Christliche Kunstblätter, 97. Jg., 1959, Heft 4

genwart besitzt keine grundlegende und allgemeine Bilderlehre. Sie fehlt der Malerei des 20. Jahrhun derts genau so wie sie in der christlicheni Theologie der Gegenwart vernachlässigt wird. Darauf hat erst neulich Hans Urs von Balthasar in einem Beitrag über „Offenbarung und Schönheit" hingewiesen: „Jede Wissenschaft ist dann ,exakt', wenn ihre Methode sich ihrem Gegenstand exakt anpaßt. Eine Wissenschaft, deren Methode sich grundsätzlich nur auf einen durch gängigen Teilaspekt ihres ganzen Gegenstandes be ziehen kann, ist nur mit Vorbehalt exakt zu nennen. Einen rein-menschlichen, rein-historischen und rein philologischen, vom Göttlichen (und damit vom Dog matischen) isolierbaren Aspekt gibt es dem Wort Gottes gegenüber nicht. Hier also liegt die Bedenk lichkeit in der Abstandnohme von der Spekulation oder Kontemplation, d. h. von jener anschauenden Haltung, die kraft einer adäquaten Einstellung die tiefen und tragenden Grundartikulationen des Ge genstandes ins geistige Auge bekommt, was bei einem heiligen Gegenstand mit einer distanzierenden Ver sachlichung gewiß nicht gelingt. Wo ist da das patristisch-mittelalterliche Frui in der heutigen Theologie hingeraten?"") Es geht jedoch bei dieser „anschauen den Haltung" der Alten nicht nur um ein „Frui". Das Wesen des Bildes wird vor einem metaphysischen Weltgebäude entfaltet. Vereinfachend könnte man seine Architektur als zweistöckig bezeichnen: Unter dem Firmament vollzieht sich die Geschichte der Menschen, über den Sternen — unwandelbar und ewig — leben die Götter. Das Höhlengleichnis Piatons, die Begriffe Form und Materie, Natur und Gnade und die Zweinaturenlehre scheinen nicht unabhängig von dieser alten Weltvorstellung verständlich. In der Aus einandersetzung um die menschliche und göttliche Natur und Person Christi findet der Streit Gestalt und Format. Auch in der Bilderlehre unterschied man zwei Be reiche: Die schattenhafte Welt der Abbilder und die geistige Wirklichkeit der Urbilder, die hinter den „Schatten" steht. Um diese Wirklichkeit zu durchdrin gen, fordert unter anderen Johannes Damascenus drei Elemente für das Bild: Ähnlichkeit, Ursprungs beziehung und offenbarenden oder hindeutenden Charakter. Der Begriff der Ähnlichkeit (homoioma) wird von den Alten am Siegel verdeutlicht. Im Stempel und Siegel sehen wir nämlich das gleiche Bild, einmal negativ als Form, einmal positiv als Relief. Dabei kann man die Substanz und die Form voneinander unterscheiden. Die Ähnlichkeit besteht in der Gleich förmigkeit der äußeren Form, die Verschiedenheit in der Substanz. Eine andere Substanz besitzt der Stem pel, eine andere das Siegel oder die Münze. Deshalb sagt Chrysostomus, die Ähnlichkeit besteht in den Grundlinien der Charakterzüge"). Theodor der Studite unterscheidet zwischen physis und s-chesis, Natur und Schatten, innerem Wesen und äußerer Erscheinung"). Die moderne Frage der Form im Sinne einer künst lerischen Qualität wird kaum behandelt. Wir können also das Erz des Stempels von dem Wachs des Siegels durchaus unterscheiden. Abbild und Urbild aber lassen sich nicht auseinanderreißen. Zwischen beiden besteht eine Ursprungsbezie hung (ektypoma). Sie verhalten sich zueinander wie causa und effectus. Das Urbild ist also im Abbild gegenwärtig. Erscheinung und Wesen sind nicht grund sätzlich voneinander zu trennen. Das Auge erfaßt der» Stoff und die Gestalt und rührt damit die geistige Form an. „. . . das Bild ist an sich, für das körperliche Auge nur das, was am Abbilde dem Gesichtssinn unterliegt, und nichts mehr. Wir aber dringen mit den Augen des Geistes durch das stoffliche Bild hindurch und finden dos Vorbild mit all seinen Eigenschaften. Das Vorbild steht direkt hinter dem Bild oder im Bilde selbst, unterliegt ober nicht dem Gesichtssinn, sondern wird nur mit dem Auge des Geistes geschaut. Somit ist der Abgebildete im Bilde selbst zugegen, ober nur auf eine geistige Weise und gemäß seiner Wirkungsfähigkeiten, nicht substanziell""). In der Be trachtung haben wir teil an ihm (met-echein). Auf Grund dieser sehr bedeutenden und tiefen Bildspekulation wird mit einem Mole auch der Be griff und Brauch der Bildanbetung verständlich, der uns Modernen so schwer vollziehbar scheint. Stellt ein Bild Christus dar, dann wird dem Bild wegen seiner Ursprungsbeziehung göttliche Verehrung zuteil. Damit sind wir bei dem dritten und letzten Element des Bil des, nämlich bei seinem offenbarenden oder hindeutenden Charakter. Es gibt nach Auffas sung der Alten ein Mysterium, ein Geheimnis hinter dem Bild und hinter der Welt. Dieses Geheimnis ist verborgen. In der Schöpfung und in Christus zeigt sich uns etwas von dem unzugänglichen und verbor genen Geheimnis. Dos Bild ober weist — wie im Spiegel und Gleichnis — auf dieses Geheimnis hin. Es offenbart es. Es wird unmittelbar deutlich, daß eine solche Theorie auf anderen Gründen baut als die Ästhetik des 18. oder 19. Jahrhunderts mit ihren fragwürdigen Spe kulationen um ein „Kunstschönes". Ihren eigentlichen Ursprung findet die Bildtheorie der Patristik in der Christologie. Christus — das ungeschaffene Bild des Vaters — wird zunächst betrachtet. Danach unter scheidet man sechs Arien von Bildern: 1. Das natür liche Bild, 2. die ewigen Ideen in Gott als Bilder der von Gott zu schaffenden Dinge, 3. der Mensch als Ebenbild Gottes, 4. die irdischen Geschöpfe und die Schrift als offenbarende Bilder der unsichtbaren Dinge, 5. die Vorbilder des Alten Testaments als Bil der der zukünftigen Wahrheiten und 6. die Erinne rungszeichen als Bilder der vergangenen Taten. Unter die 4. und 6. Art fallen die eigentlichen Bilder und künstlichen Darstellungen").

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