geschehens. Dieses Geschehen nun ist der Opfertod Christi; das geneigte Haupt und sein Aus druck der Hingabe „benennen" die strömende Be wegung.
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